Im Oktober 1989 begannen in der Gethsemanekirche Mahnwachen für die Freilassung politischer Gefangener in der DDR. Die Kirche in der Stargarder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg wurde zum Zentrum des Aufbegehrens gegen die rigide Staatsmacht. Daran wird in diesem Herbst mit mehreren Veranstaltungen erinnert.
Von Bernd Albani
Am 7. Oktober 1989 soll nach dem Willen der SED-Führung der 40. Jahrestag der DDR als Erfolgsgeschichte gefeiert werden. Dabei befindet sich das Land in einer tiefen Krise, wirtschaftlich wie politisch. Über die offene Grenze zwischen Ungarn und Österreich fliehen Tausende DDR-Bürger in die Bundesrepublik. Andere suchen Zuflucht in den bundesdeutschen Botschaften in Prag und Warschau. Die DDR-Regierung schließt daraufhin die Grenzen.
Aus den Friedens-, Umwelt- und Gerechtigkeitsgruppen, die über viele Jahre hinweg vorwiegend im Raum Kirche agierten, beginnt sich eine politische Opposition zu formieren und in die Öffentlichkeit zu gehen.
Mahnwachen beginnen
Die Gethsemanekirche wird zu einem Zentrum des Aufbegehrens gegen das SED-Regime. Am 2. Oktober beginnen junge Frauen und Männer aus dem Weißenseer Friedenskreis, der Umweltbibliothek, der Kirche von Unten sowie anderer oppositioneller Gruppen eine Mahnwache vor der Kirche. Sie fordern die Freilassung von 28 namentlich bekannten Personen, die in Leipzig, Potsdam und Berlin bei Protestaktionen gegen Wahlbetrug, wegen ihrer Forderung nach einem „Freien Land mit offenen Grenzen“ und ihres Protests gegen die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung in China verhaftet worden waren.
Angela Kunze, deren geistliche Heimat die Taizé-Bewegung war und die sich später bei „Demokratie Jetzt“ engagierte, heute Pfarrerin und Zeitzeugin, initiiert eine Fastenaktion zur Unterstützung dieser Forderungen. Die Kirche ist Tag und Nacht geöffnet.
Zu den abendlichen Fürbitt- und Informationsandachten versammeln sich hier bis zu dreitausend Menschen. Am „offenen Mikrofon“ berichten Bürgerinnen und Bürger von Protestaktionen in Betrieben, prominente Künstler, Musiker und Theaterleute verlesen Resolutionen, in denen Demokratie eingefordert wir. Der Telefonanschluss im Gemeindebüro dient der Mahnwache als Kontakttelefon. So können Informationen von Aktionen in anderen Städten zeitnah weitergegeben werden.
Verhaftungen und Misshandlungen
Am Abend des 7. Oktober versammeln sich Tausende Bürger auf dem Alexanderplatz. Mit Rufen „Demokratie – Jetzt oder Nie!“, „Keine Gewalt!“, „Auf die Straße!“ ziehen sie in Richtung „Palast der Republik“, wo die Partei- und Staatsführung mit ausländischen Gästen den 40. Jahrestag der Gründung der DDR feiert. Sie werden von der Polizei abgedrängt und bewegen sich in Richtung Gethsemanekirche. Nur wenige von ihnen folgen der Einladung in die Kirche. Im Laufe der Nacht gehen die Sicherheitskräfte in den umliegenden Straßen brutal gegen friedlich demonstrierende Bürger vor. Mehr als fünfhundert Frauen und Männer werden verhaftet und sind in den „Zuführungspunkten“ unsäglichen Schikanen ausgesetzt.
Während der Fürbittandacht am 8. Oktober wird das Kirchengelände von Polizeikräften abgeriegelt. Die Teilnehmer der Andacht dürfen erst nach Intervention von Bischof Gottfried Forck das Gelände in kleinen Gruppen verlassen. Trotz der Zusage „freien Geleits“ werden im Laufe der Nacht wiederum mehr als fünfhundert Personen festgenommen, abtransportiert und misshandelt.
Befreiende Nachricht aus Leipzig
Am 9. Oktober kommen aus Leipzig bedrohliche Nachrichten. Man werde „konterrevolutionäre Aktionen unterbinden, wenn es sein muss mit der Waffe in der Hand“, hatte drei Tage zuvor ein Kommandeur der „Kampfgruppen“ in der „Leipziger Volkszeitung“ erklärt. Die Atmosphäre während der Fürbittandacht in der Gethsemanekirche ist bis aufs äußerste angespannt. 18.35 Uhr kommt über das Kontakttelefon die befreiende Nachricht: Tausende Bürger demonstrieren nach den „Montagsgebeten“ in der Nikolaikirche und weiteren Kirchen gewaltfrei auf dem Leipziger Innenstadtring. Die Sicherheitskräfte haben sich zurückgezogen.„Dona nobis pacem“ singend ziehen Besucher der Fürbittandacht auf die Straße und versammeln sich vor der Gethsemanekirche, viele mit Kerzen in den Händen. Einen Monat später fällt die Mauer.
Fürbittandachten gehen weiter
Die Gethsemanegemeinde bleibt in der Übergangsphase zur deutschen Einheit und auch danach dem Konzept einer „offenen Kirche“ treu. Die Tradition der Fürbittandachten wird in dem monatlich stattfindenden Gebet für Frieden und Gerechtigkeit weitergeführt. In der Veranstaltungsreihe „Einkehr im Garten Gethsemane“ geht es um politische Kultur im weitesten Sinne. Die Palette reicht vom politischen Gespräch „Der lange Weg zur Demokratie“ über interkulturelle Feste bis zu Aktionstagen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen im November 1994. Das Sozialprojekt „Schneckenhaus“ wird in den 1990er Jahren zu einem Anlaufpunkt für Obdachlose.
Am 5. Juli 2017 wird das Mitglied der Gemeinde Peter Steudtner in Istanbul bei einem Workshop zusammen mit türkischen Menschenrechtlern festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, Terrororganisationen unterstützt zu haben.
In der Gemeinde formiert sich daraufhin die Initiativgruppe „Wachet und Betet – Freiheit Jetzt!“, die in der Tradition der Fürbittandachten von 1989 jeden Abend um 18 Uhr zu einer Andacht in die Gethsemanekirche einlädt. Peter Steudtner wird am 25. Oktober 2017 aus der Untersuchungshaft entlassen und kann nach Deutschland zurückkehren. Im Juli 2020 erfolgt der Freispruch.
Gespräche und Plakate gestalten am 9. Oktober
Es ist nun das achte Jahr, dass allabendlich die Glocken der Gethsemanekirche zu „Wachet und Betet – Freiheit Jetzt!“ einladen. Es geht um Frauen und Männer, die in der Türkei, im Iran, in Kuba, in Russland, in Belarus in Gefängnissen und Lagern unter bisweilen unmenschlichen Bedingungen eingekerkert sind, weil sie für Demokratie und Menschenrechte eingetreten sind.Am 9. Oktober werden die Glocken auch um 18.35 Uhr läuten – zur Erinnerung daran, dass uns um diese Zeit vor 35 Jahren die Nachricht vom friedlichen Verlauf der Proteste in Leipzig erreichte. Von 16 Uhr bis 20 Uhr lädt die Initiativgruppe unter dem Thema „Wir sind so frei“ zu Gesprächen und Aktionen rund um die Gethsemanekirche ein. Im Rahmen der von „Kulturprojekte Berlin“ initiierten Aktion „Haltet die Freiheit hoch“ können Plakate gestaltet werden, die zum 9. November entlang des ehemaligen Mauerverlaufs aufgestellt werden. Bereits am 1. Oktober 17 Uhr wird die Open-Air-Ausstellung „Neun Tage im Oktober“ eröffnet, die an die Geschehnisse im Jahr 1989 in Ostberlin erinnert.
Bernd Albani war von 1989 bis 2005 Pfarrer der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg. Veranstaltungstipps Am 1. Oktober 17 Uhr wird die Open-Air-Ausstellung „Neun Tage im Oktober“ eröffnet. Großformatige Fotos am Zaun der Gethsemanekirche erinnern an die Geschehnisse im Jahr 1989 in Ostberlin. 9. Oktober, 16 Uhr bis 20 Uhr, Gespräche und Aktionen rund um die Gethsemanekirche. Glockenläuten zur Erinnerung an die befreiende Nachricht vom 9. Oktober 1989 aus Leipzig, Plakate gestalten für die Aktion „Haltet die Freiheit hoch“, die entlang des ehemaligen Mauerverlaufs am 9. November aufgestellt werden.
Foto: Robert-Havemann-Gesellschaft/Frank Ebert