Von Straßenbahngottesdienst bis Luther-Stummfilm: Ab 27. April feiern Görlitz und der Kirchenkreis Schlesische Oberlausitz 500 Jahre Reformation mit 95 Veranstaltungen an 75 Orten.
Die Stadt Görlitz feiert in diesem Jahr ein einzigartiges Jubiläum: 500 Jahre Reformation. Am 25. April 1525 fand in der Krypta der Kirche St. Peter und Paul die erste Taufe statt, drei Tage später das erste Abendmahl – im großen Kirchenschiff wäre das zum damaligen Zeitpunkt noch nicht möglich gewesen. Luthers Schriften führten außerdem zu einem Aufstand der in der Region sehr verbreiteten Tuchmacher. Kirche und weitere Akteure nehmen das zum Anlass für ein Jubiläumsjahr, das nun startet.
Von Irmela Hennig
Görlitz. Ein Tauffest an der Neiße, Fahrradtouren mit Verkündigung, Beten im Wald, Gottesdienst in einer Bahnhofshalle, im Park, in einer Sägemühle, auf einem Reitturnierplatz oder gar in der Straßenbahn. Solche Angebote, so findet Daniel Schmidt, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Schlesische Oberlausitz, sind „alles außer gewöhnlich“. Unter dieser Überschrift haben Suptur und die evangelische Gör – litzer Innenstadtgemeinde eine ganze Reihe dieser und weiterer besonderer Gottesdienste gestellt, die 2025 stattfinden.
Die meisten gab es so oder ähnlich auch schon früher. Doch 2025 sind sie eingebunden in ein großes Jubiläum, das in und um die Neißestadt begangen wird: 500 Jahre Reformation in Görlitz. Vom 27. April bis 31. Oktober finden dazu 95 Veranstaltungen in 75 Orten statt, wie Projektkoordinatorin Antje Hüttig sagt.
Reformation in Görlitz: Stadtrat war uneinig
Mit Vertretern von kirchlichen und anderen Partnern hat sie das Programm Anfang April vorgestellt. Und zwar am historischen Ort der Görlitzer Reformation – in der Krypta der Kirche St. Peter und Paul. Am 25. April 1525 fand hier die erste deutschsprachige Taufe statt. Wenige Tage später, am 30. April, wurde in der Krypta erstmals das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt, also mit Brot und Wein. Im Hauptschiff des Gotteshauses wäre das zu dem Zeitpunkt noch nicht möglich gewesen, wie Stefan Rhein sagte. „Der Görlitzer Stadtrat war uneinig bezüglich der Reformation“, so Rhein. Und so habe der damalige Pfarrer das Neue quasi versteckt. Rhein ist Altphilologe, hat lange die Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt geleitet und die Aktivitäten des bundesweiten Reformationsjubiläums 2017 koordiniert. Nun ist er beratend tätig für das Görlitzer Vorhaben.
„Bürger.Mut.Glaubenskraft“ lautet dessen Motto. Superintendent Schmidt begründete das unter anderem mit einem Verweis auf die damalige Bürgerschaft. „Sie hat begonnen, Dinge mehr zu hinterfragen.“ Man wolle Reformation und Aufbruch darum zusammendenken und darüber nachsinnen: „Was hat sie damals ausgemacht, was macht sie heute aus?“
Vorprogramm in Polen: „500 Jahre evangelisches Schlesien“
Im November 2023 hatten die Vorbereitungen für den Geburtstag begonnen. Partner wurden ein -gebunden, so auch die Kommune. Der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU) hat die Schirmherrschaft übernommen. Es sind 55 Akteure beteiligt – so Vereine und Institutionen wie das Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau–Görlitz oder das Schlesische Museum.
Das lädt noch bis zum 27. April zu einer Art Vorprogramm ein. Und zwar ins Kulturhaus der Görlitzer Nachbarstadt Zgorzelec in Polen. Dort geht es um „500 Jahre evangelisches Schlesien“. Das sei zwar mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Vertreibung der überwiegend protestantischen Deutschen fast zum Erliegen gekommen. Es lebe aber auf, wie Museumsdirektorin Agnieszka Gąsior sagte.
Reformationsjubiläen trotz sinkender Mitgliederzahlen?
Sie stammt aus Polen und weiß: „Die evangelischen Kirchen dort haben Zuwachs.“ Gąsior reagierte damit auf eine Journalistenfrage nach der Zukunft künftiger Reformationsjubiläen in Görlitz bei sinkenden Mitgliederzahlen in den Kirchen. Gąsior ist überzeugt, so etwas könne sich ändern.
Margrit Kempgen vom Verein für schlesische Kirchengeschichte berichtete, dass vor allem junge Polen von der katholischen zur evangelischen Kirche konvertierten. „Für sie ist dabei die Trennung von Kirche und Staat wichtig.“ Die gebe es im polnischen Katholizismus so nicht.
Tippelmarkt und Töpferfest
Gerd Weise von der in die Festlichkeiten eingebundenen Görlitzer Kulturservicegesellschaft sieht zudem „das biblische Prinzip als alltägliche Wahrheit“ an. „Es ist verhaftet in unserem Grundgesetz, es ist unser Fundament.“ Damit gehe Reformation über Mitgliederzahlen hinaus, denkt der Vertreter der Kommune.
Die baut zwei ihrer Volksfeste ins Programm ein – das Altstadtfest im August und den Schlesischen Tippelmarkt, ein Töpferfest, im Juli. Bei letztgenanntem werde es einen Vortrag zu Reformation und dem hiesigen Tuchmacheraufstand geben. Motiviert durch Martin Luthers Schrift „Von der Freiheit des Christenmenschen“, forderten jene Handwerker 1525 politische Teilhabe.
„Esset und Trinket“ als Motto des Auftaktgottesdienstes
Wissen wie dieses zu vermitteln, ist für Margrit Kempgen ein wichtiger Aspekt im Jubeljahr. Matthias Paul, Pfarrer der Görlitzer Innenstadtgemeinde, geht es auch um die Vielfalt von Gemeinden. Er betont: „Das Verbindende ist das biblische Wort und die Verheißung.“ Aber gerade beim Abendmahl zeige sich, dass es von jeder Gemeinde auf besondere Art gefeiert werde. Beim Auftaktgottesdienst am 27. April, um 10 Uhr, unter der Überschrift „Esset und Trinket“ solle das deutlich werden.
Danach wird es monatelang bunt. Es gibt Ausstellungen, Vorträge, Musicaltage für Kinder, literarische Spaziergänge, bei denen man das „Handwerkszeug des Schreibens“ erlernen könne, ein Liederpicknick, Theater oder auch Kino. So wird ein Luther-Stummfilm von 1927 gezeigt, begleitet von Klavier-Livemusik. Ein für Besucherinnen und Besucher weitgehend kostenfreies Programm, von dem Gerd Weise glaubt, dass es auch Menschen von außerhalb der Oberlausitz anlocken kann.
Weitere Infos und Programm: www.kirchenkreis-sol.de/buerger-mut-glaubenskraft