Kirche wandelt sich, sie muss dorthin gehen, wo die Menschen sind. Katharina Furian hat dafür das Projekt „Missionarische Erprobungsräume“ entwickelt. Jetzt geht die Personalchefin der EKBO in den Ruhestand.
Von Sibylle Sterzik
„Ich wollte eigentlich Geschichte studieren.“ Doch ohne Abitur ging das nicht. Das verweigerten die DDR-Behörden Katharina Furian und ihren Geschwistern. Sie wurde diakonische Krankenschwester im damaligen Königin-Elisabeth-Hospital. Obwohl das ein schöner Beruf war – „so viel Dankbarkeit kriegt man nirgends wieder zurück“ – zog es sie weiter. Infrage kam nur ein Studium mit Sonderreifeprüfung: Das war Theologie.
Furian, die 1961 in einem Pfarrhaus im Oderbruch geboren wurde, wurde nach ihrem Theologiestudium an der Humboldt-Universität Berlin 1991 durch Bischof Gottfried Forck in der Marienkirche ordiniert. Sie übernahm ein Pfarramt in Golzow im Oderbruch. Im Jahr 2000 trat sie mit 38 Jahren das Amt als Superintendentin im Kirchenkreis Zossen-Fläming an und damit als Chefin von 30 Pfarrern und Pfarrerinnen und ebenso vielen anderen Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst. Inzwischen sind es mehr: Seit 2018 leitet sie als Oberkonsistorialrätin die Abteilung Personalia der Ordinierten und Spezialseelsorge im Konsistorium. Nun geht sie in den Ruhestand und blickt zurück.
Katharina Furian: Personalchefin in Zeiten des Mitgliederschwundes
„Ich bin angetreten unter der Frage: Wir werden immer weniger und was macht man damit?“, erinnert sie sich. Ideen waren gefragt. Ein Patentrezept hat sie auch nicht, aber so einiges schlägt positiv zu Buche. Sie freut sich über die Vereinbarung mit der Landeskirche Anhalt und der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, untereinander Bewerbungen zuzulassen, ohne lange Verwaltungsprozesse. Das gilt seit dem 1. Januar. Die Möglichkeit einer Dienstvereinbarung für Pfarrerinnen und Pfarrer über eine Arbeitszeit von circa 40 Stunden, die im Jahreskreis gedacht werden, nicht Tag für Tag, fällt auch darunter. Dazu gehöre Geschick. Manche Gemeindekirchenräte (GKR) knabberten daran, aber es sei wichtig auch nach sich selbst zu schauen, sagt Furian. Dass es nun eine gewählte Pfarrvertretung gibt, dafür hat sie mit vielen zusammen gearbeitet. „Und es freut mich, dass wir jetzt für Vertretungsdienste in unbesetzten Pfarrstellen endlich Zulagen zahlen können.“
Katharina Furian begleitet Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren letzten Amtsjahren
Auch Kontakte sind wichtig. „In der Regel habe ich jedes Jahr alle Kirchenkreise besucht.“ Sie traf Pfarrerinnen und Pfarrer im Entsendungsdienst, Superintendenten und Pfarrerinnen ab 60 Jahren. Gerade bei Letzteren spürte sie manchmal eine resignative Stimmung, weil Aufgaben immer mehr und Leute immer weniger werden. „Manche sagten: Ich habe hier 35 Jahre den Karren gezogen, kann nicht mal irgendwer in der Kirche sagen, wie toll das ist?“
So entwickelte sie zusammen mit Holger Bentele, Studienleiter für Personalbegleitung im Amt für kirchliche Dienste, die Begleitung von Pfarrerinnen und Pfarrern in den letzten Amtsjahren: das sind Bilanzierungs- und Orientierungskurse mit geistlicher Begleitung an einem schönen Ort. Auch die Pfarrerinnen und Pfarrer nach 20 Jahren Ordination werden eingeladen. „Ein Geschenk von der Landeskirche.“ Die Plätze sind ausgebucht, das Echo positiv. „Da bin ich sehr stolz drauf“, sagt sie unumwunden. „Ich hoffe stark, dass das bleibt.“
Personalplanung zwischen Brandenburg, Berlin und Görlitz
Zu ihren Aufgaben gehört die Planung von Personal, Finanzen, Stellen und strategische Planung. „Ich organisiere den Personaleinsatz in der Landeskirche und sorge dafür, dass er möglichst ausgeglichen ist zwischen Brandenburg und Berlin und Görlitz“, sagt sie. Alle Bewerbungen für Pfarrstellen landen auf ihrem Tisch. Relativ viele kommen auch aus anderen Landeskirchen, die zieht es meist nach Berlin. „Sie von dort wegzulenken, ist ein bisschen schwierig, aber funktioniert auch.“ Und sie entsendet die frisch ordinierten Pfarrerinnen und Pfarrer in ihre erste Pfarrstelle auf Probe. Auch das ist die große Kommunikationsaufgabe, möglichst gerecht zu sein, und zwischen Wünschen von Gemeinden in der Weite der Landeskirche, und Probedienstpersonen zu vermitteln.
In manchen Orten fehlt Kirchenpersonal
Als Personalplanerin errechnet sie anhand von Zahlen über hinzukommende Entsendungsdienstpersonen etwa 20 im Jahr, dazu circa 5 Wechslern aus anderen Landeskirchen und von Pfarrern, die in den Ruhestand gehen, ungefähr 40 pro Jahr, wie das Personal sich bis zum Jahr 2050 entwickelt. Jedes Jahr ist es im Schnitt pro Kirchenkreis eine Stelle weniger. „Einige Pfarrstellen, die jetzt noch besetzt sind, werden in 10 Jahren durch Zusammenlegungen nicht mehr besetzt sein.“ Denn die Gemeindegliederzahlen sinken und damit die Einnahmen durch Kirchensteuern. „Ab 2030 wird es schwieriger.“ Vorausschauend arbeiten die Kirchenkreise an ihren eigenen Einnahmen, durch Windkraft, Verpachtung und Vermietung. „Das ist hoffnungsvoll“, sagt sie. Das Minus bei den Finanzen ergibt sich auch aus steigenden Gehältern und den Kostensteigerungen allgemein. „An bestimmten Orten in der Weite der Fläche fehlt das Personal.“
Gibt es künftig noch flächendeckend Pfarrerinnen und Pfarrer? „Die gibt es jetzt schon nicht überall“, räumt sie ein. Deshalb komme es darauf an, dass Gemeindekirchenratsmitglieder und Pfarrerinnen und Pfarrer klug und strategisch agieren. „In einer strukturell schwachen Region mit vielen Dörfern und wenig Hauptamtlichen ist es wichtig, Leute zu gewinnen, die hier für sich und ihre Heimat etwas von Kirche wollen.“ Dafür gebe es bereits gute Beispiele. „Wo das nicht stattfindet, wird Kirche nur noch Versorgungskirche sein.“ Bei den Gottesdiensten stimmen die Leute jetzt schon mit den Füßen ab, das müsse man akzeptieren. „Du musst hingehen, wo die Menschen sich treffen. Das muss man sich aber erstmal trauen. Wir sind zu den Leuten gesandt und nicht dazu, in der Kirche zu warten, bis sie kommen.“ Hingehen, Menschen zusammenbringen und Projekte entwickeln: draußen im Dorf, im Kiez, in der Schule, im Krankenhaus, im Sport-, Heimat oder Kulturverein. Dieses Denken verbreite sich mehr und mehr. „Alle Menschen wollen Gemeinschaft und Trost. Das ist der Schlüssel.“
Das Projekt „missionarische Erprobungsräume“
Sie nennt das Projekt „missionarische Erprobungsräume“ und hat es zusammen mit den Superintendenten und dem Konsistorium entwickelt. Dafür konnte sie auch Erfahrungen anderer Landeskirchen nutzen. Bei den Erprobungsräumen wird „mehr Personal eingesetzt, als sich der Kirchenkreis eigentlich leisten kann“. Meist sind das Pfarrerinnen und Pfarrer im Entsendungsdienst, „die mit einer „missionalen Ausbildung in eine Region mit mehreren Orten gehen“. Dazu müssen idealerweise Gemeindepädagoginnen, Diakone und Kirchenmusiker kommen. Um die Verwaltung kümmert sich eine erfahrene Pfarrperson der Region und entlastet das Erprobungsteam.
„Was die Leute sich in der Region wünschen, das setzt das Team um“, erklärt Katharina Furian. Oft nur einmal oder zweimal im Jahr pro Ort, wobei sich ein Stamm von Ehrenamtlichen bildet. „Oft haben die Leute, die mitarbeiten, gar nichts mit der Kirche zu tun. Sie finden aber gut, dass wir für sie da sind. Und wünschen sich etwas von uns.“
Dorfgemeinschaftszentren und andere Erprobungsräume
Katharina Furian versucht dafür zu sorgen, dass diese Erprobungsräume ausgeweitet werden. Im flachen Land sei das wichtig. Anders als die Dritten Orte in Berlin oder auch in der Prignitz, die auch durch die Landeskirche gefördert werden, sind die Erprobungsräume Projekte der Kirchenkreise. „Die Kirchenkreise sind die Treiber von Innovationen“, sagt sie. Kirchenkreise überblicken, wie sich Personal und Gemeindegliederzahlen entwickeln und steuern gegen. „Sie bringen Gemeinschaftsprojekte auf den Weg, wie „Marthas Tisch“ in Wittenberge.“ Auch um etwas gegen die Vereinzelung auf dem Land zu tun. Im Kirchenkreis Zossen-Fläming gibt es in diesen Erprobungsräumen einige solcher Projekte wie ein Dorfgemeinschaftszentrum in Gräfendorf, die offene Ausstellungskirche in Wiepersdorf oder die Ladenkirche in Werbig.
Für Pfarrerinnen und Pfarrer im Entsendungsdienst öffnen sich damit innovative Tätigkeitsfelder mit Menschen auf dem Land, fernab von der Verwaltung oder Kirchturmsanierung. Ein gutes Zugpferd für die Personalchefin gegen weiße Flecken auf dem Land „Ein kleines Pflänzchen, das gut gepflegt werden muss.“
Kirchliche Personalabteilungen werden zusammengelegt
Bisher gehören die Theologiestudierenden und Vikare in eine andere Abteilung als die Ordinierten – in die Abteilung Aus, Fort- und Weiterbildung, Studium und Vikariat sowie Religionsunterricht. Das ändert sich ab 1. April. Beide Abteilungen werden zu einer großen Personalabteilung zusammengelegt, die künftig Oberkonsistorialrat Christoph Vogel leitet. „Dort wird das ganze ordinierte Personal, also Gemeindepädagoginnen und Pfarrer vom Studium über Vikariat und Entsendungsdienst bis zum Ende der Pfarrdienstzeit begleitet, ungefähr 850 Mitarbeitende“, schätzt sie. Und hält das für vernünftig.
In ihrem Büro finden viele Beratungsgespräche statt. „Dass eine Behörde nicht nur wie eine Behörde auf ihre Menschen guckt, war für mich von Anfang an wichtig.“ Sie moderiert Gespräche, berät bei Stellensuche und Konflikten und achtet auf wertschätzende Sprache. So veränderte sie die Musterbriefe an Pfarrerinnen und Pfarrer, fügt dort einen Dank hinzu oder da das Angebot für ein Gespräch. Es macht ihr Freude, mit den Entsendungsdienstlern zu beraten, welche Aufgabe für sie passt. „Man muss viel motivieren. Die Leute sind alle wie Goldstaub“, sagt sie und deutet damit an, wie nötig gutes Personal ist. Für alles, was sie bewegen will, schreibt sie eine Vorlage fürs Kollegium, damit jede Veränderung auch in der Personalakte dokumentiert wird. „Wir verwalten alles, was ein Pfarrer von der Wiege bis zur Bahre will oder was ihm geschieht.“
Furian: Kirche wird weiterhin gebraucht
Pfarrer und Pfarrerinnen werden auch künftig gebraucht, da ist sie sicher. „Wir haben die Räume und das geistliche Handwerk, um dahin zu gehen, wo die Menschen sind. Ich glaube, es braucht Pfarrerinnen und Pfarrer, die Menschen wirklich an ihren Sehnsüchten, an ihren geistlichen und spirituellen Wendepunkten begleiten, zu Gott befragt werden können und in ihnen etwas wecken, auch wenn es nicht Kirche heißt, sondern Gemeinschaft, Trost und Zuwendung.“
47 Jahre hat Katharina Furian für ihre Kirche gearbeitet. Nun freut sie sich auf Kino, Kultur, Ausgehen und kleine Gemeindetaten. Auf Zeit für die Familie. Ihre Söhne arbeiten nicht in der Kirche. Konrad singt als Tenor in der Oper Kiel, Wilhelm promoviert in Klimafolgenforschung in Potsdam. Ihr Mann Gilbert Furian führt als ehemaliger politischer Häftling in der DDR seit 1995 durch die Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin. Manchmal nannte er sich scherzhaft „Privatsekretär der Superintendentin“ oder fungierte als charmanter „Chauffeur“ für seine Frau – und ganz sicher als guter Ratgeber. „Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich das alles nicht machen können.“
Die Verabschiedung von Katharina Furian findet am Fr, 14. März, 11 Uhr in der Bartholomäus-Kirche, Friedenstraße 1, Berlin-Friedrichshain statt.