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Was ist Gottes Auftrag an uns?

Neun Tage debattierten Christ*innen aus aller Welt in Karlsruhe

Delegierte Christinnen und Christen nehmen am Abschlussgottesdienst der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe teil. Foto: Thomas Lohnes/epd

Was stimmt hoffnungsvoll und was bleibt kontrovers? Pröpstin Christina-Maria Bammel beschreibt ihre Eindrücke als EKD-Delegierte von der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 

Von Christina-Maria Bammel

Die Liebe Christi drängt uns!


… stand über dem Ruf zum gemeinsamen Handeln in Karlsruhe. Einige der rund 3000 Gäste waren dorthin – auch aus Katastrophen­gebieten – gekommen. Es drängte sie danach, das Leid der zu Hause ­Wartenden und das Dennoch ihres christlichen Glaubens mitzuteilen auf einer Weltversammlung, die sich damit auseinandergesetzt hat, wie Christi Liebe – in Zeiten brutaler Kriege, auch in Europa – versöhnt. Diese Auseinandersetzung geht ­weiter. Mit jedem Gebet, jedem Austausch wurde in der Stadt, die selbst eine besondere Geschichte der Versöhnung in sich trägt, spürbar: Es braucht das Wunder der Umwandlung der Herzen, weg von Selbst­bezogenheit und Apathie hin zu Dienst und Inklusion in Anerkennung unserer tiefen Angewiesenheit inmitten der Schöpfung. 

Nicht jedes Wunder hat sich erfüllt. Dialog lebt von Offenheit und zugemuteter Wahrheit. Die Teilnahme der russisch-orthodoxen ­Delegation hatte auch Erwartungen geweckt, die unter jetzigen Bedingungen nicht erfüllt wurden. Es mag winzige Momente der Offenheit ­außerhalb des Plenums gegeben haben. Aber das bleibt insgesamt eher ein schmerzhaftes Fazit, das ­inmitten dunkler Kriegstage nicht zufriedenstellen kann. Mehr als einmal ist daran erinnert worden, dass es ja, wenn der Krieg, so der Himmel und die Menschen endlich wollen, einmal endet, dringend bestehende Kontakte und Beziehungen brauchen wird. 

Wie das wohl die Inhaftierten, die überwachten und schikanierten Geistlichen der russisch-orthodoxen Kirche sehen, die ihr Nein zum Krieg gesprochen und geschrieben hatten? So eine Frage sei eben meine westliche Sicht, hatte mir gegenüber ein Moskauer Teilnehmer erwidert, der zumindest mit seinen Worten davon „ausging“, dass niemand in der Russischen Föderation wegen seiner Opposition zum Krieg inhaftiert werden würde. 

Hatte jemand gemeint, dass einer oder mehrere Vertreter in Karlsruhe offiziell in Opposition gehen würden? Im Plenum wurde unterstrichen: Keineswegs  alle russischen Frauen und Männer vertreten die Kriegstreiberei dieser Regierung. Wie viele von ihnen zerreißt es ­innerlich nicht minder? 

Die Gespräche mit ukrainischen Vertreterinnen gingen zu Herzen. Wird die Unterstützung der Ökumene sie auch über dieses Treffen hinaus tragen? Als nach den für mich nur schwer erträglichen, provozierenden Worten eines russisch-orthodoxen Delegierten  eine junge ukrainische Frau ans Mikrofon tritt, gibt es einen dieser Momente von Wahrheit:  „Nennen Sie es, was es ist – russische Aggression gegen die Ukraine. Wenn Kirchen ihre Stimmen nicht erheben, wo Ungerechtigkeit und Gewalt geschehen, werden wir dann noch Salz der Erde sein?“ Kann das konkret werden, real und wirkungsvoll? 

Eins ist über Karlsruhe hinaus klar: Schweigen darf keine Antwort sein. Erhebt auf allen Seiten eure Stimmen gegen das Sterben, die ­Zerstörung und Verschleppung! Die Karlsruher Worte sind an dieser Stelle klar. Wird das gehört? Das wäre alles andere als selbstverständlich. Nichts von dem, was in Karlsruhe gelungen ist, ist selbstverständlich und erinnert mich immer ­wieder daran, wie sehr das gegenwärtige militärische Helfen in der Ukraine eine auch verantwortungsethisch zu erfassende schuldbehaftete Billigung außergewöhnlichen Handelns ist! 

Am letzten Versammlungstag knüpft mir die ukrainische Vertreterin, die ich gefragt hatte, was sie braucht – „understanding and prayer“ – ein kleines blau-gelbes Band an meinen Arm. Ökumene ist nicht allein die inspirierende Feier eines „Familienfestes“ von Glaubensgeschwistern weltweit, eine Erzählgemeinschaft. Sie muss da sein für den Ernstfall angesichts der Kriegs- und Nationalismus-­Höllen dieser Welt. 

Was die Welt bedrängt ...


... ist bekannt; wir haben ein Umsetzungs-, kein Erkenntnisproblem, sagt Ruth Mathen von der Malankara Orthodox Syrian Church of India und erzählt von katastrophalen ­Bedingungen für die Landwirte. Die vielen Suizide aus wirtschaftlicher Verzweiflung, die nicht erlassenen Schulden; mehr noch als ums ­Lindern geht es jetzt um vorausschauendes Handeln der Kirchen! „We are running out of time …“  Uns läuft die Zeit davon, um Resilienz in den Wetter-Extremen zu entwickeln. Der Klimakollaps ist in erster Linie ein Kollaps von Mensch, Tier, Pflanze, ohne Zeit der Anpassung. Wir haben diskutiert, wie eine internationale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur neu gestaltet werden kann, die Habgier und Konsumkult austrocknet.  Vielleicht ist das, was wir erleben, tatsächlich „Gottes last call“! 

Die Jüngeren machen sich laut und sichtbar am dritten Tag der Vollversammlung: „Willst du Klimagerechtigkeit, dann sag: Amen!“, heißt es da. Amen sagen, das bedeutet für mich: Unser Gemeindeeinsatz für Klimagerechtigkeit ist keine ­lästige Zusatzpflicht, die man in ­anstrengenden Zeiten unterbricht, sondern eine ständige Umkehr, ein tägliches Ersäufen der überkommenen Konsum- und Verbrauchszwänge. Denn der alte Adam, dieses olle gierige „Biest“ in uns, das sich benimmt, als gäbe es kein Morgen, kann leider „schwimmen“. Unsere Arbeit inmitten des Klimanotstandes ist eine Sache der Nachfolge. Zu Recht wird gefordert: Es braucht neue Formen der Vernetzung und endlich ein Ernstnehmen der Jugend-Expertise im globalen Kampf gegen den Notstand. Wir alle können es uns nicht leisten, uns mit einem Anteil von Jugendlichen zufrieden zu geben, weit unter den eigentlich gewollten Anteilen; sonst fehlt ein entscheidender Link in die Zukunft.   

Dringend eins werden!


Den „Luxus“, sich in globaler ökonomischer und politischer Er­hitzung auseinander zu dividieren, haben wir nicht. Justin Welby, Erz­bischof von Canterbury, sagt es. Wir leben, so Welby, inmitten einer Ökumene des Leidens, wo Christen verfolgt und getötet werden dafür, dass sie Christen sind. Sie werden nicht gefragt, zu welcher Kirche sie gehören. Sie werden als Christen getötet. ­Justin Welby zu hören, hat die Kraft eines Gottesdienstes: Wir sind dazu gerufen, um Einheit in Demut zu ­bitten. Welby spürt mit Blick auf die vergangenen Jahre seines Dienstes Vergeblichkeit und Scham angesichts seines ökumenischen Wirkens. Vor aller Ohren und Herzen wolle er sich neu auf die Suche be­geben – nach einer Einheit der Verschiedenen. Welbys Worte hallen nach wie das Gebet des auf die Knie gehenden Frère Alois aus Taizé im selben Plenum.

Informiert und reflektiert handeln ist dran


Wie viel globale ökumenische Einheit ist da, war eine bleibende Frage in mancher Kleingruppe. Ich habe mich das auch gefragt in den Diskussionen zur Situation der Christen und Christinnen im Nahen Osten. Wie viel Anteil nehmen wir tatsächlich an den Erfahrungen der Ausgrenzungen und Bedrückungen ­unserer Glaubensgeschwister, etwa im Libanon und im Irak? Wie genau können wir die tatsächlichen Ver­ursacher und deren Strukturen ­benennen? Und tun es auch? 

Im ­Abschlussstatement werden israelische Regierungsentscheidungen kritisiert. Aber wo gegenwärtiges politisches Handeln auch nur ­annähernd mit – historisch völlig verdreht – Apartheidsmustern in Verbindung gebracht wird, widerspricht alles in mir und wider­spreche ich. Die EKD-Delegation war klar in ihrer Position, ist es ins­gesamt in ihrem rückhaltlosen Nein zu allen israelbezogenen, camouflierten Antisemitismen. Das ist ­wiederum alles andere als eine Distanzierung vom Völkerrecht. Das ist Ausdruck eines langen Weges der Auseinandersetzung nicht nur mit einem historischen und einem theologischen Erbe und ist das Ernstnehmen der hohen Verantwortung aller christlichen Kirchen. 

Die Konflikte im Nahen Osten sind komplexer und haben viel mehr Akteure, als manches Statement zu meinen scheint. Wir müssen auch weiterhin ehrlich und ernsthaft ­benennen, wo es ­keinen Konsens und keine Einheit in der weltweiten Christenheit gibt. Diese Dissense zu bearbeiten und ins Gebet zu nehmen, halte ich für ­friedensstiftend und dem Anliegen der Ökumene angemessen.  

Beten, Handeln und pilgern 


Der Himmel zieht zu, als die letzten Lieder gesungen sind. Verabschiedung von den Schweizer Kommunitätsschwestern, von brasilianischen Lehrern, von Gina, der Autorin des Buches „Global Christianity“; wir haben eine Bahnfahrt lang darüber diskutiert. Abschied von der ­Prager Kollegin, die als orthodoxe Christin bedauert hat, dass sie wohl nie Geistliche in ihrer eigenen ­Kirche werden kann, obwohl sie alle Texte ihres „Chefs“ schreibt und darüber noch lächeln kann. Abschied von Dwede, die in Liberia ein Auf­klärungsprogramm leitet und der Gewalt gegen Mädchen den Kampf angesagt hat. Nicht nur donnerstags, zum „Thursday in Black“ werde ich an sie denken. Abschied auch von Samantha, Krankenpflegerin in ­Kanada, die mit ihrer indigenen Herkunft vier (!) verschiedene Sprachen spricht, aber das Gefühl hat, wenig gehört zu werden. Abschied von den Morgengebeten, von deren Tiefe und Weite: eine spirituell beispiellos ergreifende  Einladung zum Tanz für die Seele! 

Es gibt nicht die Einheit um jeden Preis. Ökumene ist weniger ein ­Einheitsbrei, mehr wie Salat, so ein Teilnehmer aus Taiwan. Ob das Karlsruher Signal zu Gerechtigkeit, zum Niederlegen der Waffen, zur rückhaltlosen Unterstützung der ­Bedrängten, Ausgebeuteten und Gedemütigten noch sturer und stärker hätte kommen sollen, wird die Zeit zeigen. Ökumene lebt davon, auch wenn es schwer ist, zu benennen, was Gottes Auftrag an uns ist. Sie lebt in aufrichtigen Gebeten und vom gemeinsamen Handeln aus ­gemeinsamer Pilgerschaft.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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