Von Bischof Christian Stäblein
Die Kirche der Reformation im Aufbruch – das war ein leitendes Motiv der Frühjahrstagung der Landessynode der EKBO in der vergangenen Woche. Dabei stand den Synodalen und mir das Bild von Martin Luther in Worms vor Augen, sein Auftritt auf dem Reichstag am 18. April 1521, also vor 500 Jahren. Luthers Standhaftigkeit bringt entscheidende Bewegung in die evangelische Sache. Man wird den Mut des Mönches, aber auch die Bedeutung des Ereignisses vermutlich kaum hoch genug schätzen können. Der 18. April ist mit Fug und Recht ein heimlicher Reformationstag, eben weil der öffentliche, gesellschaftliche Faktor reformatorische Kirche da – im Wortsinn – unwiderruflich geworden ist. Das ist bis heute so.
Der Anspruch, dass die evangelische Kirche in den gesellschaftlichen Realitäten erkennbar wird, wurde auf der vergangenen Synodentagung nicht zuletzt durch das Grußwort der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey sichtbar. Dabei geht es nicht um Parteipolitik, es geht um eine der zentralen Aufgaben in der Pandemie und nach der Pandemie: die Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen, ihre Chancen zu Bildung und Lebensentfaltung. Das liegt uns als Kirche am Herzen.
Gesellschaftlich hingucken – „nach Worms“ gehört auch das zur DNA unserer Kirche. In den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts waren es nicht selten soziale Fragen, die das kirchliche Gefüge herausgefordert und auch geformt haben. Und es sind – wenn wir nur richtig hingucken – gerade wieder die sozialen Fragen, die uns in besonderer Weise umtreiben sollten. Die nach bezahlbarem Wohnraum etwa.
Pandemie und Armut
Besonders aufrütteln müssen uns derzeit Nachrichten, dass das Corona-Virus gerade die sozial Schwächeren trifft, weil: enge Lebensräume, wenig Ausweichmöglichkeiten. Dass es auch in unserem reichen Land Armut gibt, in der Metropole, aber auch auf dem Land, das wissen wir zwar, berührt uns aber oft erst, wenn wir die verschämten Bewegungen derer wahrnehmen, die in den Abfalleimern nach Verwertbarem suchen. Die Pandemie macht noch mal deutlich: Armut ist oft genug ein Gesundheitsrisiko.
Hingucken und aufbrechen
„Nach Worms“ lagen für die Kirchen der Reformation auch die gesellschaftlichen Fragen auf dem Tisch – mit der sozialen Erhebung der Bauern im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts und den steten Fragen nach Machtgefügen in und außerhalb der Kirche. Wenn ich also am vergangenen Wochenende an den Aufbruch und die Standhaftigkeit vor Kaiser und Fürsten in Worms erinnert habe, so will ich unterstreichen, dass eine evangelische Kirche „nach Worms“ über die gesellschaftlichen und sozialen Fragen nicht mehr hinweggucken kann und darf. Also hingucken und aufbrechen.