Menschen machen ein Schattentheater an einer Wand
Während der Proben übten die Teilnehmenden das Schattenspiel mit Jule Torhorst (Foto rechts). Foto: Susanne Atzenroth

Paul-Gerhardt-Theaterstück: Lübben experimentiert

Am 12. Oktober wird das experimentelle Paul-Gerhardt-Theaterstück „Nun steh’ ich“ erstmals in Lübben aufgeführt – in der Kirche, in der der Lieddichter von 1669 bis zu seinem Tod 1676 predigte.

Von Susanne Atzenroth

Lübben. Ein Besuch bei den Proben zeigt: Dieses Theaterexperiment, das Lübbens vermutlich berühmtesten Einwohner ehrt, sprengt Konventionen. In der zunächst ­stillen Paul-Gerhardt-Kirche hüpft plötzlich jemand zwischen den ­Bänken, andere schaukeln in den Sitzreihen, dann erklingen meditative Klänge aus den Lautsprechern. „Probieren Sie aus, was Sie in einer Kirche noch nie gemacht haben!“, ermutigt Regisseurin Jule Torhorst die Darstellenden. Stoffbahnen hängen wie Vorhänge von der ­Empore, Licht und Schatten tanzen. Die Atmosphäre wirkt ungewohnt, aber spannend und lebendig.

Seit dem vergangenen Jahr entstanden in Workshops, Gesprächen und experimentellen Proben wie dieser, einzelne Szenen für die Theaterperformance. Im Sommer fügte Jule Torhorst sie zu einem Stück zusammen, jetzt wird intensiv geprobt. Dazu hat der musika­lische Leiter Hardy Schulze mehrere Paul-Gerhardt-Lieder neu vertont. Bühnen- und Kostümbildnerin ­Neïtah Janzing bringt Schatten­spiele mit ein. Besonders begeistert zeigt sich Torhorst über die Offenheit der Mitwirkenden für moderne Theatermittel. Dazu gehört auch, dass die Gruppe im gesamten ­Kirchenschiff spielt – und das Pub­likum während der Aufführung im Altarraum sitzen wird.

Zwischen Krieg und Hoffnung: Die Themen Paul Gehrhardts

Das Stück zeigt ein Panorama der Themen, die Paul Gerhardt in ­seinen Texten bewegten: unerschütterlicher Glaube, Zuversicht, Lebensfreude – aber auch Tod, Krankheit, Zerstörung und Misstrauen. Gerhardt, 1607 in Gräfenhainichen geboren, lebte fast sein ganzes Leben im Schatten des ­Dreißigjährigen Krieges. Seine Lieder spenden Trost und Zuversicht, verschweigen aber Leid und Verzweiflung nicht. „Es geht in Gerhardts Texten viel um Krieg“, fasst Torhorst zusammen. Szenen über Krankheit, Verlust und Zerstörung wechseln sich mit Momenten voller Humor und ­Lebensfreude ab. Die Bilder der Theaterperformance ­entstanden aus einer Mischung aus historischen Texten, Gerhardts Versen und Beiträgen der Mit­wirkenden. „Wir haben schon im letzten Jahr begonnen, über sein ­Leben ­n­­ach­zudenken, Texte geschrieben, ­ausprobiert, verworfen und neu zusammengesetzt“, erzählt Torhorst.

Paul-Gerhardt-Theaterstück: Gemeinsame Suche nach Ausdruck

„Wir wollen Gerhardts Texte nicht museal betrachten, sondern fragen: Was sagen sie uns heute?“, erklärt Torhorst. Dass auch Laien mitwirken, ist dabei ausdrücklich gewollt. „Wir sind eine tolle Gruppe geworden – Menschen aus Lübben und Umgebung, mit ganz unterschied­lichem Vorwissen zu Paul Gerhardt“, erzählt sie. Perfektes Schauspiel sei nicht das Ziel, sondern die gemeinsame Suche nach Ausdruck.

Zu den 20 Mitwirkenden der Performance gehört auch Ilse Schulz, Lübbenerin und aktives Mitglied in der dortigen Kirchengemeinde, wie auch im Paul-Gerhardt-Verein. Schon als Jugendliche stand sie auf der Schultheaterbühne. „Der experimentelle Ansatz ist für mich eine sehr interessante Erfahrung“, sagt sie. So greifen Schattenbilder Szenen aus Gerhardts Leben auf, zeigen das Grauen des Dreißigjährigen Krieges. Eine andere Episode, die die Mitwirkenden gemeinsam entwickelten und in der auch Ilse Schulz mitspielt, zieht sich wie ein roter Faden durch das Stück: der lange Konflikt mit dem Lübbener Stadtrat vor Gerhardts Amtsantritt. Das Theaterprojekt wird vom Paul-Gerhardt-Verein Lübben in Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde Lübben und der Stadt Lübben durchgeführt. Es wird gefördert von der Stiftung der Mittelbrandenburgischen Sparkasse sowie vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen des Kulturplans Lausitz. „Viele Touristen kommen wegen Paul ­Gerhardt nach Lübben“, sagt ­Dörthe Ziemer, Vorstandsmitglied des Paul-Gerhardt-Vereins und ­Mitinitiatorin des Projekts. Für sie ist es wichtig, dass Gerhardts Texte in Lübben nicht nur bekannt, sondern in Gemeinschaft neu erlebt und interpretiert werden.

Gedenkjahr für Paul Gerhardt: Theaterstück als Auftakt

Das Theaterstück bildet den Auftakt für das kommende Gedenkjahr anlässlich des 350-jährigen Todestages des Kirchenlieddichters. Dann wird es viele Gelegenheiten geben, das Schaffen und Wirken Paul Gerhardts kennenzulernen und sich damit auseinanderzusetzen – ob bei Konzerten, Lesungen, Ausstellungen oder Begegnungen. „Einzelne Szenen aus der Performance werden bei verschiedenen Gelegen­heiten erneut aufgeführt“, kündigt Dörthe Ziemer an. Doch ­zunächst steht die Premiere bevor.

Die Aufführung findet im Rahmen der Paul-Gerhardt-Woche in Lübben vom 6. bis 12. Oktober statt, organisiert vom Paul-Gerhardt-Verein. Dazu gibt es täglich um 12 Uhr unter dem Motto „Und einmal nur am Tage ein Weilchen stille sein“ Mittagsandachten mit Orgelspiel und Lesung. Für die Theaterperformance am Sonntag, 12. Oktober, um 17 Uhr in der Paul-Gerhardt-Kirche Lübben wird wegen der begrenzten Platzauswahl um Reservierung gebeten. Der Eintritt ist frei, Spenden sind erbeten.

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