Der Tag der Wohnungslosen am 11. September macht auf Menschen aufmerksam, die das ganze Jahr über am Rande der Gesellschaft leben. Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. werden jährlich mehrere 100 000 Menschen wohnungslos. Wird diesen Menschen genügend geholfen und reicht aus, was präventiv getan wird?
Von Ina Zimmermann
Wohnungslos – was bedeutet das eigentlich? Die extremste Form von Wohnungslosigkeit sehen wir meistens in den Städten. Dort gibt es Menschen, die erkennbar obdachlos auf der Straße leben. In Berlin wurden im Januar 2020 knapp 2000 obdachlose Menschen im öffentlichen Raum gezählt. Wie viele es in Brandenburg sind, wissen wir nicht. Wir sehen auch nur die Spitze des Eisbergs. Den meisten Menschen sieht man es nämlich nicht an, dass sie wohnungslos sind. Sie sind unter oftmals prekären Bedingungen untergebracht in Wohnheimen und Hostels. Oder sie sind verdeckt wohnungslos, also schlafen bei Freunden auf der Couch oder begeben sich für ein Dach über dem Kopf in Abhängigkeitsverhältnisse.
Zahl der Menschen erfassen
Nach jahrelanger Lobbyarbeit der Wohnungsnotfallhilfe die Bundesregierung ein Gesetz erlassen, mit dem nun zumindest die Zahl der Menschen in den Obdächern regelhaft erfasst werden soll. Denn ohne genaue Kenntnis über das Ausmaß der Wohnungsnotfälle können wir gar nicht ermessen, wie viele Wohnungen wir brauchen, um die Wohnungslosigkeit in Berlin und Brandenburg, in Deutschland und in Europa bis zum Jahr 2030 zu beenden. Denn genau dieses Ziel haben sich das Europaparlament, die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin gesetzt.
Die kürzlich vorgelegten Zahlen der ersten Erhebung durch das Bundesgesetz vom Januar dieses Jahres überraschen indes. Berlin hatte angegeben, zum Stichtag 30. Juni 2021 gut 31000 Menschen behördlich untergebracht zu haben. Sollte es innerhalb von sieben Monaten trotz des seit Jahren angespannten Berliner Wohnungsmarkts tatsächlich gelungen sein, 5000 Menschen in Wohnungen zu vermitteln? Denn dem Statistischen Bundesamt wurden aus Berlin zum Stichtag 31. Januar 2022 lediglich knapp 26000 untergebrachte wohnungslose Menschen gemeldet. Hier bedarf es sicherlich Nachbesserungen in der Statistik.
Land Brandenburg betrachtet Problem als nicht existent
Noch interessanter gestaltet sich der Blick auf Brandenburg. Hier wird das Thema Wohnungslosigkeit seit Jahren von Landesseite als quasi nicht existent betrachtet. Zuständig für die Beseitigung akuter Obdachlosigkeit sind die Kommunen. Zuständig für die Gewährung von persönlichen Hilfen in Wohnungsnotfällen sind die Kreise und kreisfreien Städte. Einer landesweiten Wohnungslosenstatistik und Wohnungsnotfallrahmenplanung bedarf es aus Sicht des Landes daher nicht.
Da in Brandenburg nicht flächendeckend Angebote für die Prävention von Wohnungsverlust und die Beseitigung von Wohnungslosigkeit vorgehalten werden und unsere diesbezüglichen Forderungen seit Jahren ungehört bleiben, bin ich unschlüssig: Soll ich verwundert darüber sein, dass die Kommunen nur knapp 1300 Menschen untergebracht haben? Oder bestätigt es nur meine Annahmen?
Nachhaltige Strategien sind dringend erforderlich
Der Wohnungsmarkt, auch in weiten Teilen Brandenburgs, wird seit Jahren angespannter. Es gibt weniger Sozialwohnungen und die Energiekosten steigen. Diakonie und Kirche unterstützen wohnungslose Menschen mit vielfältigen Angeboten und innovativen Projekten wie beispielsweise Housing First, einem sehr erfolgreich erprobten Ansatz. Der Grundgedanke von Housing First ist, Menschen bedingungslos mit einer eigenen Mietwohnung im Hauptmietvertrag auszustatten und ihnen begleitend professionelle Unterstützung anzubieten.
Es ist dringend erforderlich, nachhaltige Strategien zur Verhinderung und Beseitigung von Wohnungslosigkeit zu entwickeln und mit umfangreichen personellen und finanziellen Ressourcen umzusetzen. Nur so können wir Wohnungslosigkeit nachhaltig vorbeugen und sie, wenn auch nicht beenden, so doch deutlich reduzieren.
Weitere Informationen zu Housing First unter: housingfirstberlin.de
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält am Tag der Wohnungslosen, dem 11. September, um 11 Uhr im Schloss Bellevue eine Ansprache.
Zudem findet dort ein Fachtag und Gespräche mit Betroffenen sowie Akteuren aus Wissenschaft, Politik, Verwaltung, Gesundheitswesen, Wohnungswirtschaft und aus der Sozialen Arbeit zu „Strategien und Ansätzen zur Überwindung von Wohnungslosigkeit“ statt. Die Diakonie wird dabei vertreten sein durch den Mitarbeiter des Bundesverbandes Lars Schäfer, Referent für Wohnungsnotfall- und Straffälligenhilfe bei Diakonie Deutschland.