Herbst Plakatkampagne jüdisch-christlich

Herbst beziehungsweise Stav: Jüdische und christliche Feste

In der neu aufgelegten Reihe „#beziehungsweise – jüdisch und christlich: näher als du denkst“ geht es um die Jahreszeiten. Passend zum Herbstanfang am 22. September beschreiben eine jüdische Rabbinerin und ein katholischer Theologe Gedanken zum Herbst.

Zeit der Freude aus Dankbarkeit

Von Natalia Verzhbovska

Der Herbst, auf Hebräisch Stav, bringt eine Reihe bedeutender Feiertage im jüdischen Kalender mit sich. Im ersten Monat Tischrej folgen drei große Feste aufeinander: Rosch ha-Schana (das Neujahr), Jom Kippur (der Versöhnungstag) und Sukkot (das Laubhüttenfest). Jeder dieser Feiertage beleuchtet unterschiedliche Aspekte des menschlichen Lebens, doch alle sind durch die Freude verbunden. Während Rosch ha-Schana und Jom Kippur den Fokus auf die tiefe und erhabene Beziehung zwischen Gott und dem Menschen legen und unsere Gedanken und Gebete gen Himmel richten, bringt das Sukkot-Fest die Freude auf die Erde, um sie mit unseren Mitmenschen zu teilen.

Sukkot, das Laubhüttenfest

„Chag haSukkot, das Fest der Laubhütten, sollst du sieben Tage feiern, wenn du aus deiner Tenne und aus deiner Kelter eingesammelt hast. An deinem Fest sollst du fröhlich sein – du selbst, dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht und deine Magd, sowie der Levit, die Waisen und die Witwen, die in deinen Toren wohnen.“ (Levitikus 16,13-14)

In der jüdischen Tradition ist Sukkot, das Laubhüttenfest, als eine Zeit der Freude bekannt – Sman Simchatejnu, das Fest unserer Freude. Diese Freude ist tief in der Tora, der heiligen Schrift des Judentums, verankert und seit jeher ein unverzichtbarer Bestandteil des Festes. Sie entspringt dem Gefühl der Dankbarkeit für die Gaben der Natur und die Nahrung, die Gott den Menschen schenkt. Dies spiegelt sich auch in einem weiteren Namen dieses Festes wider: Chag haAssif, das Fest des Einsammelns.

Hütten symbolisieren die göttliche Treue

Während Sukkot bauen Jüdinnen und Juden Laubhütten – Sukkot – in ihren Höfen, um sich an Gottes Liebe und Fürsorge zu erinnern, die Er ihren Vorfahren während der 40-jährigen Wanderung durch die Wüste nach dem Auszug aus Ägypten entgegenbrachte. Diese Hütten symbolisieren die göttliche Treue, die Generationen hindurch weitergegeben wurde und in schwierigen Zeiten Trost und Hoffnung spendete.

Eine Sukka ist ein Ort der Freude und der Zusammenkunft. Hier treffen sich Familienangehörige, Freunde und Bekannte, um gemeinsam zu feiern. Die Sukka ist ein Zelt der Gastfreundschaft und des Vertrauens.

Tradition zu bewahren und weiterentwickeln

Nach jüdischer Tradition besuchen während der Festwoche symbolische Gäste, die sogenannten Uschpisin, die Laubhütte. Diese sieben biblischen Gestalten – darunter Abraham, Jakob, Moses und König David – repräsentieren verschiedene Epochen der jüdischen Geschichte und erinnern daran, dass jede Generation die Verantwortung trägt, die Tradition zu bewahren und weiterzuentwickeln. Neben diesen männlichen Gästen erwähnt der Babylonische Talmud, einer der grundlegenden Texte der rabbinischen Literatur, auch sieben bedeutende jüdische Frauen wie die Stamm-Mutter Sara, die Prophetin Mirjam und Königin Esther, die ebenfalls eine wichtige Rolle in der jüdischen Geschichte spielten.

Alle Jüdinnen und Juden sind ein Volk

An jedem Tag des Sukkot-Festes schüttelt man einen besonderen Strauß aus den Arba Minim – den vier Pflanzenarten. Das Sukkot-Fest erinnert daran, dass alle Jüdinnen und Juden ein Volk sind – eine große jüdische Familie, vereint durch die Lehre der Tora und die jüdische Tradition, und dass sie in Freude und Vertrauen auf den Ewigen immer zusammenstehen.

Natalia Verzhbovska studierte Jüdische Theologie an der Universität Potsdam und ließ sich parallel am Abraham-Geiger-Kolleg zur Rabbinerin aus-bilden. 2015 wurde sie in Bielefeld ordiniert – als erste Rabbinerin in Nordrhein-Westfalen (NRW).

Kreislauf von Saat und Ernte

Von Lutz Nehk

Es wird milder. Es wird farbiger. Es ist Herbst. Er kommt nicht wie Sommer und Winter mit einer Wende der Sonne. Er beginnt mit einer Gleiche von Tag und von Nacht. Sie sind etwa gleich lang. Das hat etwas von Ausgewogenheit, von Gleichklang und Harmonie. Man kann die Summe des Jahres schon zusammenrechnen und das neue Jahr fordert seine Gestaltung ein.

Im Herbst gehen Ernte und Dank eine Verbindung ein. Auch die, die nichts geerntet haben – keine Kartoffeln, keine Äpfel, kein Getreide und keinen Wein – feiern Erntedank. Ökobauernhöfe, Kleingarten­kolonien, ganze Dörfer in ländlichen Regionen und landwirtschaftliche Hotspots in den großen Städten organisieren Erntedankfeste. Natürlich auch die Kirchen. Sie richten den Blick auf Gott, den Schöpfer und Geber alles Guten: „Wie köstlich ist deine Liebe, Gott! Die Menschen laben sich am Reichtum deines Hauses; du tränkst sie mit dem Strom deiner Wonnen“ (Psalm 36,8f).

Freude und Dank haben Platz im kirchlichen Festkalender

Erntedank ist kein kirchliches Fest. Aber natürlich sind Christinnen und Christen wie alle Menschen in der Absicherung ihrer irdischen Existenz eingebunden in den Kreislauf von Saat und Ernte. Darum haben Freude und Dank für die Lebensmittel Anspruch auf einen Platz im kirchlichen Festkalender. So werden an den Erntedank-Sonntagen in vielen Kirchen Erntedankaltäre aufgebaut – üppig, bunt und reich­haltig. Es muss eine Freude sein, sie anzuschauen.

Eine Freude soll es auch sein, die an den guten Gaben teilhaben zu lassen, die bedürftig und arm sind. Jeder Erntedankaltar ist eine Rückbesinnung auf eine ursprüngliche Tradition christlicher Gottesdienste. Immer wurden Gaben mitgebracht, um sie nach dem Gottesdienst an die Armen zu verteilen. Die Kollekte, also das Sammeln von Geld, während der Bereitung der Gaben von Brot und Wein für die Feier des Abendmahles ist heute in jedem Gottesdienst dieser Ausdruck des Dankes und des Teilens.

Was, wenn der Winter kommt?

Der Herbst ist auch ein Bild. Der „Herbst des Lebens“ ist der Abschnitt nach dem Arbeitsleben. So gesehen hat das auf jeden Fall etwas Entspannendes. Menschen, die die Früchte des Lebens genießen und es sich gut gehen lassen. Noch sind nicht die Gebrechen des Alters da, die das Leben beeinträchtigen. Das Bild ist jedoch getrübt von Unsicherheiten, die das Alter mit sich bringt. Kann ich mit dem Ertrag meines
Lebens noch ein würdiges Leben führen? Wer wird da sein, wenn der Winter des Lebens anbricht?

So stellt der Herbst auch seine Fragen und lädt zum Nachdenken ein. Darüber, wie es weitergeht im Vertrauen auf Gott: „Denn bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht“ (Psalm 36,10).

Pfarrer Lutz Nehk ist Priester im Erzbistum Berlin. Er ist der Beauftragte für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit und Mitarbeiter an der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum in Berlin-Charlottenburg-Nord.

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