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Bewegte Nachbarschaft

Das evangelische Familienzentrum „Face“ in Berlin-Reinickendorf ist ein Segen für Mütter, Väter und ihre Kinder. Die tanzen und toben dort, wo früher mal eine Kapelle war. Aber es ist vor allem eine Institution, die in einem sozialen Brennpunkt auf Augenhöhe hilft – ob beim Thema Bildung oder beim Behördengang. Zum Kindertag am 1. Juni eine Reportage über ein Prestigeobjekt ohne Allüren

Felix Bergemann, einer der Mitgründer von Face, ist diplomierter Pädagoge mit einem großen Erfahrungsschatz. Foto: Uli Schulte Döinghaus

Von Uli Schulte Döinghaus

Der Boden vibriert. Es scheint, als ob die ganze Halle ein wenig schwankt. Den hellgrauen Vinylboden beleuchten Lichteffekte wie in einer Diskothek aus dem 1980ern. Aber das Licht kommt nicht aus Stroboskopen, sondern fällt durch die bunten Scheiben einer frommen Glasmalerei. Acht Mädchen zwischen 6 und 7 Jahren hüpfen wie in einer Tanzformation auf und ab, wild und zugleich im erstaunlichen Gleichmaß. Zöpfe wirbeln herum. Irgendwo im Hintergrund erklingen Kinderlieder aus Lautsprechern. Die Mädchengruppe genießt das gemeinsame Erleben von Rhythmus und Melodie. 

Kreativ im Hochhausviertel


Diana Steinmetz, die Tanzlehrerin, steht ungeduldig in der Tür zu dem großen Saal. Sie klatscht in die Hände, ruft in den Raum hinein: „Es geht los, lasst uns tanzen!“ Genau deswegen sind diese Mädchen hierhergekommen. Der „Kreative Kindertanz“ ist eines der Angebote für Kinder und ihre Familien im evangelischen „Face Familienzentrum“ in Berlin-Reinickendorf, genauer: im Märkischen Viertel im Berliner Nordwesten. 

Das Zentrum ist eine Einrichtung des Berliner Kirchenkreises Reinickendorf und verfügt über Räumlichkeiten gegenüber dem beliebten Einkaufszentrum „Märkisches Zentrum“ sowie über einen weiteren Standort in der Rollbergesiedlung im nahen Berlin-Waidmannslust. Es existiert seit rund zehn Jahren, zunächst als gemeinsame Initiative der beiden Kirchengemeinden Apostel Petrus und Apostel Johannes im Märkischen Viertel. In die Kirchengemeinde Apostel Petrus ist es auch architektonisch integriert. In einer ehemaligen Kapelle mit wand­hohem, raumgreifendem Kirchenfenster aus den 1970ern, ist längst ein Raum für Toben, Spiel und Spaß entstanden. Hier können sich Kinder im „Kreativen Kindertanz“ bei Diana Steinmetz ausprobieren, Köperbewusstsein lernen. Nebenan, im Inneren des turmlosen Gotteshauses, finden gelegentlich auch Veranstaltungen von Face oder befreundeten Initiativen statt. 

Viele Nationen und viele junge Menschen


In der Rollbergsiedlung ist jede zweite Familie zugewandert. Die größten Gruppen stellen hier die Bewohner*innen aus der Türkei, gefolgt von Polen, Russland.  Menschen aus afrikanischen und osteuropäischen Ländern sind verstärkt ab 2010 zugezogen. Entsprechend groß ist hier der Bedarf nach einem Sprachencafé, das vorzugsweise von den Müttern frequentiert wird.

Im Märkischen Viertel leben, zumeist in Großwohnsiedlungen und Hochhäusern, rund 40000 Einwohner, darunter 8000 bis 10000 Familien. Jeder zwölfte Bewohner ist unter sechs Jahre alt. Die große Altersgruppe der 27- bis 45-Jährigen liegt bei rund 25 Prozent. Mütter und Väter brauchen Angebote, besonders solche, die bei Erziehungs- oder Bildungsfragen helfen und nichts oder wenig kosten. Denn ungefähr jede dritte Familie lebt von Sozialtransfers – zum Beispiel Hartz IV – zuletzt mit abnehmender Tendenz. Kinderarmut ist nicht selten. Als „arm“ oder „von Armut bedroht“ gelten bei Sozialforschern Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Unterstützung durch Initiativen wie Face können sie gut gebrauchen, um Lebens-, Kultur- und Bildungsrückstände möglichst auszugleichen.  

Alles fing an mit der Hausaufgabenhilfe


In der Rollbergesiedlung und auch im Märkischen Viertel machte sich Face zunächst einen Namen als Anbieter von Hausaufgabenhilfe. Denn viele der Familien, die im Einzugsgebiet leben, können sich diese Betreuung zu Hause nicht leisten. Die Gründe dafür sind vielfältig: 

andere Muttersprache, Berufstätigkeit, Bildungsferne, Kinderreichtum. Neben der Hausauf­gabenhilfe entstanden im Laufe der Zeit weitere pädagogische und soziale Projekte, erzählt Felix Bergemann, einer der Mitgründer von Face. Der engagierte Protestant war Gemeindekirchenratsmitglied in der Kirchengemeinde Apostel-Petrus. Als diplomierter Pädagoge arbeitete er zuvor im Christlichen Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“ sowie bei SozDia, einer evangelischen Initiative in Berlin-Lichtenberg und Berlin-Köpenick. 

Das Angebotsspektrum von Face folgt einer Idee – einerseits Nachbarschaft herstellen und Begegnungen zwischen Familien und ihren Kindern ermöglichen, um sie aus der Iso­lation zu holen sowie Bildungs- und Bewegungsmangel auszugleichen. Andererseits versteht sich Face als evangelischer Sozial- und Bildungsträger, der seiner Kirche ein Gesicht (Face) gibt, ohne sich religiös oder gar konfessionell aufzudrängen. Face und seine Mitarbeiter spiegeln eine Art „hidden curriculum“ wider, ein geheimes Leitbild, das die Kirche auf vielfältige Weise sichtbar macht – gerade in einem Milieu, das vom Mitgliederschwund ähnlich gebeutelt ist wie andere Gemeinden auch. 

Teils werden Bergemanns Face-Projekte vom zuständigen Bezirk Reinickendorf angestoßen und finanziert. Oder sie werden von Face selbst entwickelt und aus eigenen oder Stiftungsmitteln finanziert, um die man sich immer wieder bemühen muss, meist erfolgreich. 

Für Kinder und Eltern


Heute gibt es unter dem Dach von Face einen Mädchentreff, Hausaufgabenhilfe, den Treffpunkt für Grundschüler sowie die „Viertelgirls“, eine Hiphop-Tanzgruppe. Für Mütter, Väter und Kinder gibt es im offiziellen Programm des Familienzentrums folgende Angebote: die Stadtteilmütter, der Spieltreff und der Mamatreff, eine Krabbelgruppe, Familienverwöhnfrühstück, Spielen, besagtes Sprachlerncafé, Kinderturnen, Kreativer Kindertanz, Spiel-Sport-Spaß, Vorschulgruppe Schatzsucher, Spielen-Singen-Basteln, Spielekoffer, Fokus Leben. 

Immer wieder heuern pädagogische Fachkräfte bei Face an, sagt Felix Bergemann, nachdem sie selbst die Angebote genutzt haben. Das positive Erleben von Hilfe führt bei manch einem und einer dazu, sich beruflich in Richtung Pädagogik, Betreuung, Erziehungshilfe zu entwickeln oder zu verändern. Die Projektvielfalt im Familienzentrum ist attraktiv für Fachkräfte, ebenso die familiäre Atmosphäre, die den Mitarbeiter*innen ermöglicht, daneben eigene Projekte umzusetzen. Das lockt auch eine beträchtliche Anzahl von Ehrenamt­lichen an, die zum Beispiel im „FairKaufLaden“ mithelfen, in dem es unter anderem gebrauchte Kinderkleidung gibt.

Aus dem Tanzsaal mit dem Kirchenfenster dringt nur noch gedämpfte Musik, die Kinder trainieren. Später werden sie von ihren Eltern abgeholt. Einige Mütter und Väter überbrücken die Wartezeit im gemeinsamen Garten von Gemeinde, Kita „Kirchenmäuse“ und Face. 

Dort haben sie sich unter Sonnenschirmen und vor einer Kaffeetafel niedergelassen, um auf ihre Töchter zu warten, die gerade im Kreativtanz abheben. Um sie herum wuseln Kleinkinder. „Wir treffen uns hier jeden Donnerstag“, sagt Anja, auf dem Arm ihre kleine Luzia. 

Kati, neben sich den kleinen Jakob, ergänzt: „Es ist toll, dass wir diesen festen Termin haben, zu dem wir uns immer wieder gerne treffen. Darauf können wir uns verlassen.“ 

Beratung ohne Zwang und auf Augenhöhe


Zu dieser zwanglosen Runde hat Hanna eingeladen, sie ist aus Polen ins Märkische Viertel gezogen und hat bei Face eine Arbeit als „Stadtteilmutter“ gefunden. Die Initiative ist das jüngste Projekt. Die Stadtteilmütter sind Ansprechpartnerinnen für familiäre und pädagogische Fragen, sie informieren zum Thema Bildung und wissen, wo andere Eltern Unterstützung bekommen können und wie sie sich im deutschen Behördendschungel zurechtfinden. Diese Lotsinnen haben selbst einen Migrationshintergrund, sind bilingual und somit auf Augenhöhe. So ist es umso einfacher für sie, anderen zu helfen, sich im Märkischen Viertel zurechtzufinden. Kaffee, Kuchen und Gartenatmosphäre sind dabei aber auch sehr hilfreich, sagt Hanna und lächelt zufrieden.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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