Verzweifelt betende Frau mit gefalteten Händen
Symbolfoto. Imago / YAY Images

Warum lässt Gott das zu?: Die Resilienz des Hiob

Die Theodizeefrage beschäftigt Menschen seit Jahrhunderten. Der biblische Hiob wird zum Sinnbild dieser Suche nach Antworten. Warum lässt Gott das zu? Wie können wir mit Leid, Zweifel und der Sehnsucht nach Frieden leben, ohne den Glauben zu verlieren?

Von Katharina Scherer

Warum lässt Gott das zu? Diese Frage kenne ich, seit ich bewusst über Krieg nachdenken kann: Wieso lässt Gott das zu? Oder im persönlichen Kontext: Wieso ­passiert das mir? Schon oft habe ich mir selbst diese Frage gestellt, ­bevor ich wusste, dass sie einen ­Namen hat: Theodizeefrage.

Zunächst eher als philoso­phisches Rätsel. Später auch als existenzielle Klage. Und dann als empathisches Mitfragen. Immer ohne Antwort, nur bruchstück­haftes Tasten, Fragen, Aushalten. Wie Hiob einmal wütend (Hiob 14,13), dann wieder hoffend (Hiob 14,15). Manchmal auch resigniert, entnervt von dieser Frage, auf die es keine zufriedenstellende Antwort gibt. Das gesamte Buch Hiob ringt um diese Frage des unschuldigen Leidens. Warum schafft Gott, allmächtig, das Leid in unserer Welt nicht einfach ab?

Wenn die Theodizeefrage nervig wird

Wenn ich ehrlich mit mir bin, nervt mich diese Frage immer dann, wenn ich nicht hinschauen will. Wenn ich die Sehnsucht nach dem Heilsein – innen wie außen – die Sehnsucht nach Frieden, nach dem Sinn, stillhalten will. Wenn ich mich nicht damit beschäftigen möchte, dass das Leben kostbar ist und letztlich doch eben ein Augenblick im All.

Hiob resigniert nicht. Er bleibt dran, auch wenn die Sehnsucht anstrengt, wütend oder traurig macht. Mit Hiob bleibe ich als Mensch an Gott dran. An der Sehnsucht nach dem Heilsein, nach Frieden in mir und für die Welt. Hiob ist für mich ein Vorbild an Resilienz, an Anpassungsfähigkeit und Widerstandskraft, die es ihm ermöglichen, ­Krisen zu meistern und gestärkt ­daraus hervor­zugehen.

Mit Hiob gelassener werden

Ich kann mit Hiob klagen, Gott in ­einen Streit verwickeln, all mein Unverständnis über die Ungerechtigkeiten im Großen und im Nachbarschaftlichen laut werden zu ­lassen. Ich kann mit Hiob meine Ambiguitätstoleranz trainieren, das heißt die Fähigkeit, mehrdeutige ­Situationen produktiv zu hand­haben: Ich kann würdigen, dass mein Leben ein Geschenk ist. Die Natur ist ein Wunder – und ich ­stehe mittendrin. Und gleichzeitig kann ich mir vor Augen halten, dass mich Leid treffen kann – unvorhersehbar, unverständlich, sinnlos – und dass all die Emotionen, die damit einher­gehen, ihre Berechtigung auch vor Gott haben. Mit Hiob übe ich die Sehnsucht nach dem Heilsein als ständiges Dranbleiben.

Vielleicht ist das so mit den ­großen Lebens­fragen, die in uns ­rumoren, die wir nie ganz auflösen können, auch wenn sie manchmal nerven: Sie drängen uns dazu, sie immer wieder neu zu bedenken, sich an ihnen auszurichten, den eigenen Lebensstil zu prüfen, sich neu zu orientieren. Um mit uns selbst in Kontakt zu bleiben. Und über einen solchen und eine solche hält Gott die Augen offen. Und fragt sich vielleicht auch manchmal: „Wieso habe ich das zugelassen und lasse es jeden Morgen aufs Neue zu?“ Und kennt vielleicht die Antwort.

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