Seit zehn Jahren läuft das Projekt „Café auf Rädern“ in Berlin-Hellersdorf. Die Gemeindepädagogin Barbara Jungnickel bietet für jeden einen Pausenplatz, Getränke und ein geneigtes Ohr.
Von Andrea von Fournier
Kaum zu fassen, dass der Zahnarzt den falschen Zahn gezogen hat. Dem Hund wird bei dieser Hitze nachmittags auf dem Balkon ein Pool aufgeblasen, in dessen Wasser sich auch seine Besitzerin die Füße kühlen kann. Und im Heim gegenüber ist eine Bewohnerin verstorben, für die eine Andacht gehalten werden soll.
Nicht mal eine halbe Stunde steht der kleine, bedachte Bollerwagen unter dem Schatten des Strauches am stillgelegten Brunnen des Hellersdorfer Kastanien-Boulevards, der heute lieber sprudeln, als trockene Wildkräuter zeigen sollte. Schon hat Barbara Jungnickel etliche Neuigkeiten erfahren und noch mehr Leute gegrüßt, die sich, vorbeigehend oder radfahrend freuen, dass sie wieder mit ihrem Mobil im Wohngebiet unterwegs ist.
Seit 10 Jahren im Ehrenamt
Auf ihrem Wägelchen sind vier hölzerne Klappstühle und ein Tisch, Geschirr, ein bis zwei Thermoskannen Kaffee, Tee, Wasser, Zucker und Milch praktisch verstaut. Auch an ein paar Kekse, eine Tischdecke und sogar eine Vase mit Sommerblumen hat die 61-Jährige gedacht, die den Dienst als „Caféhaus-Chefin“ ehrenamtlich seit zehn Jahren versieht.
Sie ist in der evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Hellersdorf als ausgebildete Gemeindepädagogin für die Arbeit mit Kindern, Ehrenamtsbetreuerin, für Besuchsdienst und die „rüstigen Rentner“ sowie Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Das „Café auf Rädern“ sollte eigentlich von mehreren Ehrenamtlichen betreut werden, doch die Realität sieht, wie so oft, anders aus.
Angst vor Pöbeleien: Viele Projektinteressierte springen ab
Ab und an begleiten sie Projektinteressierte, die dann doch nicht weiter dabei sein wollen. „Den Wagen zu ziehen, ist nicht ganz leicht. Manche haben auch Angst vor Pöbeleien oder dem Unbekannten, andere können nur schwer extreme Meinungen aushalten“, erklärt die Mutter dreier erwachsener Kinder. Sie habe das alles gelernt und könne damit umgehen. Überhaupt sei sie in erster Linie da, um zuzuhören, um Stärkung und ein Lächeln mit auf den Weg zu geben. Und natürlich ein Getränk anzubieten.
Die Idee zum „Café auf Rädern“ entwickelte die Gemeinde, als 2013 ein Flüchtlingsheim in unmittelbarer Nähe entstand. Extreme Proteste, zu denen auch viele Auswärtige kamen und „Nein zum Heim“ skandierten, kennzeichneten die Situation. „Hier wohnen doch keine Rechtsradikalen!“, dachte man in der Gemeinde damals. In Gesprächen wurde klar, dass sich viele Hellersdorfer von Angeboten im Stadtbezirk ausgeschlossen und allein gelassen fühlten. „Wenn sie nicht zu uns kommen, gehen wir zu ihnen!“, erinnert sich Barbara Jungnickel.
Mit einem zehnjährigen Bestehen hätte man damals nicht gerechnet
Ohne Missionsabsicht wollen wir ins Wohngebiet gehen, ein Ohr haben: „Hier bin ich, wo drückt der Schuh?“ Die Kirchengemeinde gab das Geld für das „Café auf Rädern“ und 2014 ging es los. Dass das Bollerwagen-Café zehnjähriges Jubiläum feiern würde, habe man damals nicht gedacht. Doch das Angebot wird angenommen.
Einmal in der Woche, meist am Donnerstagnachmittag, je nach Wetter, zieht die „Kaffeetante“, die nur Tee trinkt, los. Mal steht der Wagen als Farbtupfer und Pausenplatz an der U-Bahn, mal im Regine-Hildebrandt-Park, mal am Kastanien-Boulevard.
Der Optimismus bleibt
Weil nach Corona das Leben im Quartier daniederlag, hatte im Bezirk die Idee, das Caféprojekt zu verstetigen und wetterunabhängig zu machen. Es stiftete einen Bauwagen, damit sich die Nachbarn aus dem Kiez drinnen und draußen begegnen können. Eigentlich sitzen die Hellersdorfer aber auch da lieber draußen.
Zurzeit ist der Wagen, die „Kastaniette“, als zweites Standbein außer Betrieb – Vandalismus an der Tür. Ein verbreitetes Problem im Kiez. Barbara Jungnickel hat eine neue bestellt und lässt sich nicht entmutigen. Und hofft, dass sie auch noch einen Mitstreiter findet.