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Wir sind nicht für das Regelwerk da, sondern für die Menschen

Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie spricht „die Kirche“ mit Pröpstin Christina-Maria Bammel (CMB) und Bischof Christian Stäblein (CS) über Selbstkritik, die Macht von Kirchenleitenden, Fukushima, Missbrauchsskandale, die ökumenische Bewegung und den assistierten Suizid

Stäblein Bammel Interview
Pröpstin Christina-Maria Bammel und Bischof Christian Stäblein. Fotos: Matthias Kauffmann/EKBO

Ein Jahr Corona-Pandemie: Wie schauen Sie zurück? Waren wir als Kirche zu still, zu staatshörig? 

CMB: Das Wort „staatshörig“ halte ich in dem Zusammenhang für völlig unangebracht. Ich habe die Gemeinden alles andere als still erlebt. Es gab einen enormen Kommunikationsschub gerade im Bereich der neuen Medien. Vielleicht haben wir in den klassischen Medien nicht immer das platzieren konnten, was man sich wünschte, aber das lag mit Sicherheit nicht an einem verordneten Still-Sein. Wir sind als Kirche eine zivilgesellschaftliche Partnerin unter vielen und wollen gemeinsam durch diese Krise kommen. Das war nicht der Zeitpunkt, um in den 

Widerstand zu gehen. Was hätten Sie als Kirchenleitende anders machen müssen? Gibt es auch einen selbstkritischen Blick zurück?

CS: Ja, natürlich. Ich frage mich, wo haben wir Menschen allein gelassen, wo waren wir gerade am Anfang nicht genug für die Sterbenden da. Haben wir die Kinder im Blick gehabt, sind wir wirklich laut genug für die Öffnung von Kitas und Grundschulen eingetreten? Meine Sorge ist, dass wir bei den langfristigen Folgen der Pandemie erst noch aufwachen werden, wir sprechen ja schon von der Generation Corona.

Staatshörig? Nein, aber ich frage mich, ob wir das Eigene, was wir als kirchliche Stimme beizutragen haben, laut genug sagen. Es ist ja nicht unsere Aufgabe, die staatliche Stimme zu verdoppeln, sondern mit der eigenen auf das hinzuweisen: Sterben nicht verdrängen; mit der Endlichkeit umgehen; mit Trost bei den Sterbenden sein; Menschen, die an den Folgen der Pandemie leiden, stärken. Wir sind nicht für die Regulierung da, sondern für die Menschen.

Wie viel Gestaltungsmöglichkeit haben Sie überhaupt als Kirchenleitende? 

CS: Gut evangelisch sind wir als Kirche gemeinsam auf dem Weg und tragen beruflich und ehrenamtlich Verantwortung. Den Versuchungen in einer Pandemie – dass es in Krisen­zeiten etwas autoritärer werden darf – müssen wir als Kirche unbedingt widerstehen. Wir können in der Vielgestalt der evangelischen Kirche Impulse und Orientierung geben. Dafür braucht es mutiges Vorangehen – und auch da frage ich mich, ob wir das immer ausreichend getan haben. Damit die Kirche sich weiterentwickeln kann, ist es selten radikal genug!

Bedarf es nicht radikaler Reformen, damit die Jesusbewegung auch in Zukunft Salz der Erde sein kann?

CMB: Was sich in den Pandemiemonaten deutlicher gezeigt hat, ist die Bruchstelle oder auch Spannung zwischen dem, was die Gemeinden beherzt als ihre Verantwortung wahrnehmen und bei welchen Entscheidungen sie auf kirchenleitende Orientierung warten. Es tut uns also gut, insgesamt darüber nachzudenken, wie radikal unsere Erneuerung sein kann. Ein wesentlicher Teil der Erneuerung wird sein, sich an diese Eigenverantwortung zu erinnern. Wir können viel radikaler, disruptiver denken im Blick auf Erneuerung, organisatorische Verschlankungen, Entscheidungswege. Das hat uns die Pandemiezeit ins Stammbuch geschrieben. 

Ein anderes großes Ereignis jährte sich vor Kurzem, das Reaktor­unglück in Fukushima vor zehn Jahren: Haben wir daraus etwas gelernt? Geht das überhaupt?

CS: Es scheint sehr selten, dass man etwas aus der Geschichte lernt, aber Fukushima hat, zumindest in Deutschland, unmittelbar zu einem politischen Umdenken geführt. Der Ausstieg aus der Atomenergie in dem Tempo wäre ohne diese schreckliche Erfahrung sicher nicht so schnell umgesetzt worden. Eine Rückkehr zur Atomenergie, die derzeit wegen der umweltschädigenden anderen Energien diskutiert wird, hielte ich für einen Rückschritt. Im Blick auf den menschengemachten Klimawandel haben wir gelernt, dass wir unsere Energiegewinnung schneller, radikaler und nachhaltiger umstellen müssen, um die Schöpfung zu bewahren.

CMB: Die Kernkraft rettet nicht die Welt. Und bei aller Risikofolgenabschätzung ist der Risikofaktor unberechenbarer Mensch nicht einzufangen. Es gibt immer noch Luft nach oben bei der erneuerbaren Energie, und so lange die nicht ausgeschöpft ist, haben wir unsere Hausaufgaben nicht gemacht.

In der katholischen Kirche geht es rund. Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt scheint fast ihr einziges Thema zu sein, allenfalls schafft es noch die Bewegung Maria 2.0 in die Medien. Die evangelische Kirche hält sich mit Kommentaren zurück. Warum? 

CS: Die Schuld, die die Kirche, die beide Kirchen sich hier aufgeladen haben, ist grenzenlos. Jede einzelne Tat ist furchtbar und bedarf der Aufarbeitung. Jeder Übergriff ist einer zu viel, nie ist etwas gar zu entschuldigen. Ich will das so klar sagen. Und danach lässt sich nicht einfach so weiterreden … 

Es hat auch in der evangelischen Kirche furchtbaren Missbrauch gegeben, es ist überhaupt nicht angebracht, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Andererseits sind die Bedingungen sehr unterschiedlich und jede Kirche hat ihren eigenen Weg. Man muss über diese unterschiedlichen Bedingungen und Zusammenhänge reden und darf nicht alles in einen Topf werfen. Ich kenne viele römische Geschwister, die sehr unter diesen Geschichten leiden. Wir leiden mit ihnen.

Welche Impulse braucht die ökumenische Bewegung vor diesem Hintergrund heute?

CMB: Wir können Einheit nicht um jeden Preis herstellen. Unsere Zeit erlebe ich eher als eine Phase profilierter Verschiedenheit. Bei etlichen Themen sehe ich eher einen ökumenischen Abstand, ein Benennen der Differenzen – das macht Arbeit. Auch die Arbeit, die Differenz auszuhalten. Auf der anderen Seite gibt es eine gemeindliche Ökumene, die nicht ins Stocken geraten ist. Auf der katholischen Seite besteht meiner Einschätzung nach viel Angst. Angst und Sorge um institutionellen Erhalt, um Verlust von Macht und Einfluss. Es geht ja auch um Kontrolle – das mag nachvollziehbar sein, aber hinnehmbar ist es nicht. 

CS: Dem stimme ich zu. Wir brauchen ein gutes Aushalten profilierter Verschiedenheit, immer im Wissen um die vielen Gemeinsamkeiten. Ökumene läuft immer in Wellenbewegungen. Nur durch die Beschreibung profilierter Standpunkte wird wieder mehr offener Dialog möglich. Das erleben wir gerade auch bei der Frage nach dem gemeinsamen Abendmahl. Nach viel Hoffnung und Euphorie 2017 gehen wir jetzt durch ein Tal der Enttäuschung.

Dazu gehört der interreligiöse Dialog, der heute immer wichtiger wird und die Bedeutung der ökumenischen Dialoge fast ein wenig in den Hintergrund treten lässt. Die ökumenische Bewegung muss aufpassen, dass – wenn keine Fortschritte erzielt werden – sie nicht eines Tages von der Zeit überholt wird.   

Um den assistierten Suizid ist eine neue Debatte entbrannt. Sie, Bischof Stäblein, sagten vor Kurzem „zur falschen Zeit“. Was meinten Sie damit? Und was erwarten Sie von der Diskussion für das Klima in den kirchlichen Einrichtungen?

CS: In der Corona-Zeit ist unsere erste Herausforderung, Menschen beim Sterben zu begleiten und für alle Menschen die gleiche Würde des Lebens festzuhalten. Zu der Zeit eine Diskussion aufzubringen, bei der man aufpassen muss, dass am Ende nicht nur stehenbleibt, in kirch­lichen Einrichtungen sei nun der assistierte Suizid auch ein Angebot unter vielen, schien mir problematisch. Aber selbstverständlich ist die Debatte wichtig und nötig!

Ich verstehe Fulbert Steffensky, der sagt: „Mir sind alle glatten Antworten zuwider, sowohl die eine, die das Recht auf die absolute Selbstbestimmung postuliert, wie auch die andere, die auf der Unverfügbarkeit des Lebens und des Todes besteht.“ Es gibt keine einfachen Antworten, es geht ja oft um Grenzfälle, über die wir reden müssen. Auf der Ebene der Normen kann ich mir nicht vorstellen, dass in kirchlichen Einrichtungen der assistierte Suizid quasi „ins Portfolio“ aufgenommen wird, das ist abwegig. Als Allererstes bieten wir Sterbebegleitung und Sterbehilfe im klassischen Sinn an: Gebet, Dasein, Begleiten, keine falschen lebens­verlängernden Maßnahmen, gute Palliativmedizin.

CMB: Wir haben zurzeit eine besondere Konfrontation mit dem Tod; Todesängste sind ein gesellschaftliches Thema geworden. Darauf kann man unterschiedlich reagieren, mit Verdrängung oder mit Kontrollsehnsucht. Die Sehnsucht, den Todeszeitpunkt festlegen zu können, gehört dazu. Die derzeitige Diskussion offenbart, wie problematisch es ist, wenn wir auf diese Art Kontrolle über unsere Endlichkeit bekommen wollen. Wir müssen genau darauf schauen, wie sich der Diskurs über Selbstbestimmung gesellschaftlich verschiebt.

Welche Erwartungen haben Sie in diesem Jahr an die Karwoche und die Osterfeiertage?

CMB: Ich wünsche mir, dass wir uns in unserem Auftrag gegenseitig unterstützen und mit offenen Angeboten da sind für alle, die Schweres durchmachen mussten. Wir stehen miteinander vor dem Wunder, dass wir Herausgeführte sind und dass Gott Leben für uns bereithält.

CS: Gerade auch in diesem Jahr ist für mich das Feiern von Karfreitag und Ostern das Geführt-Werden in die Einsicht: Gottes Reihenfolge ist eine andere als unsere. Unsere ist leben und sterben, Gottes: sterben und leben. Das kann in der Pandemie viel Kraft geben. Es gibt ein Leben danach und darin, immer wieder.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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