Gesicht einer Frau mit Brille und einem roten Halstuch
Dagmar Apel, Pfarrerin für Migration und Integration der EKBO geht in Ruhestand

Flüchtlingspfarrerin Dagmar Apel geht in Ruhestand

von Sibylle Sterzik

Berlin. Zweimal hat die Pfarrerin wegen ihres Engagements für geflüchtete Menschen schon Anfeindungen erlebt. Einmal nach einem Interview in dieser Zeitung. Das zweite Mal nach einem Aufruf zu einer Demonstration gegen Ausgrenzung von Geflüchteten. Da organisierten rechte Christen einen Shitstorm bei Twitter, heute X, gegen sie. „Das hat mich schon sehr berührt.“ Aber sie macht weiter.

Die Familie legte den Grundstein für Ihr Engagement

Die Wurzeln für ihr Engagement liegen in der eigenen Familie. Ihre Eltern, Unternehmer in einem mittelständischen Betrieb, stellten schon früh türkische Arbeitnehmer ein. „Geboren in Westberlin wurde ich schon im Alter von 5 Jahren mit einer fremden Kultur konfrontiert. Ich hatte die buntesten Schuhe, den leckersten türkischen Honig. Damals entstand mein Interesse auch an der islamischen Kultur.“ Weil ihr vieles unklar war, wollte sie interreligiösen Dialog studieren. Religionswissenschaften ergänzte sie zum Theologiestudium und christlich-jüdischen Dialog im Institut Kirche und Judentum in der Westberliner „Leuchtenburgstraße“. Da stellten sich für sie die theologischen Weichen. „Ich verstand sehr schnell, was auch schon Rabbiner Leo Baeck sagte: Die Muslime könnten die nächsten Verfolgten sein.“

Auch ihre Mutter war Flüchtling

Durch Zufall entdeckte sie in einem Bankschließfach den Flüchtlingsausweis ihrer Mutter. Sie zählte zu den sogenannten Ostvertriebenen. Geboren war sie in Breslau, heute Wrocław in Polen, aufgewachsen in Glatz, heute Kłodzko. Erst Anfang 1947 flüchtete ihre Familie nach Anfeindungen nach Hoyerswerda in Sachsen, da war ihre Mutter 13 Jahre. Sie lebte im Flüchtlingslager, litt Hunger, stahl Kartoffeln, um zu überleben. „Das ist in meiner DNA drin, deshalb habe ich keine Berührungsängste mit Geflüchteten.“ Was sie im Elternhaus prägte, konnte sie theologisch ausbauen und für die Arbeit nutzen.

2016 wurde Dagmar Apel in der im Jahr zuvor eröffneten Flüchtlingskirche Berlin eingeführt. Was fand sie dort vor? Hoch engagierte Mitarbeitende, die aus wenig viel machten. Ein Haus, das nicht für Geflüchtete gedacht war, wurde hergerichtet und viele Geflüchtete kamen. Sie nahmen Hilfsangebote und Beratung in Anspruch, später begegnete man sich beim Essen.

Gleichzeitig erlebte sie „eine große Aufgeregtheit“. Spannungen lagen in der Luft. Überall traf sie auf dieses Phänomen, auch in Paris oder Italien, wo sie regelmäßig Hilfsinitiativen besuchte. Der Druck entstand, weil Hilfsprojekte nicht gesichert waren. Sie starteten als Projekte für 2 oder 3 Jahre, ausgestattet mit viel Geld. Aber die geplante Evaluation blieb aus. „Ein großes Versäumnis“, kritisiert Dagmar Apel. Durch die Kürzungen des Bundeshaushalts bei Integrationshilfen, Deutschkursen, Sozial- und Rechtsberatung, habe sich das heute noch verschärft. Sie betreffen auch Berlin und Brandenburg.

Projekte auf der Kippe

„Die Menschen, die in den verschiedenen sozialdiakonischen Beratungsstellen tätig sind, wissen gar nicht, wie es am 1. Januar 2025 weitergeht“, so Apel. Das sei bitter, weil die Arbeit herausfordernd ist. Die Mitarbeitenden sehen, wie mit den Flüchtlingen umgegangen wird – und gleichzeitig ist auch ihre Zukunft unklar. „Das sind Härten, die nicht sein müssten.“

2015 kamen viele Geflüchtete nach Deutschland. Die Strukturen waren bereits gesetzt, als Dagmar Apel anfing. Vieles übernahm sie, veränderte erst Schritt für Schritt einiges. Etwa die Art, wie die vielen Informationen verteilt werden. Die Landespfarrerin initiierte Treffen, holte Beteiligte bei der Arbeit mit Geflüchteten an einen Tisch. Um Mitarbeitende zu stärken und Missstände zu verstehen.

Besonders wichtig war ihr der Kontakt zu den Behörden, der Integrationsbeauftragten der Stadt Berlin und zur Innenverwaltung. „Ich hab‘ die Leute mit in meinen Beirat Migration und Integration genommen und zu den Flüchtlingsräten.“ In Brandenburg entwickelten sie und ihr Team migrationspolitische Gespräche. Mit ihrer Hilfe wurden Foren geschaffen, bei denen die unterschiedlichen Gruppen zusammenkamen, „um Konflikte zu beraten und in Kontakt zu sein“.

Veränderungen betrafen auch die Flüchtlingskirche. „Die Idee, einen Leuchtturm zu haben, war sicher tragfähig in der Zeit, als ganz viele Geflüchtete kamen.“ Doch dann verteilten sie sich in den Regionen der EKBO. Wer in Görlitz lebte, fuhr nicht bis Berlin, um eine Beratung zu bekommen.“ In Gesprächen mit Superintendenten und Gemeinden warb Dagmar Apel deshalb dafür, „dass jede Kirche eine Flüchtlingskirche sein muss“.

Neues Konzept für die Flüchtlingskirche

Durch viel Personalwechsel und wenig Mittel fehlte Stabilität in der Flüchtlingskirche. Sie musste umgebaut werden. „Aber sie bleibt. Sie ist jetzt in Trägerschaft vom Kirchenkreis Berlin Stadtmitte. Dieser entwickelt ein neues Profil, das sicherlich in Kreuzberg und ganz Berlin ausstrahlen wird.“ Bestehen bleibt auch die mobile Beratung. Dafür wurden drei halbe Stellen für sechs Jahre verstetigt: je eine halbe für die Sprengel Berlin, Potsdam und Görlitz. Besetzt sind sie mit den Pfarrerinnen Josephine Furian und Christiane Schulz. Die seit einem Jahr vakante Berliner Stelle soll neu besetzt werden.

Flüchtlingsarbeit in der Landeskirche verankert

Was hat sich seit ihrem Dienstbeginn verändert? Vor welchen Herausforderungen steht die Flüchtlingsarbeit jetzt? Eigentlich hatte sie gedacht, die Migrationsarbeit sei auf Dauer angelegt. Umso überraschter war sie, als in Haushaltsberatungen der Landeskirche die Überlegung aufkam, diese Stelle dadurch zu streichen, indem man sie mit einer anderen Stelle zusammenlegt. Zum Glück kam das vom Tisch, sagt sie. „Die Landeskirche hat sich zu ihrer Tradition bekannt, die Flüchtlingsarbeit weiterzuführen.“ Bischof Christian Stäblein ist mittlerweile Flüchtlingsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Verändert und zugespitzt haben sich die politischen Verhältnisse. Kürzlich drückte es Julia Duchrow, Vorsitzende von Amnesty International, im Beirat Migration und Integration so aus: „Der Diskurs zum Thema Migration ist verloren.“ Ein anderes Mitglied sagte, „wir dürfen ihn nie aufgeben“, erinnert sich Dagmar Apel. „Die freien Verbände und Vereine würden jetzt „sehr darauf schauen, wie die Kirche sich positioniert, vor allem beim Thema Kirchenasyl“. Kirche habe durch dieses Instrument zivilen Ungehorsams ein besonders Ansehen, betont sie. „Weil Kirche lebt, wozu sie sich bekennt.“ Kürzlich las sie im „Tagesspiegel“ von einer Frau, die vor allem wegen des Kirchenasyls wieder in die Kirche eingetreten ist. An einen besonderen Härtefall erinnert sich Dagmar Apel.

Kirchenasyl oft einzige Rettung

Eine Frau aus Nigeria, deren Tochter bei der weiblichen Genitalverstümmelung starb, floh mit der zweiten Tochter vor demselben Schicksal. In Frankreich fiel sie Schleppern in die Hände. Wieder floh sie, diesmal nach Deutschland. Doch die Behörden wollten, dass sie wieder zurück nach Frankreich ausreist, wo sie aber die Schlepper fürchtete. Ärzte diagnostizierten Brustkrebs bei ihr, behandelten sie. Trotzdem wollte man sie während der Chemotherapie abschieben. „Ein Skandal! Wir konnten sie ins Kirchenasyl nehmen und das mit den Behörden klären“, sagt Apel. Schließlich bekam sie eine Aufenthaltserlaubnis. Bei einem anderen Kirchenasyl 2017 in Eberswalde kam die Polizei und wollte den Geflüchteten in Obhut der Kirche abschieben. „Aber der Gemeindekirchenrat stellte sich in der Nacht mit Kerzen vor das Haus und sang.“ Die Polizei bat, den Mann herauszugeben. Doch der GKR verneinte. Die Beamten gingen. „Keiner hat das Gesicht verloren.“ Etwa 200 Kirchenasyle mit etwa 600 Personen im Jahr gibt es in der Region, sagt die Landespfarrerin.

Migration wird zum Wahlkampfthema

Der politische Druck wachse, weil Politiker Migration als Wahlkampfthema benutzen. Man habe den rechtsextremistischen Positionen Vorschub geleistet mithilfe der Migrationsfragen, ohne die einzelnen Migranten zu Wort kommen zu lassen. „Ich finde es sehr bitter, in einer Gesellschaft zu leben, wo es um Einzelinteressen geht. Man bemächtigt sich humanitärer Fragen ohne mehr die Menschenrechte im Blick zu haben. Abgeschoben werden die Schwächsten, Menschen im Rollstuhl, körperlich und psychisch Kranke, man trennt sogar Familien. Standards werden umgangen, um die Zahl der Abschiebungen zu steigern.“

Forum Abschiebebeobachtung eine Möglichkeit der Hilfe

Kann sie als Pfarrerin etwas bewegen? Ja, sagt sie, etwa im Forum Abschiebebeobachtung. Es trifft sich viermal im Jahr. Dagmar Apel vertritt dort die Landeskirche. Mit dabei sind die Bundespolizei, die Senatsinnenverwaltung, Ausländerbehörde, Nichtregierungsorganisationen, Rechtsanwälte und Kirchen. Dort werden offen Fälle angesprochen. „Wir diskutieren aufgrund des Berichts der Abschiebebeobachterinnen einzelne Abschiebungen.“ Mitte Dezember tagt das nächste Forum. Dagmar Apel erlebt eine große Gesprächsbereitschaft. „Wenn man freundlich im Gespräch bleibt und bei einzelnen Punkten nicht lockerlässt, verändert sich auch etwas. Aber das braucht viel Geduld.“ Auch bei Gesprächen Anfang des Jahres mit der Senatsinnenverwaltung im Migrationsbereich und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zeigten diese sich „gesprächsbereit und fair“. „Wir haben immer wieder vom Senatsvertreter gehört, dass in Berlin kein Kirchenasyl gebrochen werden wird.“ Diese Gespräche gab es für Brandenburg wegen der Koalitionsverhandlungen nicht. „Es wird sicher noch eine Herausforderung werden, wie der jetzt vorliegende Koalitionsvertrag im Blick auf Migrationsfragen umgesetzt wird.“

Afghane wartete auf Visum

Auch persönlich engagiert sich Dagmar Apel. Mit ihrer Hilfe gelang es einem afghanischen Mann, der für eine amerikanische Hilfsorganisation arbeitete, die Gelder für Projekte in Afghanistan gibt, nach Pakistan auszureisen. Dort wartete er mit seiner Familie seit Monaten auf sein Ausreisevisum. Mehrere Familienangehörige wurden von den Taliban ermordet. Nach Afghanistan zurück kann er nicht, dort droht ihm die Hinrichtung. Am 4. Dezember konnte er mit seiner Familie in die Bundesrepublik ausreisen: 9 Menschen in Sicherheit. Dagmar Apel wird sie weiter unterstützen. Im Ruhestand freut sie sich auf: „Italienisch lernen, Klarinette spielen, Aquarelle malen.“ Und natürlich plant sie zwei neue Projekte für die Migrationsarbeit. Welche das sind, verrät sie noch nicht.

Nachfolge mit Matthias Puppe geklärt

Glücklich ist sie über ihren Nachfolger Pfarrer Matthias Puppe, bisher Koordinator der Ukrainehilfen in der EKBO. „Er ist in Brandenburg bestens vernetzt und kann Gemeinden unterstützen.“ Für 6 Jahre übernimmt er das Amt und auch die Kunstauktion, die Dagmar Apel zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Manuela Pagano in der Geschäftsstelle organisiert. Ukraineprojekte koordiniert er weiterhin. Was Dagmar Apel ihm mit auf den Weg gibt? „Immer die Ruhe bewahren.“

Dagmar Apel wird am 15. Dezember 2024 um 11 Uhr in der Passionskirche in Berlin-Kreuzberg in den Ruhestand verabschiedet. Ihr Nachfolger Matthias Puppe wird am 26. Januar, 14 Uhr in Potsdam in der Friedenskirche eingeführt.

Aktuelles

Grabkreuz mit Blättern

Ewigkeitssonntag in grünem Kleid

Am Ewigkeitssonntag gedenken wir den Verstorbenen. Gemeinsam trauern und hoffen wir. Warum wir einen Vorgeschmack auf die Ewigkeit erleben. Dörte Paul schreibt Gedanken zum Tod und Anekdoten nieder. Die Pfarrerin erzählt von den „Schwachstellen des Diesseits“ und dem Grab ihres Vaters.

Weiterlesen »

Newsletter