Frau mit Brille spricht in Podiumsmikrofon
Ulrike Trautwein geht nach 13 Jahren als Superintendentin in den Ruhestand. Foto: epd-bild / Rolf Zoellner

Ulrike Trautwein geht in den Ruhestand

Ulrike Trautwein war 13 Jahre lang Generalsuperintendentin im Sprengel Berlin, damit war sie Regional­bischöfin für rund eine halbe Million Christ*innen in den Berliner Kirchenkreisen. Jetzt geht sie in den Ruhestand.

Von Uli Schulte Döinghaus
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Berlin. Einen Spanischkurs will sie machen. Das hat sich Ulrike Trautwein für die Zeit nach ihrer Pensionierung vorgenommen, die in wenigen Tagen beginnt. Aber noch ist es nicht so weit, noch nimmt sie als Generalsuperintendentin für den Sprengel Berlin in der Landeskirche die geistliche ­Leitung über das evangelische ­Leben in der Hauptstadt wahr.

Den Begriff „General­superintendentin“ mag Trautwein nicht

Den umständlichen Titel General­superintendentin findet Trautwein heutzutage unverständlich. Er reicht in die Zeit zurück, als die preußischen Könige noch die obersten Bischöfe in der evangelischen Kirche waren. „In vielen anderen Landeskirchen hat sich der Amts­titel Regionalbischof durchgesetzt. Das ist viel besser“, sagt sie.

Seit 13 Jahren ist Ulrike Trautwein als Generalsuperintendentin tätig, in einer Stadt, die keine Ruhe gibt. Davon ist auch ihre Arbeit­ ­geprägt. Der Bereich Erinnerungskultur in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) ist das erste Stichwort, das sie im Gespräch zur Sprache bringt. Es geht um die ­herausfordernden Themen Nationalsozialismus, SED-Diktatur, aber auch um das Erbe des Kolonialismus und welche Rolle Kirche gespielt hat. Wer in der Metropole geistliche Impulse setzen will, muss sich ­immer auch mit der Vergangenheit der Stadt auseinandersetzen und diese in der Gegenwart innovativ übersetzen, um in der Zukunft eine Rolle zu spielen.

Zähes Ringen um einen Erinnerungsort

Als ein Beispiel nennt Ulrike Trautwein die schwierige, von zu viel ­Bürokratie und Zuständigkeits­wirren gekennzeichnete Geschichte des Berliner „Friedhofslagers“. Von 1943 bis 1945 betrieb die Evange­lische Kirche auf dem Friedhof der Jerusalems- und Neue Kirchen­gemeinde an der Neuköllner Hermannstraße ein kirchliches Zwangsarbeiterlager. Über 100, oft noch minderjährige aus der Sowjetunion verschleppte Zivilisten mussten dort leben und Zwangsarbeit leisten. Es war das einzige Lager in ganz Deutschland, das von der ­Kirche geplant, finanziert und ­betrieben wurde.

Dort einen angemessenen und würdigen Erinnerungsort zu ermöglichen, das sei zunächst auf ­viele behördliche Widerstände ­gestoßen, sogar die Bundesautobahnbehörde musste einbezogen werden. Trautwein erinnert sich: „Es war ein Riesenkampf, diese ­Fläche freizukriegen. Irrwitzige Verhandlungen. Irgendwann haben wir es einfach gemacht.“ Heute ist der Erinnerungsort, der in direkter Nachbarschaft zum Naherholungsgebiet Tempelhofer Feld liegt, tagsüber für Besucher*innen geöffnet.

Das zähe Ringen rund um einen Erinnerungsort im Gedenken an die Menschen, die dort einst ihrer Freiheit beraubt zur Arbeit gezwungen wurden, zeigt, wie kleinteilig die Mühen in der Ebene manchmal sind, die eine Generalsuperintendentin im Alltag beackert. Trautweins Einfluss stützt sich dabei nicht auf große Budgets oder viel Personal, sondern auf Erfahrung, eine klare Haltung und diplomatisches Geschick. Sie mag eine kooperative Atmosphäre.

Großes Engagement für eine Willkommenskultur

Mit dieser Kompetenz der Wertschätzung ihres Gegenübers aus­gestattet, muss man sich Ulrike Trautwein auf der Arbeitsebene vorstellen. Zum Beispiel, wenn sie in kirchlichen Gremien Entscheidungen mit vorbereitet, auf den Weg bringt oder verwirft. Sie ist von Amts wegen Mitglied der ­Kirchenleitung der Landeskirche und leitet ein Gremium mit allen zehn Berliner Superintendenten und Superintendentinnen, die ihre Arbeit regelmäßig miteinander ­abstimmen, um die Belange evangelischer Christen und ihre Kernthemen in Berlin voranzubringen.

Eines davon ist die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten. Evangelische Christen und die evangelische Kirche insgesamt ­hätten hier großartige Arbeit geleistet, sagt Ulrike Trautwein selbstbewusst. Man sei zu einem wesentlichen „Player“ im sozialen Gefüge der Stadt geworden. „Als Evangelische haben wir Respekt in der Stadtöffentlichkeit erworben, auch dort, wo Kirche bislang vielleicht ein Fremdkörper war“, sagt sie. Daran hat Ulrike Trautwein auch mitgewirkt, quasi als evangelische Markenbotschafterin in und für Berlin. In der Stadt ist sie meist mit dem Fahrrad unterwegs, sei es auf dem Weg zum Büro oder zu ­offiziellen Terminen. Mitunter wird sie in der „Abendschau“ oder in ­anderen Medien zu aktuellen ­Fragen interviewt, die die Stadt­ ­bewegen.

Instagram und Predigt

Trautwein kommuniziert souverän in unterschiedlichen Formaten. Für ihre Botschaften nutzt sie das soziale Netzwerk Instagram genauso wie die Predigt. Mindestens einmal im Monat hält sie einen Gottesdienst in ihrer „Stammkirche“, der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Sie ist aber auch an vielen anderen Ber­liner Kirchen wie dem Berliner Dom, der Kulturkirche St. Matthäus oder der Marienkirche in der historischen Mitte Berlins präsent.

Häufig kritisiert die Theologin scharf einen immer noch oft durchscheinenden Antijudaismus in der christlichen Predigtkultur, in der das Alte Testament beziehungs­weise die hebräische Bibel bewusst abgewertet und fälschlicherweise auf Rache, Hass und Strafe reduziert wird. Für Trautwein mache das deutlich, „dass dieser erschütternde Antisemitismus, der sich ­gerade wieder überall zeigt, immer noch viel mit uns zu tun hat. Das ist für mich ein Kernthema“.

Wider der Gleichgültigkeit

Rund um das Pogromgedenken am 9. November erinnerte Trautwein in „die Kirche“ in einem Artikel in der Reihe „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ (Ausgabe 46) daran, dass die nicht betroffenen Deutschen die Grausamkeiten damals mehr oder weniger gleichgültig hingenommen hätten. Auch heute reagierten ­wieder viele mit Gleichgültigkeit, wenn jüdische Menschen oder Einrichtungen attackiert werden. „Herzlosigkeit ist unverzeihlich.“

Unter dem Schlagwort „Kirche in der Stadt“ hat Ulrike Trautwein eine ganze Reihe von kirchlichen Initiativen begleitet oder daran mitgewirkt, die für Innovation, Aufbruch, gesellschaftliches Engagement und neue Spiritualität stehen. Refo-Moabit, die Kirche im Kiez mit ihrem beeindruckenden Campus, liegt ihr sehr am Herzen. Oder die „Startbahn“ in und um die Genezarethkirche am Neuköllner Herrfurthplatz. Sie gibt seit 2021 einen Freiraum, in dem sich Menschen zusammenfinden, um geistlich aufzubrechen zu neuen Formen von Kirche, Spiritualität, Kunst und Politik. Begeistert ist sie von neuen Formaten wie Pop-up-Hochzeiten und Tauffesten, die in den vergangenen Jahren an vielen Orten ­Berlins großen Zuspruch erhalten haben und die kirchliche Kultur neu bereichern.

Trautwein: Kirche wird sich weiter verändern

An zahlreichen Orten in Berlin ist spürbar, dass sich Christinnen und Christen auf den Weg gemacht haben. „Ja, meine Kirche hat sich immer verändert und wird sich weiter verändern“, sagt Ulrike Trautwein. „Denn Kirchen sind ­Orte, wo man ganz viel vom Leben mitkriegt.“

Am Sonntag, 8. Dezember wird Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein in einem Gottesdienst verabschiedet. Ein Wahlkollegium mit Vorsitz des Bischofs berät aktuell einen Wahlvorschlag mit mindestens zwei Namen für die Nachfolge von Ulrike Trautwein.

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