Herr Röger, warum veranstalten Sie diese Tagung?
Ich bin seit etwa einem Jahr Leiter des Kirchlichen Bauamtes. In dieser Zeit habe ich versucht, einen Einstieg in die umfassende Thematik zu finden und die wesentlichen Probleme herauszufinden. Schnell wurde mir klar: Dazu gehören auch unsere Dorfkirchen.
Das Thema ist nicht neu. Kirche und Kulturpolitik beschäftigen sich schon länger damit.
Spätestens nach der Friedlichen Revolution war klar, dass es einen erheblichen Sanierungsstau an und in den Dorfkirchen gab. So gelang es mit dem sogenannten Dach-und-Fach-Sanierungsprogramm, diesen Instandhaltungsstau an den Außenhüllen sukzessive abzubauen. Mittlerweile sind circa 80 Prozent der Dorfkirchen saniert.
Die äußere Sanierung ist also weithin abgeschlossen, jetzt geht es in die Innenräume. Was muss da gemacht werden?
Mit den technischen Möglichkeiten von damals wurden zunächst die Außenhüllen, das heißt Dächer und Außenwände saniert. Heute stellen unsere Fachleute immer häufiger fest, dass Dachstühle zum Beispiel von Schwamm befallen sind und eine umfassende Sanierung nötig ist. Die Sanierung der Innenräume und Ausstattung ist aber ebenfalls wichtig, um einen angemessenen, schönen und sakralen Innenraum zu erhalten, in dem sich die Menschen gerne aufhalten und Gottesdienste feiern. Die Weiterentwicklung des kirchlichen Lebens vor Ort soll damit ermöglicht werden.
Wie viele Dorfkirchen sind in der EKBO betroffen?
Wir gehen von 20 und 30 Prozent aller rund 1600 Dorfkirchen aus, also bis zu 500 Gotteshäuser, mit denen man sich beschäftigen muss.
Wie viel kostet eine Dachsanierung?
Je nach Größe der Kirche sind schnell Mittel in der Größenordnung von 200000 bis 400000 Euro erforderlich. Allein die Kosten für die Einrüstung sind immens. Nicht selten fallen aber noch weitere Sanierungskosten in ähnlicher Höhe an, wenn etwa Mauerwerk und Fenster der Kirche oder der Turm saniert werden müssen.
Das überfordert die dörflichen Kirchengemeinden, die als Eigentümerinnen auch Bauherren sind, bei Weitem. Selbst der einfallsreichste Gemeindekirchenrat kann für solche Sanierungskosten nicht genügend Rücklagen bilden.
Deshalb gibt es für die Sanierung von Dorfkirchen Fördermöglichkeiten. Zum einen gibt es Mittel des Landes Brandenburg, Denkmalschutzprogramme der Länder und des Bundes aber auch Förderung durch private und öffentliche Stiftungen und Organisationen, wie die Stiftung Deutscher Denkmalschutz, die Stiftung KiBa und die Lottomittel. Auch Fördervereine sammeln für die Sanierung von Dorfkirchen. Auf EU-Ebene gibt es ebenfalls Fördertöpfe zur Entwicklung des ländlichen Raumes. Hier werden auch Mischnutzungskonzepte gefördert, etwa wenn Dorfkirchen sowohl von den Kirchengemeinden als auch „profan“ genutzt werden. Gelungene Beispiele hierfür ist die Nabu-Kirche in Temmen, die sowohl von Naturschützern als auch für Gottesdienste genutzt wird. Oder die Kirche in Barsikow/Prignitz, in der Pilger auf ihrem Weg übernachten können.
Springt der Staat grundsätzlich ein?
Gemäß dem Staatskirchenvertrag zwischen dem Land Brandenburg und der Landeskirche gibt das Land zum Erhalt für Kirchen und Klosterstifte in Brandenburg rund 1,5 Millionen Euro jährlich. Wir sind dankbar für die Unterstützung, allein diese Mittel reichen kaum dafür aus die Dorfkirchen zu unterhalten, insbesondere unter dem Aspekt stark steigender Baustoffpreise.
Allein der Baustoff Holz ist so teuer wie nie.
Wir hoffen natürlich alle, dass dieser exorbitante Preisanstieg sich zum Jahresende wieder einpegeln wird. Aber die Baustoffpreise werden auch in Zukunft weiter steigen, deshalb wäre es aus unserer Sicht zielführend, wenn bei Verhandlungen mit dem Land Brandenburg auch „Wertsicherungsklauseln“ in den Staatskirchenvertrag mit aufgenommen werden. Dabei geht es in erster Linie um Hilfe zur Selbsthilfe. Die Kirchengemeinden, die Kirchenkreise und die Landeskirche geben zum Erhalt der Dorfkirchen ebenfalls ihr finanziell Möglichstes. Aber nur gemeinsam können wir es schaffen, die Dorfkirchen für die Zukunft zu erhalten.
Was hat das Gemeinwesen davon?
Die Dorfkirchen in Brandenburg stellen einen großen Kulturschatz dar. Häufig sind die Dorfkirchen die ältesten, größten und bedeutendsten Gebäude im Ort. Sie sind Zeichen nicht nur des christlichen Lebens sondern auch der Geschichte und Identität des Ortes und der Landschaft. Der Erhalt dieser Kulturdenkmäler sollte deshalb auch ein wichtiges Ziel des Gemeinwesens sein, denn ohne diese Gebäude wird sich das Dorf verändern. Ich habe die große Sorge, dass die Kirche allein den Erhalt der Dorfkirchen in der Zukunft nicht mehr gewährleisten kann. Es gäbe dann nur eine Alternative: Statt Sanierung nur noch Notsicherung der Gebäude zur Gefahrenabwehr.
Kein gutes Aushängeschild, weder für die kirchliche noch für die kommunale Gemeinde. Was also wäre eine befriedigende Lösung für das größte, ansehnlichste und älteste Haus im Dorf?
Ich sehe drei wesentliche Faktoren, die sich geändert haben und die uns nun zum Handeln bewegen: der Mitgliederschwund innerhalb der Kirchen, der auch andere Körperschaften wie zum Beispiel Parteien und Vereine trifft, die demografische Entwicklung auf dem Lande und erforderliche bauliche Veränderungen an den Kirchen durch Klimawandelanpassungsmaßnahmen. Wir müssen verhindern, dass an vielen Dorfkirchen in der Zukunft provisorische Bauzäune errichtet, Blechdächer montiert und auf Dauer die Kirchen geschlossen werden.
Bauzäune und Blech statt dörflicher Denkmale. Mindestens jede dritte Dorfkirche könnte betroffen sein. Sie malen ein ziemliches Schreckgespenst an die Wand.
Nicht nur ich allein bin in großer Sorge. Aber wenn wir nicht gemeinsam versuchen, innerhalb der nächsten Jahre Lösungen zu erarbeiten, die zukunftsfähig sind, wird es genau darauf hinauslaufen. Wir müssen uns jetzt zusammensetzen, um nicht in zehn Jahren mit dem Rücken an der Wand zu stehen.
Viele der 1600 Dorfkirchen in Brandenburg werden vielleicht einmal im Monat oder zu den hohen kirchlichen Feiertagen genutzt – im Winter gar nicht. Die Dorfbevölkerung altert rapide, nur noch jeder zehnte Bewohner gehört der Kirche an. Was also tun?
Auch das ist ein Schwerpunkt unserer Tagung in Prenzlau. Nur genutzte Gebäude können auf Dauer erhalten bleiben. Es werden deshalb dringend Mit-, Um- und Weiternutzungskonzepte für Dorfkirchen gesucht. Die Ideen hierfür entstehen natürlich vor Ort. Wir werden bei der Tagung diese Themen mit den Akteuren vor Ort andenken und Beispiele zeigen. Es geht dort auch um die dringend erforderliche Vernetzung aller, die sich für die Zukunft der Dorfkirchen interessieren. Denn wenn wir von kirchlicher Seite den Bedarf nicht mehr haben und wir zugleich davon ausgehen, dass nur ein benutztes Gebäude überhaupt unterhalten und gepflegt werden kann, dann muss man sich Gedanken machen, was für Nutzungsalternativen möglich sind.
In den Dörfern fehlen Kneipen und Vereinsheime. Also hier ansetzen?
Warum nicht das Dorfgemeinschaftshaus in der Kirche – das wäre für einige Dorfkirchen eine Möglichkeit. Die Denkmalpflege muss natürlich frühzeitig einbezogen werden, da viele Fragen zu klären sind wie der Einbau einer Toilettenanlage oder einer Teeküche oder zur Barrierefreiheit. Auch für das Kirchenleben als Ganzes kann es ein großer Gewinn sein, wenn eine Kirche nachhaltig und mehrfach genutzt wird. Die Gefahr des Verlustes der Dorfkirchen als sakraler Raum aber auch als identitätsstiftendes Kulturgut wäre dann gebannt.
Manche denken an Privatisierung. Sparkassen oder Boutiquen, wo einst „Großer Gott wir loben Dich“ geschmettert wurde?
Das sind aus meiner Sicht keine gelungenen Beispiele für eine „Profanisierung“. Kirchen kann man nicht so einfach abgeben, das Symbol Kirche als Gebäude bleibt ja bestehen, auch wenn der Inhalt sich ändert. Es muss in jedem Fall eine Einzelbetrachtung erfolgen. Konzepte, die funktionieren, kann man nicht einfach von einem auf den anderen Ort übertragen. Vermeintlich gute Lösungen sollte man regelmäßig auf ihren Nutzen überprüfen.
Aber Leerstand oder seltene Nutzung können auch keine Lösung sein.
Kirche muss sich öffnen, insbesondere die betroffenen Kirchengemeinden vor Ort. Und zwar für Ideen anderer Akteure, die diesen Raum mitnutzen möchten. Da gibt es oftmals – verständlicherweise – erst einmal Vorbehalte und Zurückhaltung. Aber: Wenn Offenheit da ist, dann entsteht Diskussion und Lebendigkeit, egal ob sie von der christlichen Gemeinde oder der Dorfgemeinschaft ausgeht, und es entstehen Projekte für die Dorfkirchen und natürlich Partner. Dieser Prozess ist ein langer, aber auch interessanter Weg, da es um die Potenziale vor Ort geht und letztendlich um die Frage: Wie möchte ich hier leben?
Tagung „Dorfkirchen: Geliebt, aber akut bedroht“. Am 10. September 2021 von 10–17 Uhr im Gemeindezentrum St. Jacobi, Prenzlau.
Kontakt & Anmeldung online bis Sonntag, 9. August:
Kirchliches Bauamt der EKBO,
E-Mail: bauamt(at)ekbo.de
Telefon: 030 24344-389
Das Anmeldeformular finden Sie unter folgendem Link: kirchenbau.ekbo.de
Die Veranstaltung wird auch im Internet übertragen: