Von Christina-Maria Bammel
Umfragen sagen, dass der beliebteste Tag der Woche nicht der Sonntag, sondern der Samstag sei, weil man da den Sonntag noch vor sich hat. Am 3. März 321 verfügte Kaiser Konstantin seinen besonderen Schutz für das Römische Reich. Am „ehrwürdigen Tag der Sonne“ sollen „alle Richter, ebenso das Volk in den Städten, sowie die Ausübung der Künste und Handwerke ruhen“. Das ist 1700 Jahre her. Das Edikt war längst kein striktes Verbot von Sonntagsarbeit. Die war mit Konstantins Edikt und auch mit den Sonntagsregelungen in der Folge seiner Regierungsjahre keineswegs beseitigt. Da brauchte es die Neuzeit und die Weimarer Verfassung, die festhielt, was noch heute im Grundgesetz steht: Der Sonntag als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung. Wie schützen wir heute beides, ohne unter die Räder oder an die Ruder einer Galeere zu kommen, die nur nach dem Takt der Erwerbsarbeit fährt und auf der Effizienz und Effektivität nicht mehr dem Menschen dienen?
Eine Entgrenzung der Ladenöffnungszeiten darf nicht der post-pandemische Weg zur Rettung des Einzelhandels und damit auch zur Neubelebung der Innenstädte sein. Eine menschenfreundliche Sonntagskultur beginnt nicht mit Kommerz, sondern mit der Kunst der Muße, der Beziehung zu Gott, der Gemeinschaft, in der ich nichts leisten muss.
Den Sonntag zu schützen ist auch persönlich kein Kinderspiel. Die Ruhe hat es schwer, wenn mit dem voranschreitenden Sonntagnachmittag die häusliche Spannung steigt und wie aus dem Nichts auftauchende Hausaufgaben drängeln, wenn die gemeinsame Woche vorbereitet und durchgeplant werden muss und dabei der familiäre Friede schmilzt wie Schnee in der Sonne. Wohl dem, der Sonntagabend tiefenentspannt auf die Woche schaut!
Die Arbeitspflichten greifen immer mehr nach diesem freien Tag. Die Deutschen schlafen, so zeigen Studien, am schlechtesten vom Sonntag auf den Montag. Der Sonntag wird bedrängt. Im Jubiläumsjahr alles andere als ein Grund zum Jubeln! Zwar arbeiten in Deutschland „nur“ 11 Millionen Menschen für den Sonntag, etwa in Cafés und Restaurants, oder trotz des Sonntags wie in der Pflege. Aber mit dem bedrängten freien Tag geht es um noch mehr: Eingezwängt von Dauereffizienz und Maximalauslastung erleben wir gesellschaftsweite Tiefenerschöpfung. Das ist kein bloßes Gewerkschaftsthema, ist vor allem spirituelles, kulturelles Zukunftsthema!
„So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“ Diese Parole aus der DDR der 1950er Jahre sollte mehr Leistung aus den Menschen auch sonntags pressen. Der Aufbau des Landes ging ohnehin schleppend voran. Man versuchte es in der Diktatur der Arbeiterklasse darum mit dem Sonntag als „Tag der Bereitschaft“. Dagegen hielt etwa die Synode im Kirchenkreis Pritzwalk 1954 fest: „Mit tiefer Sorge beobachten wir, dass die Sonntage vor allem in den Landgemeinden mehr und mehr zu Arbeitstagen geworden sind. Das kirchliche Leben wird besonders empfindlich gestört. Die Überbeanspruchung der Kräfte durch ständige sonntägliche Arbeit scheint uns auch mit ein Grund für die Republikflucht zahlreicher Landwirte zu sein. Die von Gott gesetzte Ordnung der Feiertagsruhe, wie sie im dritten Gebot zum Ausdruck kommt, darf nicht missachtet werden.“
Seitdem ist die Effizienzgaleere weiter gefahren, die Schlagzahl der Arbeitswelt nochmal erhöht. Noch größere Gefahr für den Sonntag. Es braucht darum weiterhin unsere hörbare und authentische Stimme für den Ruhetag in Herz und Hirn, für Regeneration auch in der Kontemplation. Der Sonntag ist ein kostbarer Spielraum des Lebens, er sollte nicht verspielt werden.
Christina-Maria Bammel ist Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.