Noch heute sind Glocken regelmäßig in ganz Europa zu hören. Auch in den Brandenburger Dorfkirchen. Sie sollen Böses abwehren und tragen Segen und Sehnsüchte übers Land.
Von Gunnar Lammert-Türk
Überall in Europa waren seit dem 10. und 11. Jahrhundert Glocken zu hören. In den großen Städten und in den Stadtkirchen, aber auch auf dem Land in den Dorfkirchen. So weit verbreitet waren sie und so prägend für das Leben der Menschen, dass manchmal auch vom „Glocken-Europa“ die Rede ist.
Noch heute sind Glocken in ganz Europa zu hören. Auch in den Brandenburger Dorfkirchen. Viele von ihnen haben Namen und sind am Rand verziert. In Manker in der Prignitz zeigen sie darüber hinaus zwei kleine Figuren auf einem Pferd. Dargestellt werden so zwei Heilige aus der Trierer Benediktinerabtei St. Matthias: der heilige Maternus, ein Trierer Bischof aus dem 4. Jahrhundert nach Christus, und der Apostel Matthias, dessen Grab sich in der Klosterkirche befindet.
Eingegossene Pilgerzeichen in Glocken
Die beiden Figuren in Manker gehören zu einem Pilgerzeichen. Diese sind auf manchen Glocken in Brandenburger Kirchen zu sehen. Es gibt Pilgerzeichen aus Orten im Süden und Westen Deutschlands, aus dem Elsass, aus Belgien und Frankreich. So weit entfernt waren Brandenburger Pilger damals unterwegs. Vor Ort konnten sie die Pilgerzeichen in unterschiedlichen Größen und Ausführungen kaufen und befestigten sie oft am Mantel oder am Pilgerhut. Wieder in ihrem Heimatort angekommen, wurden die Pilgerzeichen beim nächsten Glockenguss mit eingegossen und schmückten fortan die neue Glocke.
So sollte der Segen, den die Pilger an den heiligen Stätten empfangen hatten, der Heimatgemeinde zugutekommen und mit dem Glockenklang über Land getragen werden. Denn mit den Pilgerzeichen hatten die Menschen die verehrten Reliquien berührt.
Dahinter steckt die sehr alte Vorstellung, dass Glocken Böses abwehren und Harmonie zwischen der Welt der Menschen und dem Kosmos herstellen können. So sahen es bereits die Chinesen, die vor etwa 3500 Jahren zuerst Glocken hatten.
Warum wird überhaupt geläutet?
Glocken dienten früher vielen Zwecken:
- Sie riefen zu Versammlungen, verkündeten die Ankunft hoher Herrschaften und ihre Siege.
- Sie zeigten die Zeit an.
- Sie läuteten bei Hochzeiten und bei Todesfällen, aber auch wenn ein Verbrecher den Ort verlassen musste oder jemand zur Hinrichtung geführt wurde.
- Sie warnten vor dem herannahenden Feind und wurden bei Brand und Unwetter geschlagen.
Die Vorstellung, dass ihr Klang Schaden abwehrt und Böses bannt, Gutes fördert und herbeiruft, ist, vom alten China ausgehend, über Zeiten und Räume bewahrt worden. Und so trugen die Glocken auch die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen über Land. Mit den Inschriften der Glocken baten sie um Frieden und um Schutz vor Unwetter und Missernten. Wie es auf einer mittelalterlichen Glocke heißt: „Die Lebenden rufe ich, die Toten beklage ich, die Blitze breche ich.“ Und beim christlichen Begräbnis hinderte die Glocke den Teufel, sich die Seele des Verstorbenen zu holen.
Von der Handglocke zur großen Kirchenglocke
Für die Verbreitung der Glocken in Europa haben Benediktinermönche gesorgt. Als Missionare zogen sie mit Bibel, Stab und Handglocke umher. Aber auch als erste Glockengießer. Und noch etwas brachten sie mit den Glocken zu den Menschen: Schon der Zeitgenosse des Einsiedlers Antonius, der Ägypter Pachomius, der die ersten Klöster gründete, sorgte für einen geregelten Tagesrhythmus aus Arbeit, Gebet und Muße. Dazu wurden die Mönche durch ein akustisches Signal gerufen, ab dem sechsten Jahrhundert war dies eine Glocke. Mithilfe eines Glockensignals wurde der lebensordnende Tagesrhythmus dann auch zu den Menschen außerhalb der Klöster gebracht.
Das Läuten zeigte die Arbeitspause an und Gottesehre
So rief die Mittagsglocke nicht nur zur Unterbrechung der Arbeit. Erklang sie, dachten die Menschen an die Menschwerdung Gottes, die Geburt Jesu. Abends regten die Glocken dazu an, den Tag Revue passieren zu lassen. Zugleich wurde an das Leiden und Sterben Jesu gedacht, eine Erinnerung auch an die Vergänglichkeit des Lebens. Beim Morgenläuten stand die Auferstehung Jesu am Ostermorgen vor dem inneren Auge. Das war zugleich eine Ermunterung, den rechten Weg durch den neuen Tag zu finden, ihn gewissermaßen zur persönlichen Auferstehung zu machen.
Glockenläuten zeigte den Weg beim Pilgern
Glockenklang war es auch, der den Weg der Pilger im Mittelalter begleitete. Er war wie Heimat in der Fremde und an manchem Abend wies er auf eine menschliche Siedlung hin, auf Schutz und Herberge. Mit einer Urkunde ihres Bischofs waren die Pilger unterwegs, die sie vorzeigen konnten, um Kost und Logis zu erhalten und auf der sie sich am Ziel bestätigen ließen, dass sie dort waren. Einen Beleg dafür boten auch die schon erwähnten Pilgerzeichen, die die Pilger von vielen Stationen auf dem Weg nach Santiago de Compostela mitbrachten. Unter anderem aus Aachen, dem großen Sammelpunkt für Pilger, die aus Nordeuropa nach Santiago de Compostela unterwegs waren. Auch dorthin machten sich damals Brandenburger auf, wie eine Glocke im Dorf Barsikow in der Ostprignitz nahelegt. Auf ihr ist ein Pilgerzeichen aus Aachen zu sehen. Es zeigt Maria als bekrönte Muttergottes mit dem Jesuskind.
Wie seinerzeit im späten Mittelalter wird diese Glocke noch heute geläutet, wenn auch seltener. Und trägt noch heute ihre Botschaft und ihren Segen ins Brandenburger Land. Zur Ausbreitung der Harmonie zwischen Himmel und Erde, wie es schon die alten Chinesen glaubten oder zumindest als Schutz
Gottes.