Frederic Riedel bringt als Kiezworker für die Kirche Menschen aus unterschiedlichen Welten zusammen. In Berlin-Schöneberg verbindet er Jung und Alt.
Von Cornelia Schwerin
Berlin. Wer Federic Riedel – 37 Jahre, schwarzes Leinenhemd, dunkle Hose, wache blaue Augen – besucht, wähnt sich in einem Berliner Loft: 50 Quadrameter großer Büro, hohe Decken. Doch hinter der Glastür steht man in einer Kirche. „Ich bin hier Kiezworker“, sagt er.
Hier – das ist der Berliner Akazienkiez im Schöneberger Norden, sowie die Apostel-Paulus-Kirche. Alle Wege im Viertel führen zu ihr. „Als Kiezworker bringe ich Kiez und Kirche zusammen“, erklärt Riedel. Er liebt die 130 Jahre alte rote Backsteinkirche mit ihrem 86 Meter hohen Turm. Als Kiezworker hat er die Menschen im Blick: Touristen, Nachbarn, Junge wie Ältere, neue und alte Kiezbewohner. An Sommerabenden sitzen sie auf den Kirchenstufen oder auf dem Rasen davor. Viele trauen sich nicht, die Kirche zu betreten – Riedel will das ändern, weil der Ort ihn selbst veränderte. In seinem früheren Leben deutet nichts darauf hin, dass er mal für und in Kirche arbeiten wird.
Kirche? Warum nicht: Wie Riedel zum Kiezworker für die Kirche wurde
Nach dem Abitur in Niedersachsen beginnt er ein BWL-Studium an der BTU Cottbus. „Ich war ein klassischer BWLer, der nicht wusste, was er wollte.“ Vor dem Examen bricht er ab, zieht nach Berlin, arbeitet in der Gastronomie: spülen, bedienen, Tresen. „Die Erfahrung, mit bodenständiger Arbeit Geld zu verdienen, kann mir keiner nehmen.“ Sie schärfte seinen „Gastgeber-Blick“, der ihm heute als Kiezworker hilft. Später studiert Riedel Wirtschaft und Recht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), schließt ab – doch Freude fehlt. „Ich fühlte mich nicht gebraucht, weil ich immer noch nicht wusste, was ich wollte.“
Dann stößt er auf eine Stellen-anzeige: Eine Berliner Kirchengemeinde sucht einen Kiezworker, finanziert vom Berliner Senat. Kirche? Warum nicht, denkt Riedel. Pfarrerin Martina Steffen-Elis versichert ihm, er müsse keine enge Bindung an die Kirche haben. Fünf Jahre ist das jetzt her. Auch Freunde, die anfangs skeptisch waren, merken: der Ort und die Menschen tun ihm gut.
Mit viel menschlichem Geschick: Der Kiezworker hält Jung und Alt zusammen
„Mit viel menschlichem Geschick hat Frederic es geschaffte ein ‚offene Kirche‘-Team von jüngeren und älteren Ehrenamtlichen zusammenzuhalten“, sagt Steffen-Elis. Ein junger Gesprächspartner wie er verändere die Atmosphäre spürbar. Im Sommer kommen Nachbarn in die kühle Kirche, im Winter finden Kiezbewohner und Obdachlose hier Wärme. Manche wollen reden, andere Ruhe genießen oder Kerzen anzünden. Donnerstags ist rund um die Kirche Markt. Wer einkauft, schaut auch mal vorbei: Punkt zwölf Uhr gibt es Live-Musik und einen Segen. „Musik und Raum verändern die Menschen“, sagt Riedel. „Der Kirchraum gibt mir Ruhe, Sicherheit, Selbstbewusstsein und befreites Atmen.“
Besonders bewegt ihn die Konzertreihe Lebensmelodien mit Melodien von jüdischen Musikern und aus der Zeit des Holocaust. „Ein innerer Zauber geschieht hier“, sagt Riedel. Konzerte helfen jungen Menschen, die Kirche zu betreten. „Wenn sie merken, es ist ein sicherer Ort, kommen sie wieder.“
Safe Spaces bieten
Völlig unterschiedliche Menschen kommen zusammen. „Das geht fast immer gut.“ Aber Regeln sind klar: „Wer Fremdenfeindliches sagt, muss die Kirche verlassen.“
Riedel will die Kirche lebendig und offen halten. Junge Leute haben Berührungsängste, suchen Safe Spaces, also geschützte Räume. „Ich möchte sie ansprechen“, sagt er. Dazu müsse man auch eigene Vorlieben oder Konventionen zurückstellen. „Wenn wir Plätze mit diversem Publikum füllen, sind wir erfolgreich.“
Kiezworker Frederic Riedel: Experimente sind nötig
Manchen geht das zu weit. „Der Gottesdienst muss ja nicht gestrichen werden“, entgegnet Riedel. Doch Experimente seien nötig. „In so ein großes Gebäude mit 130 Jahren Tradition passt auch Modernes.“ Seine Gesten zeigen, wie seine Ideen den Raum beleben sollen. Wandel nach außen zu signalisieren, sei entscheidend, gerade im hippen Berliner Kiez. „Überraschungen schaffen Sympathie und Verbundenheit.“ Kirche soll ein Ort sein, wo Menschen in Sorgen und Ängsten landen dürfen. Hier sieht Riedel die Aufgabe der Kirche: Menschen aufzufangen. „Mit Gelassenheit, Offenheit und Mut kann Kirche helfen.“ Er ist dankbar, wie freundlich er von Steffen-Elis und dem Team aufgenommen wurde. „Der Ort und die Menschen haben mich entzündet“, sagt Frederic Riedel – als Kiezworker und Mensch.