Raum mit Stellwänden, an denen Plakate und Tafeln sind

Ausstellung: Geschichten wohnungsloser Frauen

Eine Ausstellung auf den Freiflächen von „Berlin Global“ im Humboldt Forum widmet sich bis März nächsten Jahres den Geschichten wohnungsloser Frauen, die oft unsichtbar bleiben.

Was macht es mit einer Frau, ohne (Ob-)Dach zu sein? Wie viel Mut braucht es, sich zu zeigen, über sein Schicksal zu erzählen. Und lassen sich Menschen für dieses Thema gewinnen? Ulrike Mattern hat sich angeschaut, wie der Kulturbetrieb auf das Thema blickt.

Der 11. September ist der Tag der Wohnungslosen. Dieses Jahr steht er unter dem Motto: „Gemeinsam mehr erreichen“. Viel erreicht hat seit seiner Gründung 2013 der Berliner Verein „querstadtein“. Er bietet Stadtführungen zu Wohnungslosigkeit und dem Leben auf der Straße an, 2015 kamen Berliner Migrationsgeschichten hinzu und bald gibt es einen weiteren Schwerpunkt zu Migration und Klimawandel. „Dabei sprechen die Betroffenen für sich selbst“, sagt Projektmanager Clemens Poldrack. Mit seiner Arbeit will „querstadtein e.V.“ die Menschen im Stadtraum sichtbar machen, die oft keines Blickes gewürdigt werden. 19 Stadtführer*innen gehören zum Verein mit vier Hauptamtlichen auf Teilzeitstellen, einer Werkstudentin und einer Bundesfreiwilligen sowie rund 40 Ehrenamtlichen. Der Verein finanziert sich durch die Förderung von Stiftungen, durch Spenden und anteilige Erlöse aus den Stadtführungen.

Im Humboldtforum ist die Ausstellung

Zurzeit wird diese politische Bildungsarbeit bei „Mitten unter uns. Wohnungslose Frauen* in Berlin“ auf einer von drei Schauflächen in der Berlin-Ausstellung im ersten Obergeschoss des Humboldt Forums anschaulich. Ein halbtransparenter weißer Kubus steht auf kräftig blauem Grund. Hinter sechs Türen, die zuerst geöffnet werden müssen, erzählen fünf Protagonist*innen an Hörstationen von erschütternden Erlebnissen aus ihrer Familie, von Einsamkeit und Gefahren, die das Leben auf der Straße besonders für Frauen mit sich bringt, und einer Gesellschaft, die Obdachlose als schwach abtut.

Weibliche Wohnungslosigkeit trifft den Nerv der Austellungsbesucher*innen

„Wir haben lange überlegt, wie wir das Thema ins Museum bringen, ohne Menschen auszustellen“, sagt Clemens Poldrack. Ihre Geschichten seien individuell, „sie sprechen aber auch stellvertretend für ganze Gruppen“. „querstadtein“ bewarb sich bei der Ausschreibung vom Stadtmuseum Berlin – und bekam den Zuschlag. „Weiblich gelesene Wohnungslosigkeit stand für uns von Anfang an im Fokus.“ Die Rückmeldungen seien „sehr positiv“, viele Besucher*innen halten sich lange auf der Fläche auf, einige melden sich im Nachgang und spenden für den Verein.

Porträts, die vom Leben erzählen

Das Setting, das die offene und verschlossene Stadt symbolisieren soll, überzeugt in kluger Abstraktion. Neben Erfahrungsberichten im Audioformat gibt es auf den Innenseiten der Türen Informationen, etwa zum Recht auf Wohnen und zum Nationalen Aktionsplan, Obdachlosigkeit in Deutschland bis 2030 abzuschaffen. Mit dem Kopfhörer auf den Ohren schweift der Blick zu den ausdrucksstarken Bildern der fünf Frauen*, die den Mut haben, in einem großen Ausstellungshaus von ihrem Leben und ihren Wünschen zu erzählen.

Henrike, eine transidente Person, die jetzt Richi heißt, freut sich zum Beispiel aufs Schwimmen, „wenn die Brüste weg sind“, und Janita-Marja möchte eine Sprachschule in Finnland besuchen, „ein Traum“, sagt sie. Der Fotograf Muhammed Lamin Jadama hat diese Bilder gemacht; er ist in Westafrika geboren und führt bei „querstadtein“ seit einigen Jahren Interessierte durch seine diverse Nachbarschaft in Kreuzberg.

Wünsche und Träume der Frauen

Susanne Hinneberg, eine der Protagonist*innen in der Ausstellung, war mit Lamin Jadama für den Fototermin im März dieses Jahres in der Neuen Nationalgalerie. Sie hatte sich die Location gewünscht, denn „auch als wohnungsloser Mensch gibt man seine Interessen nicht auf“. Hinneberg, die sich für Kunst, Architektur und Musik begeistert, ist seit mehreren Jahren wohnungslos. Auf den Tag genau seien es vier Jahre, sechs Monate und zwei Tage, erzählt sie. Sie lebt in einer Unterkunft und bietet seit August 2023 die Stadtführung „Die Kunst, zu(m) Überleben“ an. Diese führt über den Ku’damm, den sie noch aus ihrer Kindheit kennt.

Die Scham überwinden

Am Anfang habe sie Lampenfieber gehabt, aber heute, nach rund 80 Touren, fühlt sie sich in den Gruppen wohl und beschützt. Sie erreiche jedes Mal mindestens eine Person, die das Thema weiterträgt, am Ball bleibt und sich vielleicht engagiert. „Durch ihre Teilnahme haben sie ja signalisiert, dass sie sich für mich und meine Geschichte interessieren“, sagt Susanne Hinneberg. „Ich erfahre regelmäßig große Wertschätzung.“ Viele Frauen schämten sich für ihre Obdachlosigkeit und versuchten, sie zu kaschieren. „Ich will aus dem Schatten heraustreten“, sagt Hinneberg, „und dem Anliegen stellvertretend Gesicht und Stimme verleihen.“

von Ulrike Mattern

Foto: Berlin Global/ promo

Ausstellung und Stadtführung: „Mitten unter uns. Wohnungslose Frauen* in Berlin“, Projekt von querstadtein e.V. auf den Freiflächen von „Berlin Global“, einer Ausstellung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, im Humboldt Forum. Bis 31. März 2025. Mi–Mo 10.30–18.30 Uhr, Di geschlossen. Tagesticket 8 Euro. Stadtführung mit Susanne Hinneberg: Die Kunst, zu(m) Überleben. 12. September, 16–18 Uhr, 5 Euro/3 Euro ermäßigt. Anmeldung unter: www.querstadtein.org/ anmeldung-zur-querstadtein-tour/

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