Frau mit beiger Jacke und braunen Haaren
Renate Tietz. Foto: Andreas Kirschke

„Gut, dass wir einander haben“

Renate Tietz engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für den Teekeller der Görlitzer Stadtmission.

Von Andreas Kirschke

Görlitz. Jesus sitzt immer mit am Tisch im Teekeller der Görlitzer Stadtmission. Im Geiste der Offenheit und Herzenswärme. „Wir nehmen uns Zeit für jeden Einzelnen. Jeder soll spüren: Er ist wichtig und in Würde willkommen. Wir reden, essen, singen, spielen und basteln zusammen. Oft beten wir zusammen“, sagt Leiterin Renate Tietz.

Dienstags und freitags öffnet der Teekeller am Nachmittag. Zusammen mit dem Team bestehend aus Angelika Schwingeweitzen, Silke Bärsch, Simone Jäkel und Florian Buchwald betreut die Görlitzerin die Besucher. Sie kommen aus allen Altersgruppen. Es sind Menschen in allen Lebenslagen: Einsame, Obdachlose, Benachteiligte, Bedürftige. „Der Teekeller ist wie ein Auffangbecken. Er ist wie eine Oase der Mitmenschlichkeit“, unterstreicht Renate Tietz. „Mache Besucher kommen jetzt schon über 30 Jahre hierher.“

Im Kindergarten erreichte sie der Glauben

Aufgewachsen ist Renate Tietz in Bautzen. Ihre Pflegemutter war evangelisch, ihr Pflegevater katholisch. Als Kind besuchte sie die Christenlehre. „Wirklich erreicht hat mich der Glauben im evangelischen Kindergarten“, erzählt die Görlitzerin. „Dort lernte ich, vor dem Essen zu beten und warum wir beten. Dort reifte in mir der Wunsch, Kindergärtnerin zu werden.“

Am Sorbischen Lehrerbildungsinstitut folgte die Ausbildung. Daraufhin arbeitete Renate Tietz im Vorschulheim für Hilfsschüler in Jauernick bei Löbau. „Dort lebten Kinder im Alter von drei bis zwölf Jahren aus sozial zerrissenen, geschädigten Familien“, erzählt sie Sie sammelte erste Berufserfahrung und arbeitete als Erzieherin in Bautzen in einer Einrichtung für behinderte Kinder und Jugendliche, dessen Leitung sie später übernahm. Später engagierte sie sich beruflich in einer Sondertagesstätte für behinderte Kinder und einem Pflegeheim in Görlitz.

Der Kampf gegen den Alkohol und seine Dämonen

Bis 2001 war sie im Pflegeheim tätig. Ehrenamtlich engagierte sie sich schon damals. Im Betriebsrat setzte sie sich als Vorsitzende für gute Arbeitsbedingungen ein. Durch persönliche Krisen wurde sie alkoholkrank. Dank der Hartnäckigkeit ihrer Kinder stellte sie sich ihren Dämonen in den darauffolgenden Jahren in einer bayerischen Einrichtung. Dort setzte das evangelische Pfarrer-Ehepaar Marion und Oliver alles daran, den Erkrankten zu helfen. Ihre Geduld und Opferbereitschaft retteten Renate Tietz das Leben. „Ich fand wieder stärker zum Glauben.“ Im Tierheim des Ortes arbeitete Renate Tietz und gewann neue Hoffnung. Sie kehrte ins Leben zurück.

2008, kurz vor Weihnachten, zog sie zurück in die Lausitz nach Görlitz . Ehrenamtlich engagierte sie sich im Besuchsdienst im Altenpflegeheim „Ständehaus“ am Stadtpark. Sie hörte viel zu, ging spazieren mit den Senioren, las ihnen vor. „Als sie hörten, dass ich Christin bin, fragten sie mich näher zum Glauben“, erzählt sie. „Das hat mich gestärkt und neu ermutigt.“

Ehrenamtlich engagierte sie sich auch in der Bahnhofsmission. Aufgrund ihrer persönlichen Geschichte kann sie sich gut in manche Besucher hineinversetzen.

„Runter vom Sofa – rein ins Leben“

Von 2011 bis 2019 übernahm Renate Tietz dann Leitung der Görlitzer Bahnhofsmission. Heute im Ruhestand betreut die 72-Jährige den wöchentlichen Teekeller. Dort geht es nicht nur ums Zuhören und miteinander Reden. Einmal im Monat wird warm gekocht. Seit 2023 nimmt der Teekeller teil am Projekt „Runter vom Sofa – rein ins Leben“. Förderung dafür kommt aus dem Fonds „Missionarischer Aufbruch“ der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sowie vom Dachverband der bundesweiten Bahnhofsmissionen. So können sogar Exkursionen finanziert werden, beispielsweise ins Biblische Haus in Görlitz, zur Schifffahrt auf dem Berzdorfer See oder nach Zittau und von dort weiter mit der Schmalspurbahn nach Oybin.

Unlängst ging es zur Krippen-Ausstellung nach Nieder Seifersdorf. Auf ihrem Hof zeigte das Pfarrerehepaar Katrin und Reinhard Müller der Görlitzer Besuchergruppe 350 Krippen aus 48 Ländern aus aller Welt. Der nächste Ausflug geht nach Herrnhut zur Besichtigung der Sternmanufaktur. Seit Mitte 2024 gibt es im Teekeller „die magische halbe Stunde“. Es ist die Zeit nach der eigentlichen Öffnungszeit. „Dann nehmen wir uns für jeden, der dazu bereit ist, Zeit zum Reden und Zuhören“, so Tietz.

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