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Wir kratzen am Kern der Kirche

Nicht nur in der katholischen, auch in der evangelischen Kirche wird sexualisierte Gewalt noch zu oft als Einzelfall behandelt und Betroffene als Bittsteller, beklagt unsere Autorin, Mitglied im Betroffenenbeirat der EKD. Sie fordert ein Umdenken. Über ihre Erfahrungen schreibt sie anonym. Ihr Name ist der Redaktion der evangelischen Wochenzeitung in Thüringen, „Glaube und Heimat“ bekannt, wo der Text zuerst abgedruckt wurde

Ein langer und schwerer Weg ist es, der vor den Betroffenen von Missbrauch und Gewalt liegt. Auch unsere Autorin geht ihn. Foto: Paul-Philipp Braun

Mein Körper ist hart, die Schultern schmerzen, die Kiefer pressen auf­einander, drücken auf die Zähne. Ich habe massive körperliche Beschwerden. Von meiner Seele, meinen Beziehungen und meiner Familie ganz zu schweigen. Ich habe eine Posttraumatische Belastungsstörung. Mehr als zwei Jahre war ich nicht fähig zu arbeiten. Ich wollte sterben und habe einen Suizidversuch unternommen.

Als ich 15 Jahre jung war, wurde ich von dem Pfarrer meines Heimatdorfs missbraucht. Das war kein Ausrutscher, vielmehr rutschte ich in einen 16 Jahre währenden Kreislauf aus körperlicher und sexualisierter Gewalt und seelischer, emotionaler Abhängigkeit. Heute stehe ich hier, bin verheiratet, habe Kinder und einen Beruf, der mich erfüllt und den ich ausfüllen kann. Ich habe das, was vielen Betroffenen verwehrt bleibt. Viele schaffen es nicht.

Was für eine Floskel!


Auch deshalb ist es mir wichtig, meine Stimme zu erheben. Ich arbeite im Betroffenenbeirat der EKD mit. Kirche sagt, sie will die Stimme der Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Kirche hören – was für eine Floskel! In Wahrheit sind die Betroffenen in einer Bittsteller-Position. Sie sind es, die zur Kirche kommen müssen, die ihre Geschichte erzählen müssen, die Anträge stellen und Leistungen einklagen müssen. 

Mir zeigt diese Komm-Struktur, dass sich die Kirche nicht im Klaren darüber ist, was sie wirklich will. Weil sie sich nicht klar darüber werden will. Denn das bedeutet Schmerz. Sexualisierte Gewalt kratzt am inneren Kern der Kirche: Wir sind doch die Guten! Und das ist natürlich völlig konträr zu dem, was Betroffene erlebt und erlitten haben. Jeder und jede Einzelne spricht für seinen und ihren konkreten Fall, aber wie ein Puzzle fügt sich Stück für Stück zum Gesamtbild zusammen. Da geht es nicht um Einzelfälle, sondern um den strukturellen und rituellen Kontext von Gewalt. Den will die Kirche nicht wahrhaben. Und dann kommt es zu solchen Äußerungen mancher Geistlicher, dass ja alle Menschen Sünder seien, und zu Scheindebatten, ob man nicht auch Tätern vergeben müsse. Aber sexualisierte Gewalt lässt sich nicht mit der Beichte lösen. Die Folgen tragen Betroffene ein Leben lang.

Weniger Christus, mehr Schöpfungstheologie


Ich habe mir durch einen Wechsel der Landeskirche zumindest einen Schutzraum erobert. Trotz allem bin ich in der evangelischen Kirche geblieben, habe sogar Theologie studiert. Glaube ist vielfältig. Glaube gibt mir die Gelegenheit, mein Lamento loszuwerden. Ich lese Hiob und fühle mich verstanden. Da ist einer, der mir Worte gibt für das, was unsagbar ist. Aber tatsächlich ist in meinem Kopf ein Filter. Ich klopfe viele Gebete und Lieder ab und frage mich: Kann ich das mitsingen, kann ich das mittragen? Meine Erfahrung hat meinen Glauben auf den Kopf gestellt. Die Opfertheologie habe ich über Bord geworfen, stattdessen sehe und erfahre ich Gott in seinen vielfältigen Erscheinungen, zum Beispiel in der Natur. Mein Glaube ist weniger Glaube an Christus und mehr Schöpfungstheologie.

Kirche muss dem Schmerz standhalten


Viele Menschen mit Missbrauchserfahrungen tragen diese Ambivalenz in sich. Einige haben sich zusammengeschlossen: auf der Website gottessuche.de zum Beispiel; unter dem Stichwort „trotz allem“ werden Gottesdienste gefeiert. Die Erfahrungen einen, aber stempeln uns auch ab. Die armen Opfer! Dabei wollen wir Betroffenen nicht bemitleidet und bedauert werden. Schluss mit diesen öffentlichen Ritualen! Ich will in meiner Stärke, in meiner Kompetenz wahrgenommen werden. Auf Augenhöhe.

Kirche muss diesem Schmerz standhalten und nach sachorientierten Lösungen suchen. Das war bislang im Betroffenenbeirat nicht der Fall. Wir Mitglieder wollen Klarheit über unsere Aufgaben und Kompetenzen. Wir plädieren für externe, verpflichtende und regelmäßige Schulungen in den Gemeinden, im Predigerseminar und während des Vikariats und in Einrichtungen vor Ort, auch für die Ehrenamtlichen. Wir fordern die Etablierung einer Beauftragtenstelle auch in den Kirchenkreisen – so wie es Beauftragte für Gleichstellung oder Brandschutz gibt. 

Mit Gewaltschutzkonzepten allein ist es nicht getan, denn sie schützen vor allem eines: die Kirche als Institution. Es wird gerade das gemacht, was der Gesetzgeber verlangt, aber Einsicht, wie innere Strukturen geändert werden müssen, wie mit Tätern konsequent umzugehen ist, gibt es nicht. Auch in einem Diszi­plinarverfahren geht es im Kern ja nur um die Frage, ob der Täter mit seinem Verhalten der Kirche als Institution geschadet habe. Die Betroffenen werden zu Zeugen degradiert und erhielten bis dato nicht mal einen Zeugenschutz.

Dabei muss die Kirche dringend Fragen beantworten: Wo sind die strukturellen Ursachen? Wo sind die dunklen Flecken? Wo verbergen wir lieber als zu zeigen? Wo verdrängen und verleumden wir? Das nagt an den Grundfesten. Denn Kirche will und tut ja so viel Gutes. 

Dieses Selbstverständnis verstellt oft den Blick, dass es sich bei sexualisierter Gewalt nicht um ein Phänomen der Vergangenheit handelt. 

So etwas passiert auch heute. Wie geht die Kirche mit den Tätern um, wie wirkt sie der großen internen Vergesslichkeit entgegen, warum nützt die große Vernetzung von kirchlichen und subkirchlichen Strukturen den Tätern? Und wie kommt es, dass Betroffene, wenn sie anfangen zu reden, plötzlich zu Tätern werden, die das Ansehen des Pfarrers in den Dreck ziehen, die gute Arbeit zunichtemachen und die Gemeinde zerreißen? Wir brauchen eine Beteiligung der Betroffenen, wenn es um die Präventionsmaßnahmen und Ordnungen zu Gewaltschutzkonzepten geht. Auf Augenhöhe!

Bei der Debatte um Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention geht es eigentlich nur vordergründig um Konzepte und Strukturen. Im Kern geht es um Haltung und Kultur. 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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