Eine Bitte

In ihrer Kolumne stellt Pröpstin Christina-Maria Bammel einmal im Monat Thesen, Themen, Gegenwartsfragen, aber auch Ereignisse von gestern und heute auf den Prüfstand. In der aktuellen Ausgabe geht es um Europa und den politischen Kurs der EU.

Von Christina-Maria Bammel

Europa, die Tochter von Telephassa und dem phönizische König Agenor hatte dem Götterkönig Zeus das Herz verdreht. Schwer verliebt habe dieser die Angebetete ruck-zuck entführt. Von wegen. Die feministisch-historische Erkenntnis lautet: Die schöne Europa wurde nicht Objekt männlicher Durchsetzungsgewalt. Sie musste gewonnen werden. Telephassa erteilte dem Zeus eine Lektion: Eine Europa wird sich nur bitten lassen. Da half die Stierverwandlung. Die Botschaft des Mythos ist, so die Historikerin Annette Kuhn: Liebe zwingt nicht, sie bittet. 

Danke für die (fürchterlich anstrengende) Demokratie

Das Bitten – ja, das ist nun ein stiermäßig großer Sprung – ist christliche Grundhaltung. Gern bete ich beim Online-Gebetskalender unserer Nachbarkirche Evangelische Kirche Mitteldeutschlands (EKMD) mit. Das aktuelle Gebetsanliegen ist so eingeleitet: „Von ganzem Herzen Danke für die Demokratie! Auch wenn sie fürchterlich anstrengend ist. Danke, dass wir nicht von Despoten regiert werden.“ Ich ergänze: Dank an und Bitte für Europa. Was Europa an Arbeit bedeutet, mag „fürchterlich anstrengend“ sein. Aber wer das Anliegen dieser Arbeit beenden will, den frage ich: Was soll denn besser sein als dieses solidarische, friedensuchende Vorhaben namens EU? Ohne Europa würden wir – das zeigt der Brexit – verlieren: kulturelle Vielfältigkeit, die Freiheit, über offene Grenzen hinweg zu reisen und zu arbeiten, Menschen, die hier für das Gemeinwohl arbeiten. Vom Wohlstandsverlust will ich gar nicht sprechen. Es braucht neue begeisternde Ideen wie vor fünf Jahren bei der 12-Stars-Initiative: Gesucht wurden Vorschläge für einen guten Kurs Europas aus philosophischer Perspektive. Es gibt die mehr als 24 originellen Ideen zur Zukunft der EU, online diskutiert, zu einem europaweiten Feier- und Gedenktag etwa oder zur Bekämpfung von Altersdis­kriminierung. 

Idee für morgen, nicht von gestern

Argumentieren hilft, Brücken in jeder Kontroverse zu finden. Gerade finden die Begegnungstage in Frankfurt (Oder) und Słubice, Brückenschlag der europäischen Ökumene, statt. Weil nichts trennen kann und so vieles verbindet, legen sich Bilder und Gebete ins Herz; neue Lieder und Kontakte, ausgetauschte Adressen, kostbare Erinnerungen. Ich bitte darum: Lassen wir Europa, das fragile Friedensprojekt dieses Kontinents, nicht versinken. Europa ist keine Idee von gestern, sondern für morgen zu tun. Ich und du sind Subjekte des Tuns und können mit einer Bitte anfangen. Bitten wir um grenzüberschreitende Solidarität und Offenheit, auch wenn sie manchmal „fürchterlich anstrengend“ sind. 

Christina-Maria Bammel ist Pröpstin der EKBO
Foto: Fotostudio Kauffmann

Aktuelles

Grabkreuz mit Blättern

Ewigkeitssonntag in grünem Kleid

Am Ewigkeitssonntag gedenken wir den Verstorbenen. Gemeinsam trauern und hoffen wir. Warum wir einen Vorgeschmack auf die Ewigkeit erleben. Dörte Paul schreibt Gedanken zum Tod und Anekdoten nieder. Die Pfarrerin erzählt von den „Schwachstellen des Diesseits“ und dem Grab ihres Vaters.

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Eine Urne im Wald

Letzte Ruhe – die Friedwaldbestattung

Eine naturnahe und nachhaltige Bestattungsmethode: In abgegrenzten Waldstücken bekommen kompostierbare Urnen eine Baumgrabstätte. Sabine Hoffmann erklärt, wie die Prozedur abläuft und warum keine Kränze oder Grabgestecke erlaubt sind.

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Ein Schwarz-Weiß-Foto von zwei Männern mit Koffern

1986: Ost-West-Friedensvertrag am Küchentisch

Im Sommer 1986 verfassen zwei junge Männer, einer aus dem Westen, der andere aus dem Osten, an einem Ostberliner Küchentisch einen Friedensvertrag: gegen Feindbilder und gegen verbale Mobilmachung. Veränderungen fangen klein an, mit persönlichen Vertrauenserklärungen. Eine Erinnerung von Pfarrer Thomas Jeutner.

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