Pfarrerin Andrea Richter ist seit 2012 im Berliner Amt für Kirchliche Dienste Studienleiterin und Beauftragte für Spiritualität in der EKBO. Nun geht sie in den Ruhestand. In ihrer Arbeit förderte sie verschiedene Formen christlicher Spiritualität und brachte diese in die Weiterbildung beruflicher und ehrenamtlicher Mitarbeitender ein. Ihr Kollege und Weggefährte, Pfarrer Günter Hänsel, sprach mit ihr über ihr Wirken und die kommende Lebensphase.
Andrea, im Oktober gehst du in den Ruhestand. Worauf schaust Du zurück?
Andrea Richter: Vor allem mit großer Dankbarkeit. Viele Jahre war ich Gemeindepfarrerin am Stadtrand von Berlin – eine dichte und erfüllende Zeit, die ich nicht missen möchte. Das Unterwegssein mit Menschen habe ich auch in den vergangenen 13 Jahren als großes Privileg erlebt.
Du bist die erste Studienleiterin und Beauftragte für Spiritualität in der EKBO. Warum ist diese Stelle für unsere Kirche so wichtig?
Spirituelle Praxis ist für mich die tiefste Form theologischer Arbeit. Wichtig war mir stets die Unterscheidung, die schon Martin Luther betont hat: die theologia experimentalis, das erfahrungsbasierte Theologietreiben, gegenüber der theologia doctrinalis, dem reinen Lehrgebäude. In meiner Arbeit wollte ich Erfahrungs- und Denkräume öffnen, in denen Menschen Gott in ihrem Leben begegnen können. Die Erfahrung, dass Gott in allem Lebendigen gegenwärtig ist, ist für mich die tiefste Quelle von Religion. Entfernt man sich von diesem Quellgrund, verdorrt am Ende alles.
Du hast unzählige Fortbildungen und Einkehrzeiten geleitet. Gibt es etwas, das dich besonders berührt hat?
Immer wieder bewegt mich die Kraft, die spürbar wird, wenn Menschen sich in der Stille der Gegenwart Gottes öffnen. Diese Verbundenheit im Schweigen ermöglicht eine besondere Qualität des Gesprächs. In einem meiner ersten Kurse sagte eine Religionspädagogin zum Abschluss, wie wunderbar es sei, mit intelligenten und innerlich beweglichen Menschen gleichermaßen fromm sein und nachdenken zu können. Diese Formulierung war für uns alle ein Highlight.
In den letzten Jahren hast du einen Schwerpunkt auf Schöpfungsspiritualität gelegt. Was hat dich dazu bewogen?
Eine tiefe Verbundenheit mit der „mehr-als-menschlichen Welt“ begleitet mich seit Kindheitstagen. Wir sind nicht nur Geist und
Bewusstsein, sondern Teil des Lebensgewebes, das wir Natur – oder auch Schöpfung – nennen. Weil wir das vergessen haben, leidet die Welt – und mit ihr wir selbst. In der mystischen Tradition habe ich dieses Wissen wiedergefunden, bei Franz von Assisi, Hildegard von Bingen, Jakob Böhme und vielen anderen, besonders auch in den Zeugnissen indigener Spiritualität. Im Bild der Pachamama, der „Mutter Erde“, spricht der Schöpfer selbst. Die Erde hat ihre eigene Sprache, ihre eigene Spiritualität, ihren eigenen Segen. Ihre Fruchtbarkeit feiern wir zu Erntedank – aber auch ihr Leiden und ihr Schrei sind unüberhörbar. Darauf zu reagieren ist für mich eine zentrale Aufgabe spiritueller Arbeit. Aus der Rückkehr zur Erde kann tätige Hoffnung entstehen. Davon bin ich überzeugt.
Du wirst mit einem kleinen Ruhestandsauftrag im Haus Grüntal für Evangelische Einkehrarbeit und Schöpfungsspiritualität in Barnim weiter tätig sein. Was planst du?
Ich möchte dort Räume öffnen für Menschen, die sich nach Stille, innerer Einkehr und einer Rückkehr zur Natur sehnen. Vielleicht gelingt es, die Stimme Gottes im sanften Säuseln des Windes zu hören, im Ruf der Kraniche – oder beim Pflücken der Äpfel.
Angesichts großer Herausforderungen und Transformationen in Kirche und Gesellschaft – was ist deine Sehnsucht?
Transformation beginnt mit Zuhören: auf Gott, auf die Erde, aufeinander. Nicht mit Aktionismus. Ich bin ein großer Fan des Podcasts „Deep Science“. Dort hört man Geschichten davon, was möglich ist, wenn man dranbleibt. Meine Sehnsucht ist, dass wir uns als spirituelle Menschen in ein interdisziplinäres Netz leidenschaftlicher Visionär:innen und Weltenretter:innen einweben lassen.