Von Christina-Maria Bammel, Pröpstin der EKBO.
Während wir in der Kirche miteinander über das Abendmahl in Corona-Zeiten sprechen – ob nun digital oder nicht, in aller Vorsicht oder lieber gar nicht –, scheint die Diskussion um das Abendmahl und die Eucharistie an anderer Stelle blockiert zu sein. Das sollte weder entmutigen noch sollten das Thema und die Differenzen darum als Nebensache abgetan werden.
Im September 2019 votierte der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) in der Studie zum Abendmahl „Gemeinsam am Tisch des Herrn“: Evangelische und katholische Christen können wechselseitig an den liturgischen Feiern von Abendmahl und Eucharistie teilnehmen. In dem Positionspapier zeigte der ÖAK den Weg zur wechselseitigen eucharistischen Gastfreundschaft auf: Offenheit in der gegenseitigen Zulassung, ohne die jeweiligen Unterschiede zu leugnen. Schon lange werben einige der Autoren für eine wechselseitige Gastfreundschaft.
Der Vatikan hat den Vorstoß des (ÖAK) zu einer konfessionsübergreifenden eucharistischen Gastfreundschaft zurückgewiesen. „Die Lehrunterschiede sind immer noch so gewichtig, dass sie eine wechselseitige Teilnahme am Abendmahl beziehungsweise an der Eucharistie derzeit ausschließen“, heißt es in einem Brief des Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Luis Ladaria, an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, aus dem die Zeitung „Tagespost“ Ende September zuerst zitierte. Man müsse unter anderem die Fragen von Kirchen- und Amtsverständnis im Blick behalten, so die römische Absage. Und man müsse die gesamte Ökumene bedenken, denn eine Öffnung des Abendmahls würde die Gräben zur orthodoxen Kirche vertiefen. Nicht neu.
Dazu kommt ein weiteres katholisches Schreiben: Der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen bekräftigte die römische Kritik an dem Ökumene-Papier. Der Präsident des Rates, der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch, „warnte vor deutschen Alleingängen“ in der Ökumene. Koch, der nach eigenen Angaben an der Prüfung durch die Glaubenskongregation beteiligt war, sagte weiter, Rom habe sich deshalb zu Wort gemeldet, weil deutsche katholische Bischöfe eine mögliche Mahlgemeinschaft bereits für den kommenden Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt am Main ins Spiel gebracht hatten.
Wir werden sehen, was das auf dem Weg zum Ökumenischen Kirchentag 2021 bedeutet. Ich kann aber nicht sehen, dass sich die entscheidende Tür auf dem Weg zur wechselseitigen eucharistischen Gastfreundschaft geschweige denn zum gemeinsamen Mahl in zeitlicher Nähe öffnen könnte. Müssten wir uns, um besagte Tür im ökumenischen Gespräch zu finden, als reformatorische Kirchen nicht besonders behutsam äußern, wenn wir evangelisches Schrift- und Abendmahlsverstehen artikulieren und Folgen für die Praxis ableiten?
In der Ökumene behutsam genug?
Behutsamkeit ist im Ringen um Akzeptanz gut, Klarheit ist ebenso nützlich. Jede theologische Einsicht bleibt revidierbar, denn sie ist menschengemacht. Nicht zu verwechseln mit Beliebigkeit. Weder im Denken noch in der Praxis. In der Praxis übrigens leuchten Stoppschilder wenig ein. Das spürt man in den Gemeinden. Ich erlebe es als überhaupt nicht unbesonnen oder gar beliebig, wo in Gemeinden freimütig und bedacht die Verbindungen der Ökumene gefestigt werden, die gegenseitige Einladung, das gemeinsame Feiern durchlässiger und offener gestaltet wird. Ich nehme eine Sehnsucht wahr, nicht nach noch mehr fachlichen Details zur Debatte, sondern nach dem Gemeinsamen, nach dem Fest, das uns im Glauben festigt, nach dem Lebensrelevanten wahr. So entsteht vielleicht hoffnungsfrohe Praxis.
Und der Dissens? Aus Angst vor dem Dissens können wir den evangelischen Diskurs um die Einladung zum Abendmahl nicht kaltstellen.
Wir brauchen nicht leisetreten mit der Einsicht der Leuenberger Konkordie von 1973, in der lutherische, reformierte und unierte Kirchen unter anderem Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verabredet haben: Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus – vorbehaltlos – in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein Wort mit Brot und Wein. Er befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. Er lässt uns neu erfahren, dass wir Glieder an seinem Leibe sind.
Wir leben diese Einladung; Einladender selbst bleibt Jesus. Dem versuchen wir zu entsprechen, „ohne Zuspruch und Anspruch des Sakraments preiszugeben“, heißt es im Text der „Ordnung des Kirchlichen Lebens“ (Lebensordnung der Union Evangelischer Kirchen) von 2000. Klar: „Um der im Abendmahl vollzogenen engen Gemeinschaft Jesu Christi mit seiner Gemeinde willen setzt die Teilnahme am Abendmahl grundsätzlich die in der Taufe begründete Zugehörigkeit zur Kirche voraus.“ Aber es ist auch möglich, so die gerade zitierte Ordnung, „Ungetaufte“ durch „Handauflegung mit einem Segenswort in die Gemeinschaft“ einzubeziehen.
Abgesehen davon, dass es nicht mehr angemessen ist, von Ungetauften zu sprechen, sollte es doch möglich sein, dass neben den (noch) nicht Getauften auch aus der Kirche ausgetretene Personen Handauflegung und Segenswort erfahren können. Nun kann ich mir nicht vorstellen und finde dafür auch keinen theologischen Grund, sie abzuweisen, wenn sie dennoch die Gaben des Abendmahls empfangen wollen, weil sie sich von Jesus Christus selbst eingeladen wissen. Ich kann weder erkennen, dass diese Position beliebig ist, noch, dass jetzt auf Grund dessen Menschenmassen Richtung Abendmahlstisch strömen würden, die uns überforderten. Aber es wäre gut, wenn man uns eine Haltung ansieht, die die Freiheit des Evangeliums atmet.
Im Geiste dieser Freiheit des Evangeliums entstand doch einmal die Lebensordnung. Sie sollte nicht in Kontrollzwänge und in Selbstverkrampfung im Blick darauf, was man darf oder nicht darf, führen. Das wäre „Selbstverholzung“, wie es der katholische Bischof Bätzing einmal mit Blick auf seine Kirche formulierte. Ich sehe nicht in der Abweisung, sondern in der Einladung zur Taufe und zum Wiedereintritt den Auftrag Jesu Christi an uns. Damit nehme ich das einladende Wort, das selbst Fleisch wurde, in der Tiefe ernst. Ich wünsche mir, dass diese Ernsthaftigkeit im ökumenischen Gespräch gesehen wird. Ohne Angst vor Irritation auf der einen Seite und ohne Angst vor Beliebigkeit auf der anderen Seite.