Zum Tag des offenen Denkmals erklärt Anne Haertel, Geschäftsführerin des Förderkreises „Alte Kirchen Berlin-Brandenburg“, wie man alten Dorfkirchen zu neuem Glanz verhelfen könnte.
Am 8. September kommen die Kollekten der EKBO dem Förderverein „Alte Kirchen“ zugute. Die neue Geschäftsführerin Anne Haertel zeigt ideenreich, wie alte Dorfkirchen in der Region nicht nur bewahrt, sondern auch neu belebt werden können.
Frau Haertel, was sollte Ihrer Meinung nach mit maroden oder kaum noch genutzten Kirchen geschehen?
Anne Heartel: Ob wir über marode Kirchen oder über nicht genutzte Kirchen sprechen, sind zwei Paar Schuhe. Was meinen Sie, wenn Sie von maroden Kirchen sprechen? Zur Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands befanden sich viele Dorf- und Stadtkirchen im Land Brandenburg in einem erbärmlichen Zustand. Grund waren die Kriegsschäden und die nach 1945 nicht erfolgten notwendigen Wiederaufbau- oder Restaurierungsmaßnahmen. Hier wurde in den vergangenen 35 Jahren sehr viel von vielen Menschen vor Ort und auswärtigen Kirchenliebhabern geleistet. Die allermeisten Kirchengebäude, die Sie als „marode“ ansehen und die heute erhebliche und sehr teure Schäden aufweisen, sind aufgrund von Baufehlern, von Unwettern, von Schädlingsbefall, von Gründungs-oder Statikproblemen und anderen Ursachen und manchmal von zu später Entdeckung und zu wenig Beobachtung entstanden.
Alternative Nutzungsformen für Dorfkirchen
Welche alternativen Nutzungsweisen sehen Sie für Dorfkirchen in ländlichen Gebieten?
Ich kann mir für Dorfkirchen sehr viele Nutzungen vorstellen, vor allem solche, die den Charakter des Gebäudes erhalten, die eine öffentliche Weiternutzung ermöglichen und dem ganzen Gemeinwesen zu Gute kommen. Mir gefallen auch multifunktionale Nutzungen, mit einem Teil für kirchengemeindliche Zwecke und einem Teil für ortsgemeindliche oder andere Zwecke, wie es das bereits gibt.
Wenn wir aber über alternative Nutzungen sprechen, dürfen wir nicht darüber hinwegsehen, dass wir als Förderkreis zahlreiche Beispiele kennen, wo Initiativen vor Ort sich für ihre Kirche einsetzen und Nutzungen entwickelt haben. Es ist meines Erachtens in Brandenburg nicht so, wie die derzeitige Berichterstattung bisweilen den Eindruck vermittelt, dass die Hälfte der Kirchen nicht genutzt würde.
Gottesdienst ist nicht mehr Maß aller Dinge bei der Nutzung
Wahr ist nur, und nicht ausreichend differenziert, dass der Besuch des Sonntagsgottesdienstes nicht mehr das Maß der Dinge sein sollte. Für die alternative Nutzung muss man sich das Potenzial der Dorfkirche und die Bedarfe in der Gegend vor Augen führen.
Ich würde touristische Nutzungen prüfen und ausschöpfen. Dann könnten regionale Bedarfe, wie Veranstaltungsraum, Aufnahmestudio, Übungsräume von Musik-und Kunstschulen, Bibliothek, Museum oder auch ein Vereinshaus passend sein. Für all das gibt es bereits Beispiele. Ich bin nicht für einen Verkauf der Gebäude, sondern für eine vertragliche Nutzungsregelung.
Welche Finanzierungsmöglichkeiten gibt es zur Sanierung von baufälligen Kirchen?
Es gibt neben den kirchlichen Mitteln diverse Finanzierungsmöglichkeiten über EU-Programme wie „Leader“, Landesförderung, aus Denkmalschutzmitteln, Stiftungen, von Sparkassen, Strukturfonds, privaten Spenden. Andere Ressorts werden manchmal vergessen, wie Klimaschutz, Naturschutz oder Infrastruktur. Wichtig ist hier eine gute Kenntnis in den Programmen, eine sachgemäße Beantragung und eine offene Kommunikation mit den Mittelgebern. Ich plädiere sehr dafür, diese Förderungen weitestgehend auszuschöpfen.
Weitere kreative Möglichkeiten liegen bei den kirchengemeindlichen Einnahmen beziehungsweise deren sozialem aber klugen Wirtschaften. Manche Gemeinden haben Einnahmen aus Windradenergie, Vermietungen von Wohnraum oder auch der Kirche für Veranstaltungen oder auch Beerdigungen. Andere Kirchengebäude besitzen Liebhaber, die finanziell und ideell sehr viele Spenden in die Kirche investieren.
Fördertöpfe regional und landesweit heben
Darüber hinaus gibt es Patenschaftsmodelle, die noch weiter ausgeweitet werden könnten, zum Beispiel für Orgelpfeifen. Dazu kommen Spendenaktionen der örtlichen Förder- und Kirchbauvereine und Gemeinden: vom 3-Kirchen-Lauf für die Kirche in Wolsier bis zum Projekt „Musikschulen öffnen Kirchen“, das mit Konzerten gezielt Spenden für den Kirchenerhalt sammelt. Eine der witzigsten kreativen Ideen finde ich die aus Kamenz in Sachsen, die sich „Socken für Glocken“ nennt. 50 Frauen strickten 900 Paar Socken, die gegen eine Spende zu bekommen waren.
Wie bewerten Sie die Möglichkeit, marode Kirchen teilweise abzureißen oder zurückzubauen, um die Instandhaltungskosten zu senken?
Wir sprechen hier im Osten fast ausschließlich von historischen Kirchengebäuden, die aus der Zeit des frühen Mittelalters bis vor 1939 erbaut wurden. Keine dieser Kirchen rechtfertigt einen Abriss. Allein die Kosten dafür sind enorm. Wenn die zurzeit praktizierte Notsicherung nicht mehr finanzierbar ist, würde ich ein „wüst fallen lassen“ immer noch einem Abriss vorziehen. Erfahrungsgemäß ändern sich Realitäten schneller als Prognosen. Nicht selten sind im Zuge solcher Entscheidungen Menschen für Kirchen aktiv geworden und mit ihnen stellte sich schließlich auch die Nutzung ein.
Die Fragen stellte Joana Lewandowski.