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Wächteramt im Dienst der Kirche

Vor 70 Jahren wurde der „Verband kirchlicher Mitarbeiter“ (vkm Berlin) in Berlin-Dahlem gegründet, aus dem später die „Gewerkschaft Kirche und Diakonie“ wurde. Ihr Credo ist bis heute: Tarifhoheit

Das Thema Tariffähigkeit ist weiterhin ein wichtiges Anliegen der Gewerkschaft Kirche und Diakonie (GDK): Christian Hannasky (links), ehrenamtlicher Vorsitzender, und Peter Knoop, Gemeindepädagoge im Ruhestand und aktiver Gewerkschafter, vor einem Roll-up mit gewerkschaftlicher Kernbotschaft im Garten des Berliner Konsistoriums. Foto: Uli Schulte Döinghaus

Von Uli Schulte Döinghaus

Es war ein paar Tage vor Weihnachten. Arglos schaute die kirchliche Mitarbeiterin im Gemeindedienst in ihren privaten Postkasten, öffnete einen Brief und musste ihre Kündigung lesen. Nach mehr als 20 Jahren Dienst in der Kirche sollte sie ihre Arbeit verlieren. „Finanznot, drohender Mitgliederschwund, Einnahmeverluste durch immer weniger Kirchensteuern. Wir bedauern (...)“, stand dort geschrieben. Die Frau, die irgendwo in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) arbeitet, nahm Kontakt zur „Gewerkschaft Kirche und Diakonie“ (GKD) auf, deren Mitglied sie ist. Umgehend kümmerte sich eine Fachanwältin für Arbeitsrecht um die Angelegenheit. Mit ein, zwei Briefen und Telefonaten war die rechtswidrige Kündigung vom Tisch. 

Corona: Auf Einnahmeausfall folgt Kurzarbeitergeld

Im Pandemiesommer 2020 war in manchen Einrichtungen der EKBO der Geschäftsbetrieb ausgefallen. Keine Besucher*innen im Berliner Dom, keine Gäste in Freizeit- und Rüstzeitheimen der Kirche, keine Kirchenmusik – völliger Ein­nahmeausfall. Einige Personalverantwortliche drängten auf Kurz­arbeit, 67 Prozent des Nettoeinkommens hatten Landes- und Bundesregierung zugesagt. „Wenn es ohne die Tarifparteien, also ohne Gewerkschaften und ohne Kirchenleitung gegangen wäre, dann hätten das einige Einrichtungen in Eigenregie innerhalb von 14 Tagen durchgezogen. Aber auch dank unserer Bemühungen und Einwände haben wir eine Vereinbarung mit der Kirchenleitung erreicht, in der sie sich auf 100 Prozent Kurz­arbeitergeld verpflichtete“, sagt Christian Hannasky, ehrenamtlicher GKD-Vorsitzender. Der engagierte Protestant und Prädikant Hannasky ist im Hauptberuf Religionslehrer an Berliner Schulen. 

Breites Themen- und Interessenspektrum 

Was sollen Gemeindepädagog*-innen in Kirchenkreisen und Gemeinden tun, was nicht? Welche (wissenschaftliche) Ausbildung ist erforderlich, und wie steht es mit den theologischen Anteilen in Ausbildung und Berufspraxis? Über Konzepte, Anforderungsprofile, Gehälter und künftige Eingruppierungen dieser Tätigkeit debattieren Fachleute aus Gewerkschaften einerseits und Kirchenleitung andererseits seit geraumer Zeit in der Tarifkommission – auch im Hinblick auf die nächste zu erwartende Gemeindestruktur­reform, die von den Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen viel abverlangen wird.

Kündigungsschutz, hundertprozentiges Kurzarbeitergeld, Gemeindepädagogik, Strukturreform sind nur vier Themen, mit denen sich die „Gewerkschaft Kirche und Diakonie“ im Interesse ihrer Mitglieder aktuell beschäftigt. Die kleine Gewerkschaft ist bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landeskirche recht gut vertreten, der Jahresbeitrag bewegt sich zwischen 80 und 280 Euro. „Der Organisationsgrad in den diakonischen Diensten ist dagegen notorisch schwach“, bedauert Peter Knoop. Der Ruheständler war Gemeindepädagoge im kirchlichen Dienst und ist seit vielen Jahren in Landes- und Bundesgremien seiner GKD-Gewerkschaft aktiv. Zurzeit stellt er, gemeinsam mit anderen Kolleg*innen, die Nachkriegsgeschichte seines Verbandes zusammen. 

Sie begann am 18. August 1951, als Küster*innen, Kirchenmusiker und Verwaltungsmitarbeiterinnen aus 44 (Gesamt-) Berliner Kirchen­gemeinden in Berlin-Dahlem den „Verband kirchlicher Mitarbeiter“ (vkm Berlin) gründeten. In den Monaten davor und danach hatten sich auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in anderen Landeskirchen zu ähnlichen Verbänden organisiert. Das lag sozialpolitisch in der Luft. 

In der freien Wirtschaft war gerade die Montanmitbestimmung durchgesetzt worden, ein Riesenthema. Sie regelte das Mitwirken von Arbeitnehmer*innen in Aufsichtsräten und Vorständen der Montanindustrie (Kohle und Stahl). Ein paar Monate später sollte das „Betriebsverfassungsgesetz“ parlamentarisch beschlossen werden, das den Kündigungsschutz festschrieb, Betriebsräte und Wirtschaftsausschüsse gesetzlich absicherte. Vielleicht waren viele kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den sozialpolitischen Modernisierungsschüben in der jungen Bundesrepublik so inspiriert, dass sie einen Verband gründeten. In Berlin kam außerdem eine Aufbruchsstimmung hinzu, die vom gerade zu Ende gegangenen Evangelischen Kirchentag ausging.

Das Ringen um den „Zweiten Weg“ der Tariffähigkeit

Anders als in anderen landeskirch­lichen Verbänden stand in Berlin „Tarif­fähigkeit“ recht bald auf der ­Tagesordnung, ein Thema, das die kleine Gewerkschaft bis heute um- und antreibt. Dazu muss man wissen, dass branchenweite Lohn- und Gehalts­tarife, aber auch sogenannte Manteltarife, in denen die Arbeits­bedingungen geregelt werden, das Privileg von Arbeitgebern einerseits und gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerinnen und -nehmern andererseits sind. Sozialpolitiker*­innen nennen dies den „Zweiten Weg“ im Arbeits- und Dienstrecht. 

Um diesen Status als freier ­Verhandlungspartner der dienst- und arbeitgebenden Kirchenleitung kämpfte der Berufsverband kirch­licher Mitarbeiter*innen lange Jahre – bis es 1983 zu einer Tarifvereinbarung zwischen der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und dem vkm kam. 

Bischof und oberster Dienstgeber war damals Martin Kruse, „ein zugleich pragmatischer und weitsichtiger Mann“, sagt Peter Knoop im Rückblick.

Entgegen mancher Widerstände aus den eigenen Reihen und aus anderen Landeskirchen setzte Kruse den Tarifvertrag im kirchlichen Raum durch. „Arbeitsrecht und Arbeitsgestaltung sind völlig unabhängig von kirchlicher Spiritualität“, insistiert der studierte Religionspädagoge und amtierende Gewerkschaftschef Hannasky. „Und schon gar nicht fällt unser Gehalt vom Himmel.“ Das Wächteramt der ­Gewerkschaften gelte auch für den Arbeitgeber Kirche. 

Engagement in der Gewerkschaft und Verkündigung

Bis heute sind tarifliche Vereinbarungen unüblich in der evangelischen Kirchenlandschaft; Tarifverträge zwischen gewerkschaftlichen Partnern und Kirchenleitungen gibt es bisher nur in Berlin, in der Nordkirche und da und dort in diakonischen Verbänden. Noch ist nämlich der sogenannte Dritte Weg Konsens in den meisten Landeskirchen und diakonischen Verbänden, auch im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesischn Oberlausitz. Arbeitsbedingungen werden hier durch eine paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Kommission aus Vertreter*innen der Dienstgeber und Dienstnehmer festgelegt. Streik und Aussperrung gibt es nicht. 

„Hierin kommt zum Ausdruck, dass in der kirchlichen Dienstgemeinschaft Dienstgeber und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinsame Verantwortung für den Dienst an der Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi in Wort und Tat tragen“, so die theologische Begründung der Evangelische Landeskirche in Baden.

Bischof Kruse hingegen habe ­darauf bestanden, „dass die Kirche kein anderer Arbeitgeber ist als andere auch“, erinnert sich Peter Knoop. Kruse wollte auch in schwierigen Zeiten Vertragspartner auf Augenhöhe. Dieser bischöfliche Pragmatismus kennzeichne eine lange Phase der guten Zusammenarbeit zwischen Interessenvertretung und Berliner Kirchenleitung, sagt der Gewerkschafter. 

Seit 2008 Anlehnung an öffentliche Gehälter

Davon ist auch die tarifpolitisch wichtigste Landmarke der Gewerkschaft geprägt: Nach langen Verhandlungen einigten sich die Tarifpartner im Jahr 2008 darauf, die Eingruppierungen, Löhne und Gehälter des neuen TV-EKBO an dem Tarifvertrag für den Öffent­lichen Dienst der Länder (TV-L) zu orientieren und in regelmäßigen Tarifrunden anzupassen. „Dies ist seither immer wieder in guter Kooperation gelungen“, sagt Christian Hannasky. Eine Schlichtung sei bisher nicht notwendig gewesen. 

Schlichtungsverfahren sind fester Bestandteil im Arbeitsrecht der EKBO. Wenn sich die gewerkschaftlichen Tarifkontrahenten mit ihren landeskirchlichen Tarifpartnern partout nicht einigen können, kann es auf die Schlichtung durch eine neutrale Person hinauslaufen, deren Empfehlung verbindlich ist. Zugunsten dieser sogenannten andauernden Friedenspflicht lassen die kirchlichen Arbeitnehmervertretungen ihr Streikrecht ruhen – ein Kompromiss, mit dem sich die GKDler zähneknirschend abfanden und der auch nicht die Kooperation mit den beiden anderen Tarifvertragsgewerkschaften am TV EKBO, GEW (Erziehung, und Wissenschaft) und Verdi (Dienstleistung), gefährdete, die auf dem Streikrecht für alle bestehen und den „Dritten Weg“ des kirchlichen Arbeitsrechts kategorisch ablehnen. 

Sowohl um die Zusammenarbeit mit den großen gewerkschaftlichen Playern zu untermauern als auch um die eigene Selbstständigkeit zu betonen, hatte sich der „Verband kirchlicher Mitarbeiter“ Anfang der 1990-er Jahre in „Gewerkschaft Kirche und Diakonie“ umbenannt. In diesen Tagen erinnert sie an die Gründung ihres Vorgängerverbandes vor 70 Jahren in Berlin. 

Weitere Informationen unter www.gkd-berlin.de

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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