Mann mit einem alten Buch
Mann mit einem alten Buch

Sorbisches Stammbuch: Liebe, Hoffnung und Poesie

Der Förderverein „Zejler-Smoler-Haus“ in Lohsa erforscht ein 200 Jahre altes Poesiealbum, das
nicht nur von Freundschaft, sondern auch von sorbischer Zeitgeschichte zeugt
.

Von Andreas Kirschke

Lohsa/Łaz. Ganz oben steht die Liebe. Glaube und Hoffnung umranken sie. In der Mitte der Seite ist von studentischer Lebensfreude zu lesen. Mehrere Einträge sind in Latein geschrieben. „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr sein lebenlang“, schrieb Jan Arnošt Smoler (1816–1884) als
Student am 26. September 1836 frohgemut in das Stammbuch eines gewissen Görne. Der kaum 20-jährige Smoler studierte damals Evangelische Theologie in Breslau. Sein Vermerk ist einer der Einträge in
einem einzigartigen Poesie-Stammbuch, dem Vorgänger des klassischen Poesiealbums. Volker Kunert aus Dresden überließ es dank Vermittlung durch Chronist Siegfried Dankhoff in Friedersdorf dem Förderverein Begegnungsstätte „Zejler-Smoler-Haus Lohsa e. V.“ zur Forschungszwecken.

Das Buch ist erstaunlich gut erhalten

„Das Buch übernahm ich aus dem Nachlass meiner Familie. Meine Großmutter mütterlicherseits aus Pirna überließ es mir“, sagt Volker Kunert, seit 2004 ehrenamtlich engagiert im Landesverein Sächsischer Heimatschutz e. V.

Erstaunlich gut erhalten ist das Stammbuch mit Einband, Abbildungen und Schriftbild. Die Texte sind in Kurrentschrift geschrieben. Sogar gepresste Blütenblätter und Bildchen kommen im Album als
Anhänge zu den Texten vor. „Es ist ein wertvolles Zeitdokument. Es gibt Einblicke in die damalige Lebenswelt Anfang des 19. Jahrhunderts. Unser Verein und unser Haus tragen Jan Arnošt Smolers Namen. Somit ist das Stammbuch für uns wertvoll“, sagt Reinhardt Schneider vom Vorstand des Fördervereins.
„Es geschah aus reiner Freundschaft“, steht als Leitmotiv auf der ersten Seite des Albums. Die ersten Einträge von Louise Bensch, Johanna Säuberlich und Jan Arnošt Smoler stammen von 1836. Der letzte Eintrag stammt von 1887 von Luise Bartsch. Die Wohnorte sind der Verfasser sind vielfältig. Genannt werden neben Lohsa, Hoyerswerda, Ratzen, Baruth, Bernstadt, Wartha, Höckendorf auch Lommatzsch, Domselwitz Eiserode und Mügeln. Die Einträge künden von Liebe, Freundschaft, Glauben und Hoffnung.

Poesie entschlüsseln

Intensiv befasste sich der Förderverein in Lohsa mit dem Stammbuch. Reinhardt Schneider und
Andreas Löpke sichteten Eintrag für Eintrag. Sie übertrugen die lateinischen und altdeutschen Einträge
in heutiges Deutsch. Historikerin Annett Bresan, Leiterin des Sorbischen Kulturarchivs im Sorbischen Institut in Bautzen, übersetzte mühsam und sorgfältig die sorbischen Beiträge ins Deutsche. „Das Schwierige war, die verschiedenen Handschriften zu entschlüsseln. Oft haben wir uns zunächst ein Wort, eine Wortgruppe, eine ganze Zeile erschlossen und dann den Gesamt-inhalt im Zusammenhang“, unterstreicht Andreas Löpke.

Die Kurztexte künden nicht nur von innigen Beziehungen, sondern auch von tiefem Gottvertrauen. Sie unterstreichen den Wert der Freundschaft und des Zusammenlebens.

Das Spiel des Lebens

Erwähnt ist unter anderem die Figur Thekla aus Friedrich Schillers Drama-Trilogie „Wallenstein“. „Das Spiel des Lebens sieht sie heiter an, wenn man den sichern Schatz im Herzen trägt; und froher kehr
ich, wenn ich es gemustert, zu meinem schönern Eigentum zurück“, vermerkt jener Gruß.

Immer wieder stößt der Leser auf leidenschaftliche und liebevolle Bekenntnisse zur Freundschaft mit jenem Görne, der den Schriftsteller Smoler in seinem Beitrag zitierte.. So schrieb am 20. Dezember 1837 Friedrich Krümmer, der Kantor und Schullehrer aus Baruth: „Freund! Hoffe mit und fürchte nichts auf Erden. Mit Leidenschaft –und du wirst glücklich werden. Befiel dem Herrn deine Wege, und hofft auf ihn, er wird alles wohl machen. (Psalm 37,5) “ Karoline Krümmer, geborene Säuberlich, schrieb ebenso am 20. Dezember 1837: „Die Zukunft sei dem Himmel heimgestellt; stets kommt der Brave glücklich durch die Welt.“ Am 12. Januar 1838 schrieb ein weiterer Freund des Albumbesitzers aus Wartha: „Wahre Freundschaft dauert fort, kennt weder Zeit noch Ort. Ohne Raum und ohne Zeit, lebt sie fort in Ewigkeit.“

Dokument der Zeitgeschichte

Immer wieder kommen im Album geografische Begriffe vor. So ist von „Altsachsland“ und „Neupreußland“ die Rede. Diese geografischen Begriffe deuten auf die rigorose Teilung der Oberlausitz 1815 nach dem Wiener Kongress in sorbisch-preußische Oberlausitz und sorbisch-sächsische Oberlausitz hin. Immense Fleißarbeit liegt hinter Annett Bresan, Reinhardt Schneider und Andreas Löpke. Inzwischen liegt ein ganzer Ordner mit sämtlichen Einträgen im Original und in der übersetzten Fassung, vor. Der Verein forscht weiter. „Wir sind für jeden Hinweis dankbar. Jeder Interessierte kann sich das Album ansehen“, sagt Andreas Löpke. „Möglich ist das zu unseren Öffnungszeiten montags und donnerstags.“

Weitere Infos zum Verein:
www.zejler-smoler-haus-lohsa.de

Zum Foto: Andreas Löpke zeigt das Poesie-Stammbuch der Familie Görne. Noch sind einige Fragen zur Herkunft des Buches ungeklärt. Der Förderverein Begegnungsstätte „Zejler-Smoler-Haus“ ist für jeden Hinweis dankbar. Foto geschossen von Andreas Kirschke

Aktuelles

Eine Urne im Wald

Letzte Ruhe – die Friedwaldbestattung

Eine naturnahe und nachhaltige Bestattungsmethode: In abgegrenzten Waldstücken bekommen kompostierbare Urnen eine Baumgrabstätte. Sabine Hoffmann erklärt, wie die Prozedur abläuft und warum keine Kränze oder Grabgestecke erlaubt sind.

Weiterlesen »
Ein Schwarz-Weiß-Foto von zwei Männern mit Koffern

1986: Ost-West-Friedensvertrag am Küchentisch

Im Sommer 1986 verfassen zwei junge Männer, einer aus dem Westen, der andere aus dem Osten, an einem Ostberliner Küchentisch einen Friedensvertrag: gegen Feindbilder und gegen verbale Mobilmachung. Veränderungen fangen klein an, mit persönlichen Vertrauenserklärungen. Eine Erinnerung von Pfarrer Thomas Jeutner.

Weiterlesen »

Newsletter