Haus im Grünen

Kirchengemeide am Fennpfuhl wird 40

Zurückhaltend und nach allen Seiten offen: Das Gemeindezentrum am Fennpfuhl im Berliner Bezirk Lichtenberg wird 40 Jahre alt. Es war das erste Projekt eines DDR-Sonderbauprogramms für die Kirche. 85 000 Mark aus Spenden brachten die Lichtenberger selbst auf

Von Tanja Kasischke

Die Birke im Innenhof des Gemeindezentrums und der Mann, der ihr gegenüber auf einer Bank Platz genommen hat, haben etwas gemeinsam: Sie sind hier fest verwurzelt. Sie gehören seit 40 Jahren dazu. Der Baum durchgehend, Jens Galley mit Unterbrechungen. Ihn zog es eine Zeit lang hinaus, in andere Kontexte und zu neuen Lebensmittelpunkten, wobei er der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Lichtenberg nie ganz abhandengekommen ist, denn ihre Geschichte ist eng mit der eigenen Familiengeschichte verwoben. „Ich fühle mich heimisch, ja“, bestätigt er, und setzt lächelnd hinzu, „ich habe auch einen Schlüssel.“ Seit 2007 ist Galley Mitglied im Gemeindekirchenrat, seit 2019 Vorsitzender. An der Geschichte des Gemeindezentrums am Fennpfuhl mitgeschrieben hat vor ihm schon ein anderer, sein Vater Klaus Galley, und das sogar im Wortsinn als Chronik. Er war 1976 als Pfarrer in die Gemeinde im neu entstehenden, gleichnamigen Lichtenberger Wohngebiet berufen worden. Für den damals 13-jährigen Sohn „eine deutliche Verbesserung zum Berliner Stadtrand“, wo die Familie zuvor gewohnt hatte.

Junge Familien und neue Formate

„Das war ein junger Stadtteil, dorthin zogen überwiegend Familien. Es gab viele Kinder, dagegen fehlte die Altersgruppe der 45- bis 65-Jährigen fast komplett“, erinnert sich Jens Galley. Das habe sich auf die Gemeindearbeit ausgewirkt, die basisnah und dezentral war – und blieb. Klaus Galley und dessen Pfarrkollege Otto Freyer, Inhaber der ersten Pfarrstelle am Fennpfuhl, stellten ihre Arbeit durch Besuche im Wohngebiet auf gesunde Füße, initiierten Hauskreise und teilten die Verantwortung mit den anderen Hauptamtlichen sowie der ehrenamtlichen Gemeindeleitung, wie der Gemeindekirchenrat genannt wurde.

Neuer Stadtteil, neue Gemeinde, neue Formate

„Mit den althergebrachten Begriffen konnte die Gemeinde wenig anfangen“, meint Jens Galley, „es gab auch keine Christenlehre und keinen Konfi-Unterricht, sondern den Treff für Kinder und Jugend -liche verschiedenen Alters.“ Was anderswo als fehlende Tradition kritisiert worden wäre, wurde in Lichtenberg zum Alleinstellungsmerkmal, sprach sich herum – und erreichte auch Menschen, die nicht zur Kerngemeinde zählten. „In allen Gruppen, die ich erlebt habe, waren Personen dabei, die mitgebracht wurden und keinen kirchlichen Hintergrund hatten.“

Von der Baracke zur Kirche

Perspektivisch wünschten sich die evangelischen Christ*innen am Fennpfuhl ein Dach über dem Kopf. Bis zur Einweihung des Gemeindezentrums feierten sie einmal im Monat Gottesdienst in der Pfarrkirche am Loeperplatz, während der kalten Monate in einer besser beheizbaren – inzwischen abgerissenen – Baracke auf dem Grundstück des alten Pfarrhauses an der Möllendorffstraße. Ein angedachter Kirchenneubau schien groß gedacht – und teuer. Doch sicherte Bischof Albrecht Schönherr zu, das Vorhaben im Blick zu behalten. Und er stand zu seinem Wort: Zwei Jahre darauf, 1978, schrieb eine Vereinbarung zwischen DDR-Regierung und Evangelischer Kirche zehn Baugenehmigungen von „Kirchen für neue Städte“ in der DDR fest. „Das Land brauchte Devisen“, bringt es Jens Galley auf den Punkt, „das Geld für die Neubauten floss aus Westdeutschland.“ Auch nach Lichtenberg, wo der Fennpfuhlpark als Standort benannt wurde. Dort, wo Gemeinde schon im Bau war, nahe bei den Menschen.

Kein Kreuz aus Gold

Eine Million Mark kostete der Neubau des Berliner Architekten Horst Göbel und passte sich inhaltlich und optisch in seine Umgebung ein: zurückhaltend-schlicht, nach allen Seiten offen. „Das war die Bedingung, dass wir im Park bauen durften“, erinnert sich Jens Galley, „das Gebäude durfte nicht umzäunt werden.“ Eine Zusicherung, die der Gemeinde leichtfiel: Ein Zaun habe nicht zur Debatte gestanden, ebenso wenig wie das von Göbel vorgesehene, vergoldete Kreuz auf dem Dach des achteckigen Kirchenraumes, der in das einstöckige Gemeindezentrum übergeht. Der Goldanstrich passte nicht zum Selbstverständnis der Lichterberger. Das Kreuz blieb kupfern, wie das Dach. Seiner Zeit voraus war der Neubau bei der Barrierefreiheit, die wichtig war, weil zur Gemeinde seit 1981 ein inklusiver Hauskreis gehörte.

Keine Glocken im Neubaugebiet

Unberücksichtigt blieben Glocken, deren Klang die hochgeschossigen Häuserfassaden der Umgebung ohnehin geschluckt hätten. Und auf Weisung der Gemeindeleitung verzichtete Architekt Göbel auf ein repräsentatives, vorgelagertes Pfarrhaus mit Parkblick. Stattdessen entstand für die Dienstwohnungen der Hauptamtlichen ein zweckmäßiger Flachbau.
Bezogen haben ihn jedoch weder Klaus Galley und seine Familie, noch Otto Freyer. Beide Pfarrer stellten den Raum ihren Mitarbeitenden zur Verfügung. „Acht bis zehn Hauptamtliche hatte die Gemeinde vor 40 Jahren“, rechnet Jens Galley nach, doppelt so viele wie heute „das lässt sich nicht mehr vergleichen. Damals waren es auch mehr Menschen.“ Heute ist das Haus vermietet.

Einige Hauskreise bestehen noch heute

Rund 4 700 Mitglieder zählt die Kirchengemeinde Lichtenberg aktuell. Der Bereich am Fennpfuhl und der Alt-Lichtenberger Gemeindeteil, ehemals Pfarr- und Glaubensgemeinde, fusionierten 2013. Die dezentrale Gemeindearbeit, in die sich viele hineingenommen fühlen und fühlen dürfen, ist geblieben. Neben dem klassischen Sonntagsvormittagsgottesdienst – alternierend in der Pfarrkirche und im Gemeindezentrum – gibt es Abendgebete, Formate für Familien, Andachten mit Kantorei und Posaunenchor.
Einige der in den 1970er Jahren gegründeten Hauskreise bestehen bis heute. Klaus Galley nimmt mit nunmehr 90 Jahren noch an zweien teil. „Bei der Eröffnung 1984 war ich noch dabei, danach kamen das Studium und ein neuer Lebensabschnitt“, sagt Jens Galley. Er hat im Gemeindezentrum kirchlich geheiratet, zog aber aus dem Gemeindegebiet weg. Inzwischen hat er sich zurück nach Lichtenberg um -gemeinden lassen.

Gäste aus dem Westen

Zwei Wochen, von 8. bis 23. September 1984, feierte die Gemeinde die Einweihung ihres „Fennis“. Das nützte den westlichen Partnergemeinden, die nicht alle zugleich anreisen durften: Sie kamen in Etappen. Die Delegation der Patmos-Gemeinde Berlin-Steglitz pflanzte ein Bäumchen, jene nun stattlich gewordene Birke im Hof des Gemeindezentrums. Die Gruppe aus Mönchengladbach stiftete modulare Schiebewände, die im Gebäude Kirchraum- und Gemeinderäume verbinden; ein eher unemotional-zweckmäßiges Geschenk. Aber passend, denn für die Innenausstattung, insbesondere das Apostelfries im Foyer, den Altar und das Kreuz des Dresdner Bildhauers Friedrich Press, hatte die Gemeinde selbst Sorge zu tragen: 85 000 Mark Spenden kamen dafür zusammen. Für den Einbau einer Orgel reichte es nicht mehr. Ehe 1991 ein Instrument gekauft werden konnte, „sang die Gemeinde a cappella“, erinnert sich Jens Galley. Mit Ausnahme der Christvesper am Heiligabend: Da wurde das Orgelspiel in der Pfarrkirche aufgezeichnet, das Tonband lief zum Gottesdienst im Gemeindezentrum am Fennpfuhl.

Die Kirchengemeinde Berlin-Lichtenberg feiert das 40-jährige Bestehen ihres Gemeindezentrums am Fennpfuhl mit einem Fest am Sonntag, 8. September, ab 11 Uhr, Paul-Junius-Straße 75.

Foto: privat

 

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