Mit Martin Assig stellt in der Berliner St. Matthäus-Kirche ein Künstler aus, der selbst gläubig ist. Die eigene Biografie spielt in diesem Werk eine ebenso große Rolle wie der Mensch mit seinen Zweifeln und Hoffnungen.
Von Ulrike Mattern
Berlin. Martin Assig verhandelt in seinem künstlerischen Schaffen existenzielle Fragen des Lebens, ohne kitschig zu sein. „Er arbeitet mit einer kindlichen Form der Spielfreude“, sagt Hannes Langbein, Direktor der Stiftung St. Matthäus. Bis zum 5. Januar sind die Werke des Künstlers in der St. Matthäus-Kirche in Berlin-Tiergarten neben der Neuen Nationalgalerie zu sehen. Zwei knieende „Heilige“ auf großen Leinwänden wurden eigens für diese Ausstellung geschaffen. Die „Aktivistin“ von 2023, Farbe auf Holz, erinnert im Titel an die Mitstreiter*innen der „Letzten Generation“, die sich öffentlichkeitswirksam für den Klimaschutz einsetzen. „Die Bilder leben von Figürlichkeit, sind aber keine Themenbilder“, betont Langbein. Ihn beeindruckt die „unglaubliche Formenvielfalt“ des Künstlers. „Seine Handschrift ist aber immer erkennbar.“
Anrufung des Lebens
Auf den Emporen wird die zwischen 2009 und 2024 entstandene kleinformatige Bilderserie „St. Paul“ präsentiert. Ein teils heller, teils düsterer Bewusstseinsstrom auf Papier mit Zeichnungen, Texten, Mustern und Gesichtern sowie einer Wachsschicht als Firnis. „Kannst du mir vergeben?“, steht auf einem der 234 Bilder, auf dem 14 strukturiert angeordnete Hämmer zu sehen sind, große und kleine. Auf einem anderen verschwinden in der unteren Bildhälfte zwei helle Augenpartien im pechschwarzen Dunkel. Darüber ziehen sich Textbahnen auf rötlichem und gelbem Hintergrund mit Fragen wie: „Ist es dort dunkel? Ist es dort nass? Ist es dort kalt? Ist es dort einsam? Ist es dort ewig?“
Assig war lange Jahre schwerstkrank und wurde geheilt. Diese „Befreiungserfahrung“, den Rückweg ins Leben, verarbeite der Künstler, so Langbein, in dem über 1 000 Bilder umfassenden Zyklus. „Er stellt die ganz basalen Lebensfragen.“ Der Titel der Serie lehne sich an den Maler Paul Klee, aber auch an den spanischen Künstler Francisco de Goya an. Beide arbeiteten mit Schrift.
Bunte „Seelenhäuser“
Geboren wurde Martin Assig 1959 im westfälischen Schwelm. Von 1979 bis 1985 studierte er an der Hochschule der Künste, der heutigen Universität der Künste (UdK). Heute lebt er in Brandenburg. Hannes Langbein steht seit 2005 mit ihm in Kontakt. Damals stellte Assig seine bunten „Seelenhäuser“ in der für ihn typischen Enkaustik-Technik, in Wachs gebundene Farbpigmente, im Dom in Havelberg aus.
„Er gehört zu den wenigen Künstlern, die sich als gläubige Menschen bezeichnen“, sagt Hannes Langbein. „Das ist auch ungewöhnlich für unsere Ausstellungspraxis in St. Matthäus.“ Die gleichnamige Stiftung ist die Kunst- und Kulturstiftung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). In der St. Matthäus-Kirche, aber auch mit weiteren Kunstprojekten in Berlin und Brandenburg sucht das Team um Hannes Langbein den Austausch mit den Künsten. Religionszugehörigkeit ist dabei kein Auswahlkriterium, die Künstlerinnen und Künstler sollten aber dem religiösen Raum und der Gemeinde offen entgegentreten.
Wandel und Kontrast
Mit den Ausstellungen in der St. Matthäus-Kirche wandelt sich jedes Mal die Anmutung des Kirchenraums – und die Platzierung der Gemeinde: Während der Passions- und Osterzeit folgte bei „Forms of Love“ vom Peles Duo die Gestaltung dem Bild eines geöffneten Granatapfels auf dem Fußboden. Kurz darauf schwebten um Pfingsten filigrane Plexiglasskulpturen der Künstlerin Berta Fischer in der Mitte des Raums. Während der Sommermonate „tafelte“ die Gemeinde rund um einen langen, großen Tisch mit Fluxus-Highlights aus der Sammlung Francesco Conz. Mit Martin Assigs Bilderwelten ist jetzt Stille eingekehrt im Kirchenschiff. Kontemplation, die Versenkung in Gott, ist gefragt: Die grauen Holzbänke und Stühle mit ihren dunkelroten Sitzkisten sind gen Altar ausgerichtet. Auf den ersten Blick kaum wahrzunehmen, befindet sich im Altarbereich ein kleines zweiteiliges Tongefäß an der Wand, das oben geöffnet ist: das Werk „Fontäne“ von 2009. Auf dem schmaleren Hals dieses Altarbildes ist – kaum sichtbar – „JA“ graviert, der bauchige Körper in Wachsmaltechnik geringelt. „Das Gefäß kann alles fassen, vor allem auch das Unsichtbare, weil man nicht sieht, was drin ist“, sagt Hannes Langbein. Vielleicht auch eine der „Übungen zur Verwunderung“, die der Künstler auf der Empore für unabdingbar erklärte.
Ausstellung: Martin Assig, „Gottweißwo“; bis 5. Januar 2025, Öffnungszeiten: Di–So 11–18 Uhr, Donnerstag, 24.10., 19 Uhr, Künstlergespräch mit Martin Assig und Pfarrer Hannes Langbein, Kunstbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), in der St. Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, Berlin-Tiergarten. www.stiftung-stmatthaeus.de
Zum Foto: Martin Assig, „Gottweißwo“, Ausstellungsansicht St. Matthäus-Kirche, 2024 © Martib Assig/VG Bild-Kunst, Bonn 2024.
Fotoquelle: Stiftung St. Matthäus/Leo Seidel