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Es geht um Erlösung

Was die Krimi-Reihe „Tatort“ und Religion miteinander verbindet.

Tatort-Kommissare setzen sich wie Kirchenvertreter für eine bessere Welt ein, in der das Gute siegt und das Böse verurteilt wird. Foto: kallejipp / photocase.com

Von Claudia Stockinger

Seit über 40 Jahren steht die ARD-Reihe „Tatort“ für erfolgreiche Sonntagabend-Unterhaltung. Die Menschen halten der Sendung die Treue – über die Generationen hinweg, eine ganze Lebenszeit lang. Sonntagabend für Sonntagabend versammeln sich bis zu 11 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer um 20.15 Uhr vor den Fernsehbildschirmen, im privaten Kreis oder beim Public Viewing in einer Szenekneipe. Im Vergleichsjahr 2011 machten sich im Durchschnitt gerade einmal 3 Millionen Katholiken und etwa 900000 Protestanten in die Sonntagsgottesdienste auf. Ersetzt das sonntägliche Tatort-Ritual den Kirchgang?

Manch einer gerät in Versuchung, beides analog zu setzen: Der Tatort füllte dann gleichsam jene Lücke aus, die eine unwichtig gewordene Religion frei gemacht hätte, und kompensierte diesen Verlust. Wie im kirchlichen Bereich sind Veränderungen deshalb nur behutsam möglich. Eine Revolution führte zu einem irreversiblen Bruch. Als der Schauspieler Til Schweiger den Tatort-Vorspann für verzichtbar erklärte, erledigte sein Kollege Ulrich Tukur diese unbedachte Äußerung mit einem bezeichnenden Argument: Der Tatort sei „eine Kirche mit einer großen, gläubigen Gemeinde. Am Wochenende ist Gottesdienst. Eine Kirche erneuert man spirituell und von innen heraus und nicht, indem man den Glockenturm abreißt“.

Der „Bösewicht“ muss am Ende bestraft werden

Die Reihe als Kirche, an deren Stelle sie zugleich tritt: So lautet ein Deutungsvorschlag für das Verhältnis von „Tatort“ und Religion. Dagegen gehe ich davon aus, dass „Tatort“ sehr viel mit Religion zu tun hat, ohne diese etwa zu ersetzen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die Sendung bietet ihren Zuschauern weit mehr als nur spannende Kriminalfälle. Vielmehr konfrontiert sie ihr Publikum immer zugleich mit Fragen, die als gesellschaftlich relevant gelten, als stets aktuell, von regionalem Interesse und ganz nah an der sogenannten Realität. Ob nun Organspende oder Sterbehilfe, Zwangsehen oder Kinderprostitution, Politikerkorruption oder Bildungsnotstand – der „Tatort“ dokumentiert die Themenvielfalt der öffentlichen Debatten.

Er lässt sich zudem als Archiv der bundesrepublikanischen Kulturgeschichte lesen, als Archiv „unserer“ Moden, Frisuren, musikalischen Vorlieben, Interieurs – und „unserer“ Bekenntnisse. Darüber hinaus gehört es zu den Erfolgsrezepten der Reihe, ein Sinnangebot bereitzustellen, das auf dem Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit beruht. Der „Bösewicht“ muss bestraft werden, er darf nicht ungeschoren davonkommen, lautet die Forderung. So gesehen beschäftigen sich Tatort-Kommissare und Kirchenvertreter mit vergleichbaren Problemen. Sie setzen sich für eine bessere Welt ein, in der das Gute siegt und das Böse verurteilt wird, und sie sind permanent damit konfrontiert, dass dies nur selten gelingt.

Täter oder Opfer?

Das weiß auch Hauptkommissar Frank Thiel, wenn er die WDR-Folge „Tempelräuber“(2009) mit dem Stoßseufzer beendet: „Ach, manchmal wär’s schon schön, wenn man wüsste, dass es ihn wirklich gibt, diesen Gott. Dann bekommt am Ende jeder das, was er verdient.“ Hinter Thiel liegt die Aufklärung der Ermordung eines katholischen Priesters, des Regens am Priesterseminar in Münster. Überführt wurde der noch minderjährige Sohn eines Priesters, der den eigenen Vater vor dem Regens schützen wollte. Am Ende kommt der Junge in die Psychiatrie, und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack. Denn es ist kaum möglich, im Priesterkind allein einen Mörder zu sehen. Er gehört eigentlich zu den Opfern des in diesem Tatort verhandelten Falls.

In der Perspektivierung auf das Thema „Religion im Tatort“ verkompliziert sich demnach das Programm der ARD-Reihe. Es geht nicht einfach nur darum, ein Kapitalverbrechen möglichst lückenlos und unterhaltsam aufzuklären. Nicht wenige „Tatorte“ unterlaufen dieses Interesse – und sie tun dies vor allem dann, wenn sie zugleich religiöse Fragen thematisieren: Fragen nach Gott, nach höherer Gerechtigkeit, nach immanenten oder transzendenten Sinnzuschreibungen.

Was ist gut? Was böse?

Wenn laut Konzept der Täter nach spätestens 90 Minuten der irdischen Rechtsprechung zu überantworten ist und so „das Gute“ über „das Böse“ siegt, kann es keinen Zweifel darüber geben, was als „gut“ oder „böse“ zu gelten hat; auf diese klare Unterscheidung hin wären die Charaktere dann festgelegt. Nur: Die Folgen der Reihe selbst halten sich nicht notwendig daran. Wer ist Opfer in der Folge „Tempelräuber“? Wer Täter? Was ist gut? Was böse?

Darüber hinaus spielt Religion in den Folgen der ARD-Reihe „Tatort“ in vielerlei Hinsicht eine Rolle: sei es im Sinne einer gesellschaftlichen Normalität, sei es zur Begründung interkultureller Irritationen, sei es als Kulisse für die Darstellung zwischenmenschlicher Konflikte. In den 1970er und 1980er Jahren gehörten religiöse Symbole in Amtsstuben oder Schulen zum üblichen Bild; sogenannte Gastarbeiter wurden gern auch einmal betend gezeigt, um ihre Fremdheit auszustellen. In diesen Funktionen findet sich Religion heute kaum mehr im „Tatort“. Vielmehr wird sie seit den 1990er Jahren gelegentlich selbst zum Thema einer Folge.

Das normale ist nicht spannend

Für je exotischer der öffentliche Glaube an Gott oder an ein transzendentes Prinzip angesehen wird, je absonderlicher die Orientierung an religiös begründeten Sinnangeboten wirken mag, desto interessanter scheint Religion für das Krimigenre zu werden. Nicht das Normale gilt als spannend, sondern das Abweichende. Und so beschäftigt sich der „Tatort“ immer wieder einmal mit dem Judentum, dem Christentum oder dem Islam, mit Hexen- oder Satanskulten, mit „Designer-Religionen“ (à la Scientology) oder mit unterschiedlichen esoterischen Angeboten.

Der Zuschauer wird so auch über die Glaubensinhalte und Regeln religiöser Gemeinschaften informiert: unspezifisch und klischeehaft zumeist dann, wenn eine Tatort-Folge eine Religion (etwa den Satanismus) als bedrohlich Abweichendes präsentiert; ausgewogen und verständnisvoll dann, wenn inzwischen fremd anmutende religiöse Praktiken (etwa der katholischen Kirche) als plausible Lebensformen dargestellt werden sollen. Oftmals aber sind die Ränder unscharf: Die Entscheidung, ob eine Vereinigung ihren Mitgliedern Freiheit entzieht oder schenkt, ob sie als Sekte oder als Kirche zu verstehen sei, wird in solchen Fällen für die Kommissare zur eigentlichen Herausforderung.

Zu lachen gibt es wenig, wenn Religion ins Spiel kommt. Es sei denn, die religiösen Bekenntnisse gehören in die esoterische Ecke. Dann nämlich droht die komische Darstellung niemanden zu beleidigen und man darf sich über abweichendes Verhalten im „Tatort“ auch einmal lustig machen. Der persönlichen Einstellung der meisten Tatort-Kommissare kommt dies durchaus entgegen: Bis heute stehen sie regelmäßig auf der Seite wider den „Hokuspokus“ (Ivo Batic, BR) oder glauben explizit „nur an Beweise“ (Moritz Eisner, ORF). Sie halten Distanz zur Religion und bestehen auf rationalen Erklärungen, obwohl nicht selten gerade bei „Tatorten“, die Religiöses thematisieren, ein unauflöslicher Rest in der Fallaufklärung bleibt.

Der LKA-Ermittler Murot ist Sohn eines Dorf-Pastors

Glaubensvertreter und Kommissare haben eben doch einiges gemeinsam: Sie beschäftigen sich beide mit der hoch komplexen Frage nach Schuld und Sühne. Das bestätigt auch Ulrich Tukur als LKA-Ermittler Felix Murot. In seinem ersten Fall (Wie einst Lilly, 2010) wird er als Sohn eines evangelischen Pastors eingeführt, der zur Aufklärung eines Falls in seine nordhessische Heimat zurückkehrt.
Murots erster Gang im Dorf gilt der Kirche, obwohl sich Vater und Sohn im Streit getrennt haben und Murot nicht einmal zur Beerdigung erschienen war. Dennoch kann Murot das väterliche Erbe nicht leugnen. Vielmehr geht er davon aus, dass seine Profession mit dem Pastorenberuf durchaus vergleichbar sei. „Geht um Erlösung“, sagt er über seine Arbeit beim LKA, „is‘ Familientradition.“ Zwar sucht (und findet) auch er handfeste Beweise, um den Täter zu überführen. Aber er weiß genau: „Moral ist nicht einklagbar.“ Deshalb habe er „beschlossen zu glauben“. Denn da „gibt es ein jüngstes Gericht“.

Claudia Stockinger ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur in Göttingen.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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