Plakat mit Schrift

Sommer beziehungsweise Kajiz

In der neu aufgelegten Reihe „#beziehungsweise – jüdisch und christlich: näher als du denkst“ geht es um die Jahreszeiten. In dieser Ausgabe starten wir eine Serie zu den Plakaten mit einer jüdischen und einer christlichen Stimme. Sie beginnt mit dem Sommer. Rabbiner Andreas Nachama schreibt über die Schaffens- und Erntezeit, Pfarrerin Christina Maria Bammel über eine Zeit der Erfrischung.

Sommer als Schaffenszeit

Von Andreas Nachama

Nach der großen Sintflut, die Noach mit den engsten Familienmitgliedern und den Tieren in der Arche überlebt hat, verkündet Gott: „Solange die Erde sein wird, sollen Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören“ (1 Mose 8,22). Und natürlich gibt es eine traditionell jüdische Definition dafür, was man unter Sommer zu verstehen hat, ebenso wie es eine – wie sollte es anders sein – abweichende kalendarische und eine meteorologische Festlegung gibt. Die zweite Hälfte des Sivan (Juni), die darauffolgenden Monate Tamus und Aw gelten als klassischer Sommer, die Monate Elul (August/September) und die erste Hälfte des Monats Tischri gelten als Spätsommer. Dazu passt dann auch das hebräische Wort für den Sommer Kajiz. Es könnte an das Wort „Ketz“, „Ende“ erinnern. Und sicherlich ist es mehr als ein Zufall, dass mit dem jeweils neuen jüdischen Jahr, das im Spätsommer beginnt, mit den Herbst-Erntefeiertagen auch das ­agrikulturelle Jahr zu Ende geht.

Im Buch der Sprüche liest man dazu: „Wer im Sommer sammelt, ist ein kluges Kind; wer aber in der Ernte schläft, macht seinen Eltern Schande“ (Sprüche 10,5). Biblisch gesehen ist der Mensch ein Bauer und der Sommer also keine Urlaubszeit, sondern wichtige Schaffenszeit. Und für all die, die dafür sorgen, dass in unseren (Super)-Märkten all diese wunderbaren Produkte unserer Mutter Erde zu Spottpreisen liegen, ist das auch heute so. Aber wir anderen machen unseren Eltern keine Schande, wenn wir uns im Sommer über Kornfelder freuen, durch Wiesen und Auen streifen und Schabbat und Sonntag in kühlen Gotteshäusern „Halleluja“ – „Lobpreiset IHN“ beten.

Im traditionell-jüdischen Gebetbuch finden sich im 18-Bitten-Gebet Lobpreisungen. Eine davon hat eine besondere sommerliche Note, nämlich vom ersten Tag des Pessachfestes bis zum letzten Tag des Laubhüttenfestes wird ein besonderer Segen erbeten: Heißt es zu Beginn des Winters „sende uns Tau und Regen“, so heißt es im Sommer „sende uns Segen“. Denn die Früchte und das Getreide sind im Sommer schon aufgesprosst, bedürfen aber des Segens, um bis zur Ernte nicht zu verderben. So heißt es in einem Gebet am ersten Pessachtag für Tau: „Voll Vertrauen ist unsere Seele zu Dir. Aller Augen harren auf Dich, der Du Speise gibst zur rechten Zeit und einen gedeihlichen Sommer. Lass, Ewiger, die Saat hervorsprießen zur reichlichen Nahrung aller Deiner Geschöpfe.“ Aber dann geht es im Text allgemeiner weiter: „Es sei die Erde der Boden, auf dem auch Freiheit und Gerechtigkeit, Liebe und Friede walten, dass ein jeglicher seine Kräfte entfalte zum eigenen Wohl aber auch zum Wohl der Gesamtheit. So gib denn, Ewiger, dass die eintretende Sommerzeit uns Nahrung und Kraft, Leben und Gesundheit, Wohlergehen und Segen bringe.“

So sind nachbiblisches Judentum wie auch das Christentum näher als man denkt. Beides sind heute keine Religionen, die allein durch den agrikulturellen Jahreslauf definiert sind, sondern haben das Biblische in ihre Ethik, also für die religiösen Grundlagen unserer Welt, transponiert, ohne dabei zu vergessen, woher wir kommen und was wir zum Leben brauchen. Früher war die Erholung von der Feldarbeit nur im Winter, heute genießen die, die nicht in diesem Schaffensrhythmus stehen, den Sommer zur Rekreation. Wie der Psalmist sagt: „ER erquicke meine Seele!“

Andreas Nachama ist stellvertretender Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz, rabbinischer Leiter des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam, Präsidiumsmitglied des „House of One“ sowie des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit.


Sommer als Erfrischung

Von Christina-Maria Bammel

Sommerzeit – Segenszeit, ohne sich im Idyll-Kokon zurückzuziehen. Nicht ausgetrocknet und innerlich leergelaufen, sondern erfrischt, belebt und dann vielleicht auch mit besseren Aussichten auf alles, was kommt.

„Er erquicket meine Seele“ (Psalm 23,3) – was für eine poetisch-sinnliche Zeile des Vertrauens in vertrauter Übersetzung, dass die lebendige Schöpferkraft meine Seele erquickt! Rabbiner Andreas Nachama hat an die Landwirtschaft erinnert, in der schwer zu tun ist in der Sommerzeit. Urlaub, Ausruhen, Erquickung – gerade dort ist es alles andere als selbstverständlich.

Auch wer nicht in der Landwirtschaft Verantwortung hat, weiß angesichts voller Schreib­tische und Arbeitsdruck, was alles kurz vor der Auszeit noch bedacht, organisiert, verteilt werden muss, bevor der Moment einsetzt, an dem endlich alles von einem abzufallen scheint und das Ausatmen anfängt. Schon Wochen vor der Sommer- und Urlaubszeit wird überall davon geredet, wo und wie die eigene Auszeit geplant wird und wie man sich darauf freut, wenn einem die Sinne wieder wach werden, neue Gedanken in den Kopf kommen. „Quicken“ war übrigens mal im Gebrauch, für „lebendig machen“.

Von der „erquickten Seele“ wird heute umgangssprachlich kaum gesprochen. Die Sehnsucht allerdings, die sich für viele mit einer erquickten Seele verbindet, ist umso mehr vorhanden. Gerade wenn Überforderung und Leistungsdruck dauerhaft alltägliche Begleiter sind, wenn die Routinen Herz, Seele und Sinne ausgelaugt haben. Der ganze Mensch als die Seele seines Leibes ein in Gottes Lebendigkeit und Kraft erquickter Mensch, und zwar in jeder ­Saison und nicht nur dann, wenn Lavendelaroma in der Luft liegt und die „unverdrossene Bienenschar“ hin und her saust! Das ist mein Gebet für alle, die sich jetzt auf­machen, dass sie sich daran festmachen können: Mit meiner Erschöpfung sind bei Gott noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Darauf kann sich einlassen, wer die Worte des Psalms ins eigene Beten nimmt.

Jede Saison ist bei Gott Erfrischungs- und Trostzeit. Sie reicht weiter als die Urlaubsfrische in den Komfortmomenten freier Sommertage. Wer die Zeile meditiert und betet, entdeckt eventuell: Neues Leben –Gott erfrischt meine alte Sehnsucht danach. Das leuchtet im Hebräischen auf, wo an entscheidender Stelle vom „turn“ zu Gott hin die Rede ist: Der Ewige erneuert, indem er alles, was mich ausmacht und lebendig hält – meine Seele – zu sich hinwendet, umkehrt.

Sicherlich wird für Sie mit dieser Aussicht auch nach Ihrer Auszeit nicht einfach der Alltag neu. Trotzdem kann man sich einlassen auf eine Erneuerung in mir, die ich am Ende nicht selbst fertigbringe. Ich lasse mich hineinnehmen in den „Gottes-Turn“. Und halte Augen und Seele offen für alles, was daraus werden kann.

Christina-Maria Bammel ist Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). 1973 in Ostberlin geboren, aufgewachsen in Erfurt, studierte sie Theologie, Religionswissenschaften und Philosophie in Marburg, Philadelphia (USA) und Berlin. Sie promovierte im Fach Systematische Theologie.

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