Plakat in Gelb und Pink
Plakat aus der Reihe #beziehungsweise. Lesen Sie dazu Gedanken aus jüdischer und christlicher Sicht. Plakat: EKBO/Uwe Baumann

Was Ostern und Pessach verbindet

In der diesjährigen Plakatreihe „#beziehungsweise – jüdisch und christlich: näher als du denkst“ geht es um die Jahreszeiten. Rabbinerin Ulrike Offenberg und Bischof Christian Stäblein schreiben zu Pessach und Ostern von Aviv beziehungsweise Frühling und neuem Leben.

Auszug in die Freiheit

Von Ulrike Offenberg

Es ist Frühling, unübersehbar. Überall setzen blühende Sträucher und Blumen Farbtupfer in die Natur, frisches Grün sprießt aus den Zweigen, neues Leben. Es ist eine Zeit des Aufbruchs, des Knospens und des Werdens. In einem israelischen Kinderlied heißt es: Aviv higia, Pessach ba – „Der Frühling ist gekommen, nun kommt auch Pessach“. Denn auch das Pessachfest feiern wir als eine Zeit des Aufbruchs: Der Auszug Israels aus der Knechtschaft in Ägypten wurde zum Gründungsmythos des Judentums. Und wir sind aufgefordert, uns vorzustellen, wir seien damals dabeigewesen und wären selbst befreit worden. Pessach ist auch für uns heute eine Zeit, all das hinter uns zu lassen, was Unfreisein bedeutet.

Sederabend: Ein Tisch voller Symbole

Am Sederabend ist unser Tisch voller Symbole: die Bitterkräuter für das harte Los der Israeliten in Ägypten; Charosset, das Mus aus Äpfeln, Datteln und Nüssen steht für die in Zwangsarbeit zu fertigenden Lehmziegel, Salzwasser für die in Kummer vergossenen Tränen. All das erinnert uns an die Unterdrückung, dazu die Matzah als „Brot des Elends“. Wir erzählen von der Knechtschaft, aber wir bleiben nicht dort. Im Verlauf des Sederabends ziehen wir in die Freiheit. Davon künden die Texte der Haggadah, aber auch die vier Gläser Wein oder Traubensaft. Sie beruhen auf den vier Verben der Erlösung in 2. Mose 6,6–7: „Ich werde euch herausführen, euch erretten, euch erlösen und euch zu meinem Volk machen.“

Das Lied der Zuversicht in großer Ungewissheit

Der Aufbruch ist noch nicht die endgültige Befreiung oder gar die Freiheit. Am 7. Tag Pessach erinnern wir daran, wie die Israe -liten, verfolgt von den Ägyptern, das Schilfmeer erreichten. Wieder eine scheinbar ausweglose Situation – bis sich das Meer öffnet und die Israeliten trockenen Fußes hindurchziehen. Das uralte Schilfmeerlied

in 2. Mose 15 besingt diese Errettung. Meist wird es als nach der erfolgreichen Durchquerung des Meeres gesungene Hymne interpretiert. Aber Nachmanides, Rabbiner Moses ben Nachman (1194 geboren in Girona – 1270 gestorben in Akko) meinte, das Volk hätte dieses Lied bereits gesungen, als sie mitten am Durchziehen waren und noch nicht das rettende Ufer erreicht hatten.

Das Lied ist also ein Ausdruck ihrer Zuversicht in einer Situation größter Ungewissheit. Man singt gegen die Angst an und bestärkt einander in der Hoffnung. Und als die Israeliten hindurchgezogen waren, wartete am anderen Ufer noch nicht das Verheißene Land, sondern erst einmal die Wüste und ein langer, langer Weg hindurch. Viel Ausdauer, Mut und Widerstandskraft waren nötig, um dorthin zu gelangen.

Rituale des Aufbruchs in die Freiheit feiern

Ein Blick zurück auf die Pessach-Erzählung kann uns Ermutigung geben in Zeiten, da auf uns beängstigende Nachrichten einstürmen und Unsicherheit über die Zukunft an uns nagt. Mitten im Wandern auf unsicherem Grund sollen wir nicht aufhören, Lieder der Hoffnung zu singen und Rituale des Aufbruchs in die Freiheit zu praktizieren.

Wir dürfen unsere Zuversicht nicht aufgeben, denn wir brauchen sie, um einen langen Atem zu haben. Auch wenn der Weg durch die Wüste noch lang ist: Auf den Aufbruch aus der Knechtschaft können wir nicht verzichten. Und glücklicherweise hilft uns der Frühling mit dem überall erwachenden Leben und ermuntert uns zum Losgehen.

Urike Offenberg ist Rabbinerin der liberalen jüdischen Gemeinde Hameln in Niedersachsen.

Gott holt heraus

Von Christian Stäblein

In diesem Falle gilt: noch viel näher als du denkst. Das liegt an der Beziehung von Pessach und Ostern. Und daran, dass die Grundgeschichte christlichen Glaubens – Jesu Kreuzestod und Auferstehung – ganz und gar im jüdischen Lebens- und Festzusammenhang „spielt“, ja eine jüdische Geschichte ist. Auch deshalb ist es so: Christlicher Glaube kann sich selbst nicht ausdrücken, ohne sich immer schon seiner Bezogenheit auf die jüdische Lebenswelt gewahr zu sein.

Das Frühlingsfest als Fest der Befreiungsgeschichte

Der Reihe nach: Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen waren Juden, das Fest, von dem die Erzählungen der Evangelien berichten, dass Jesus mit ihnen hinaufzog (eben: nach Jerusalem), war das Pessachfest. Das ist so selbstverständlich, dass man es manchmal vergisst. Das letzte Mahl Jesu mit seinen Freunden, das wir am Gründonnerstag begehen und das am Anfang der Erinnerungspraxis Abendmahl steht, war ein Passahmahl, womöglich ein Sederabend. Ein tieferes Eingeschriebensein christlichen Glaubens in jüdisches Leben lässt sich schwer denken. Es geht um Gottes Erinnerung und Erneuerung auf dem Weg in die Freiheit.

Aus dieser Nähe und (dadurch) zugleich ja innerjüdischen Auseinandersetzung zwischen den Jesus-Anhängern und den anderen jüdischen Gruppen damals ergibt sich auch die an vielen Stellen harte Abgrenzung, die die Evangelien dokumentieren und die wir als antijüdische Polemiken lesen. Gerade die Passionszeit, gerade die große Nähe darin, mahnt und warnt also, dass wir nicht antijüdische Polemiken weitertragen. Hüten wir uns davor!

Aus Gefängnissen herausgeführt

Christlicher Glaube deutet und lebt wie die jüdische Tradition das Frühlingsfest nicht als Naturfest, sondern von der Befreiungsgeschichte, die Gott mit seinem Volk und mit seinen Menschen hat. Die Theo-Logik bleibt im Glauben stets diese: Der, der aus der Sklaverei, aus den inneren und äußeren Gefängnissen, aus dem Tod herausführt, der ist der, der auch der Schöpfer ist. Wer so befreit, muss die Macht des Universums sein.

Sterben und Leben

Die Reihenfolge heißt also: Sterben und Leben. Nicht, wie die Schöpfung alltäglich nahelegt: Leben und Sterben. Pessach und Ostern sind nicht Feste, die bei der Schönheit der Schöpfung ihren Ausgang nehmen und Gottes Wirken als erstes im Aufbrechen der Blütenknospen erkennen. Ostern gründet nicht im Symbol vom Osterei, so hübsch es ist, und auch nicht in der Zahl der Hasen. Ostern blickt neu auf die Schöpfung durch jene Rettung Gottes, die im Dunkel, im Sterben, im Gefangensein herausholt.

Die Erfahrung wiederkehrenden Neuanfangs

Dieser Glaubensblick schafft mehr Nähe als du denkst, als du dir vorstellen kannst womöglich. Und auch einen anderen Blick auf die Schöpfung. Die von da als Gottes Schöpfung unbedingt zu wahren ist. Der Frühling, das Glück dieser Schöpfung, weil die Erfahrung des wiederkehrenden Neuanfangs. Neuland, Altneuland.

Das – Alt-Neuland – ist der Name, den Theodor Herzl Tel Aviv gegeben hatte, jene heute so wunderbar pulsierende Metropole ständiger Aufbrüche. Tel Aviv, in alter Tradition war es der Name jenes Ortes, von dem Ezechiel berichtet, dass dort die Verschleppten wohnten. Aviv. Frühling – der Weg aus dem Dunkel. Wo Gott Neues beginnen lässt. Aus dieser Tradition leben wir – viel mehr und viel näher als du denkst.

Christian Stäblein ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

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