Schulterstücke für eine Uniform mit Spaten

Bausoldaten in der DDR

Wenn Schwerter zu Spaten werden. Sie haben Geschichte geschrieben. Doch das einzige Museum, das an sie erinnert, schließt. Warum 60 Jahre Bausoldaten nicht in Vergessenheit geraten dürfen

Von Bettina Röder

Der Weg ist weit und die Sonne brennt. 4 1/2 Kilometer zieht sich die schmale Straße an den ehemaligen Nazi-Ruinen des Seebades Prora. Manches ist saniert, Schuttberge türmen sich, Baufahrzeuge wirbeln vor dem Kiefernwald Staubwolken auf. Dahinter das weite Meer. Doch nicht nur Hitlers Pläne für ein gigantisches Erholungszentrum „Kraft durch Freude“ haben hier Geschichte geschrieben. In Prora auf der Insel Rügen war mitten in einem riesigen Militärkomplex, den die DDR hier eingerichtet hatte, der größte Stützpunkt der DDR-Bausoldaten untergebracht: jener waffenlosen Alternative zum Wehrdienst in der „Nationalen Volksarme“ (NVA), die auf Drängen der Kirchen 1964 eingerichtet worden war.

Anordnung zu Bausoldaten vor 60 Jahren

Die im Ostblock einmalige Anordnung des Nationalen Verteidigungsrates trat am 7. September vor genau 60 Jahren, in Kraft. 15 000 junge Männer machten bis zur Friedlichen Revolution 1989 davon Gebrauch. Mit ihren steingrauen Uniformen und dem Spaten auf den Schulterklappen waren sie bis zum Ende der DDR in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar. Umso mehr haben sie Geschichte geschrieben und maßgeblich zur Friedlichen Revolution beigetragen.

Angenehm kühl sind an diesen heißen Tagen die Räume, die davon erzählen. Sie befinden sich in der ehemaligen Hauptwache des Armeegeländes, präsentiert vom „Prora-Zentrum“. Stefan Gerber, 46 Jahre alt, ist pädagogischer Mitarbeiter. Nicht nur aus der benachbarten Jugendherberge kommen Jugendliche, die er durch Ausstellungen führt, zu Workshops einlädt, Interesse für ein ihnen völlig unbekanntes Thema weckt. Neben Schautafeln kommen in einem kleinen Raum in einem Film mit dem Titel „Schwerter zu Spaten“ Bausoldaten zu Wort.

Ihnen allen war klar, dass sie möglicherweise auf berufliches Fortkommen, ein Studium etwa, verzichten mussten. Doch die Reihe der Bausoldaten in diesem Film ist eher ein Who’s who ostdeutscher Prominenz: Sie reicht von Friedrich Kramer, dem Friedensbeauftragten der EKD und Bischof in Mitteldeutschland, über den früheren Kultusminister von Sachsen-Anhalt, Stefan Dorgerloh. Vertreten sind der Liedermacher Gerhard Schöne, der frühere Schweriner Bischof Andreas von Maltzahn wie auch Rainer Eppelmann, Abrüstungs- und Verteidigungsminister der einzigen freigewählten DDR-Regierung. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Leben, die deutlich machen, dass sich Engagement sehr wohl lohnt, auch wenn es keine Aussicht auf Karriere verspricht.

Mit Badehose und Taucherglocke

„Arbeitssklaven für Mukran“ seien sie hier gewesen, sagt Friedrich Kramer: Sie schufteten beim Ausbau des Hafens. Mit Badehose und Taucherglocke ausgestattet mussten sie unter Wasser den Boden ausheben. Andere Bausoldaten wurden an giftigen Arbeitsplätzen wie im Chemiekombinat Bitterfeld eingesetzt. Doch Stefan Dorgerloh erinnert auch an das, was sich nicht erledigt hat: „Wir haben über Wege aus der Übermacht des Militärs und für eine gerechtere Welt diskutiert.“ Und: „Wenn wir heute so viel Kraft in eine Friedenslösung steckten, wie für den Krieg, wäre viel gewonnen auf der Welt.“

Verein „DenkMal Prora“ hält Erinnerung wach

„Die Bausoldaten“, sagt Stefan Stadtherr Wolter, „das ist die Geschichte der Gewaltlosigkeit.“ Er war 1984 bis 1986 in Prora stationiert. 18 Monate, die hart waren, ihm aber auch Kraft für die Zukunft gegeben haben. In zahlreichen Büchern hat der Medizin- und Militärhistoriker das Engagement der Bausoldaten festgehalten, sich wie kaum ein anderer für die Erinnerung an sie starkgemacht. Gegen alle Widerstände kämpft er dafür, dass DDR-Geschichte und insbesondere die der Bausoldaten „nicht abgeräumt“ wird. Sein Verein „DenkMal Prora“ informiert im Netz, er hat für eine Gedenktafel in Prora und vieles andere gesorgt. Unvergessen ist ihm, wie die Bausoldaten nach einem Streit mit den Vorgesetzten mit Kerzen aus ihren Zimmern traten. „Wir haben gelernt, dass Überzeugungsarbeit möglich ist und der Dialog so wichtig“, sagt der engagierte Autor. Dass heute nur aufgerüstet wird, der Dialog zwischen verfeindeten Lagern so gut wie unmöglich geworden ist, bringe die Welt nicht weiter und widerspreche aller christlicher Überzeugung.

Bausoldaten für „sozialen Friedensdienst“

Dabei war gemessen an der Sollstärke der DDR-Volksarmee von 135 000 Mann die Zahl der Bausoldaten gering. Doch haben sie die Friedensarbeit der Kirchen maßgeblich beeinflusst. Dazu gehören Friedensseminare in Königswalde, Meißen oder Leipzig, die von ihnen ins Leben gerufen wurden. Bausoldaten waren es auch, die 1981 in Dresden zur Einführung eines „sozialen Friedensdienstes“ als Alternative zum Wehrdienst aufriefen und die Zustimmung von mehreren tausend Unterzeichnern wie auch der Evangelischen Kirchen in der DDR bekamen. Noch im Dezember 1989 wurde ein erster sozialer Friedensdienst in einem Dresdner Krankenhaus eingerichtet, maßgeblich von dem ehemaligen Bausoldaten und späteren Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider vorangebracht.

Thomas Jeutner, Pfarrer an der Versöhnungskirche in Berlin, war einer von 20 Bausoldaten, die in Neuenhagen bei Oderberg das KFZ-Reservelager des Verteidigungsministeriums in Strausberg warten mussten. Das war Anfang der 1980er Jahre, als weniger restriktiv gegen sie vorgegangen wurde. Doch er wurde kurz nach Studienbeginn exmatrikuliert. Als ehemaliger Bausoldat hat er sich geweigert, die Verpflichtung zum Reserveoffizier zu unterschreiben.

Fauler Kompromiss

Unvergessen ist ihm die Vereidigung. Einer der Bausoldaten hatte sich geweigert, die Zivilsachen gegen die Uniform zu tauschen und wurde nach Schwedt ins Militärgefängnis gebracht. „Da habe ich kapiert“, sagt Thomas Jeutner, dass das mit den Bausoldaten auch ein fauler Kompromiss war, weil sie Teil der Armee mit Befehl und Gehorsam waren. Unter anderem Vorzeichen sei das bis heute so. Darum wünsche er sich statt ständiger Rede von neuer Wehrpflicht eine Diskussion über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

Roger Thomas, Pastor in Mecklenburg-Vorpommern, war in Leipzig-Gohlis stationiert. In Erinnerung sind ihm Begegnungen in den Kneipen mit politisch wachen Arbeitern und sogar Kontakte zu sowjetischen, auch NVA-Soldaten. Zur Sprache kam 1981 Solidarnosc, was seinem Freund, dem Holzbildhauer Thomas Kretschmer, im Jahr darauf zum Verhängnis wurde. Er verschickte ein Batiktuch mit der Aufschrift „Lernt Polnisch!“ und wurde vom Militärgericht zu vier Jahren und vier Monaten Haft verurteilt.

Prora-Zentrum steht vor der Schließung

Mut und Aufrichtigkeit als Maßstab für die Zukunft. Doch da wird die Luft dünner. Das Prora-Zentrum als einziger Ort Deutschlands, der an die Bausoldaten erinnert, soll am 3. Oktober geschlossen werden. Aus finanziellen Gründen, wie es heißt. In guten Zeiten besuchten das 2001 gegründete Zentrum 20 000 Menschen pro Jahr, so Leiterin Susanna Misgajski. Der Archivbestand geht nun an den Insolvenzverwalter der Stadt Binz. Pläne, dass das Dokumentationszentrum Prora, das sich mit der NS-Zeit beschäftigt, sie übernimmt, sind vage. Christian Dinse vom Dokumentationszentrum sagt: „Wir hängen selbst seit Jahren in der Luft, haben keinen festen Mietvertrag.“ Der Politikwissenschaftler hat auf seinem Computer so allerlei über die Bausoldaten gesammelt, bezieht Schüler, so gut es geht, in die Erinnerungsarbeit ein. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

„Als ein Ort, an dem Demokratie mit Stiefeln getreten wurde, bietet Prora die Chance, Demokratie für die Zukunft zu lernen“, sagt der ehemalige Bausoldat Stephan Schack. Mit anderen hat er den Förderkreis „Bausoldaten Prora e.V.“ gegründet. Dass nun der einzige Ort zu dieser Geschichte wegfällt, mache ihn „enttäuscht und wütend“.

Auf Initiative von Stefan Stadtherr Wolter haben vor geraumer Zeit 17 000 Menschen eine Petition für den Erhalt des Gedenkens auf Prora unterschrieben. Und dann gibt es von ihm diese Idee: an jedem der etwa 80 Standorte, an denen es Bausoldaten gab, als Zeichen ihrer großen Wirkung einen kleinen Friedensbaum zu pflanzen.

Foto: Imago/Sylvio Dittrich

Aktuelles

Newsletter