„Jahresthema Kirche 2024 “– so lautet das aktuelle Motto im Oderbruch-Museum und der angrenzenden Dorfkirche Altranft im Landkreis Märkisch-Oderland. Es zeigt beispielhaft, welchen Einfluss die Evangelische Kirche zwischen Bad Freienwalde und Seelow hatte – und immer noch hat. Ein Ortsbesuch.
Von Uli Schulte Döinghaus
Bad Freienwalde. Dorfkirche Altranft vor 150 Jahren, Patronatsloge. In etwa drei Metern Höhe verfolgt der Rittergutsbesitzer und Zuckerfabrikant Edwin Carl Wilhelm Graf von Hacke mit seiner Familie den Sonntagsgottesdienst. Wo er einst die Frömmigkeit seiner Untertanen beäugte, da steht heute ein Damenfahrrad, das in die Jahre gekommen ist. Abgewetzter Dynamo aus DDR-Produktion, zerschlissener Sattel, verbogener Korb, ausgelatschte Pedalen. Am Lenker ist ein kleiner Strauß Trockenblumen befestigt.
Kirchliches Leben im Oderbruch
Das Fahrrad ist kein Schrott, sondern Teil eines Programms „Jahresthema Kirche“, in dem es um die Kirche im Oderbruch geht. Mit dem Rad bewegte sich jahrzehntelang die Pfarrerin Hella Grengel (+ 1997) von Dorf zu Dorf, um Gottesdienste zu feiern oder Seelen zu trösten. Heute symbolisiert das klapprige Zweirad Gegenwart und jüngste Geschichte des kirchlichen Lebens im Oderbruch. Das ist einerseits durch Mitgliederschwund geprägt, andererseits aber auch durch die Beharrlichkeit der Protestanten, zwischen Seelow und Bad Freienwalde immer wieder Ge-meinschaft und Zusammenhalt zu stärken. Christlich hin, unchristlich her.
Auch darüber wird in einer aufschlussreichen Dokumentation berichtet, die in der Patronatsloge gleich hinter dem Fahrrad ausgelegt ist. Der Titel: „Kirchen im Oderbruch – Perspektiven. Eine Sammlung bewegender und bewegter Geschichte(n)“. Engagierte Christinnen und Christen aus den Dörfern und Kleinstädten berichten in diesem Sammelband über Nähe und Distanz in ihrer geistlichen Heimat, auch über eine erstaunliche Strahlkraft, die über die Kirchenmitgliedschaft hinausgeht. „Die Menschen hier haben Vertrauen in die Kirche als Institution, denn sie steht für Freiheit, Gerechtigkeit und für den Glauben. Für mich ist die Kirche immer ein Ort des Gesprächs der Toleranz, Gerechtigkeit und Freiheit gewesen.“ Das schreibt Christian Moritz in der Dokumentation, er ist Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Wriezen im Kirchenkreis Oderland-Spree.
Ein Ort unter vielen
Aber er räumt ein: „Die Kirche, das merken wir, wird ein Ort unter vielen.“ An anderer Stelle berichtet Ältester Heinz Müller minutiös über die Sanierung eines Kirchengebäudes und den Aufwand, der damit für ehrenamtlich Mitarbeitende verbunden ist. Was treibt ihn dennoch an? „Das Wichtigste ist, dass eine lebendige Kirche entsteht, damit die Mühe, die wir uns gemacht haben, nicht umsonst war.“
Was der Gemeindekirchenrat aus Wriezen, der inoffiziellen Hauptstadt des Oderbruchs, berichtet, gilt auch für die Dorfkirche in Altranft. Sie hat heute eine Doppelfunktion –Als Gotteshaus und Ausstellungsort zugleich. Daran haben Christinnen und Christen aus der Region tatkräftig mitgewirkt. Superintendent Frank Schürer-Behrmann sagt: „Der Kirchenkreis und die örtliche Kirchengemeinde haben das Themenjahr unterstützt. Sie haben die Dorfkirche Altranft für 80000 Euro zur Ausstellungskirche ertüchtigt, mit Einbau von Licht und Tontechnik, Schaffung einer Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche im Vorderbereich und Unterstützung der Anbringung zahlreicher großformatiger Schwarzweißfotos in den Kassetten der Empore und weiteren Renovierungsmaßnahmen. Um einen größeren Baum an der Kirche wurde eine wunderbare Sitzbank aufgestellt.“
Geschichte und Kultur Hand in Hand
Tatsächlich ist diese Sitzbank rund um den mächtigen Spitzahorn vor der Kirche eine schöne Gelegenheit zu einer Pause im Schatten, bevor es rechter Hand durch den Schlosspark ins Innere des Oderbruchmuseums geht. Es ist im „Schloss“ eingerichtet, wie die Leute hierzulande sagen, wenn sie das frühere Herrenhaus meinen. Hier geht es heute auf zwei Etagen , so lehrreich wie unterhaltsam, um das Gebiet Oderbruch und seine Menschen. Am Beispiel einzelner Stadt- und Dorfgemeinden wird die Kirchengeschichte des Oderbruchs erzählt, angefangen vom Schulwesen im preußischen Staat über Pfarrer der „Bekennenden Kirche“, denen vom Nationalsozialismus und den „Deutschen Christen“ zugesetzt wird, schließlich die „Entscheidung zwischen Konfirmation und Jugendweihe auf dem Bildungsweg“ in DDR-Zeiten, die nicht selten in einen Kompromiss mündete.
Ausstellungsstücke, die sich mit der Geschichte und Aktualität der vorrangig Evangelischen Kirche beschäftigt, werden ergänzt durch eine Palette von Kultur- und Vortragsveranstaltungen, die teils draußen, teils im „Schloss“ oder in der Kirche stattfinden.
Gespannt warten alle auf das Theaterstück „Das Amen in der Kirche“, das am 5. Oktober in der Dorfkirche Premiere haben wird und von Kenneth Anders geschrieben wurde, dem Programmchef des Oderbruchmuseums. Vielleicht wird im Stück auch die legendäre Pfarrerin Grengel eine Rolle spielen und ihr Fahrrad, auf dem sie durch das Oderbruch radelte und das heute ein Museumsstück in der
Patronatsloge ist.
Weiter Informationen unter: https://oderbruchmuseum.de/das-jahresthema-2024-kirche/
Foto: Das Oderbruch-Museum im ehemaligen Herrenhaus
(c) Uli Schulte Döinghaus