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Großzügig und freigiebig

Am Mittwoch der kommenden Woche jährt sich zum 250. Mal der Geburtstag Friedrich Schleiermachers. Propst Christian Stäblein setzte sich in seiner Kirchenzeitungskolumne bereits das ganze Jahr über regelmäßig mit Zitaten des Theologen und Reformers auseinander. Nun blickt er dem Jubiläumstag vorfreudig entgegen. Er stimmt ein Loblied an, macht gleichzeitig aber auch deutlich, dass eine echte Würdigung nicht ohne eine kritische Auseinandersetzung auskommt.

<span style="font-size: 11px;">Friedrich Schleiermacher (1768–1834) wirkte als reformierter Prediger an der Berliner Dreifaltigkeitskirche und lehrte Theologie. Foto: Wikipedia/CC0</span>




Am 21. November jährt sich zum 250. Mal der Geburtstag von Friedrich Schleiermacher (1768–1834)

Von Christian Stäblein

Und dann ist der Tag da. 21. November. Der 250. Geburtstag Friedrich Schleiermachers. Bei Jubiläen ist es nicht viel anders als bei Geburtstagen. Am Ende von Vorbereiten, Vorfreuen und Überlegen kommt der Tag und für einen Moment wird das Leben durchsichtig auf seinen Grund, denn der Augenblick des Geburtstages führt vor Augen, dass wir unser Leben nicht selbst gemacht haben, es gegeben ist. Ja, um es in den Worten des Jubilars zu sagen: Wir schauen und erfahren gerade an diesem Tag unser Leben als „schlechthin abhängig“ oder, wer es lieber anders formulieren möchte: als ganz und gar empfangen, verdankt.

Geburtstage wie Jubiläumstage haben ihre eigene Agenda. Es beginnt zumeist mit dem Hinfahren. Feiern und Jubilieren leben davon, dass wir körperlich, leiblich dabei sind. In diesem Jahr sind uns, sind mir die Orte, an denen Schleiermacher gewirkt hat, noch mal nahe gekommen, ganz handgreiflich. Mehrere kleine Videoclips erzählen auf der EKBO-Homepage von Besuchen in Niesky und Potsdam, in der Charité, in der Theologischen Fakultät oder im Schleiermacherhaus. Wie stets bei solchen Besuchen hat es etwas Berührendes, ein Leben und die Beziehung dazu so unmittelbar vor Augen zu haben, etwa: Hier hat er also die Schulbank gedrückt, hier die Kranken getröstet, hier wohl gepredigt, hier gelehrt. Man ahnt beim Aufsuchen die Atmosphären, den aufklärerischen Geist, die Blüte eines liberalen Preußen, die Frömmigkeit des Herrnhuters. Man ahnt aber zugleich auch die Brüche und Wendungen eines Lebens.

Nicht freiwillig der Weg in die Hofpredigerstelle nach Stolp, den er als Verbannung empfand. Mit Wagemut eben und deshalb zunächst ohne Verfassernamen die Reden „Über die Religion“ 1799. Schließlich, wie stets bei hohen Geburtstagen und erst recht Jubiläen: Die Anwesenheit vor Ort macht auch den historischen Graben sichtbar.

Die Welt ist anders, in vielem unvergleichbar geworden. Das Wohnhaus steht nicht mehr. Die Schule hat Flachbildschirme zur Weg- und Stundenplanweisung. Die Kapelle im Krankenaus ist überkonfessionell und multireligiös (und das ist richtig so). Der Blick auf Zeitverhaftetes und Wandel macht erst recht deutlich, wie herausfordernd das Vorhaben, das Zeitlose oder zumindest das heute noch Aktuelle dieses Jubilars herauszuarbeiten, ja wie recht unmöglich, wenn die Aufgabe nicht ganz in Schleiermachers eigenem Sinne aufgefasst wird, als da wäre: im Sinne einer Vermittlung. Nichts spricht einfach so für sich, alles braucht Übersetzen und Vermitteln, um neu Eigenes zu werden.

Also hinfahren – real oder gedanklich –, das gehört zur Agenda von Geburtstag und Jubiläum. Und dann dort? Klar: Blumen, Gratulation, gesprochen, gesungen und den Jubilar würdigen. Das haben wir kräftig getan, so scheint mir, in diesem Jubiläumsjahr. Schleiermachers Bedeutung für ein modernes, am Subjekt orientiertes Verständnis von Glauben, ein Begriff davon, was es heißt, dass der Glaube eigener, angeeigneter Glaube werden muss, dass in ihm und durch ihn als Erstes ein neues Verhältnis zu sich selbst entsteht, eben ein verdanktes, empfangendes, das haben wir dieses Jahr neu durchbuchstabiert. Gut so.

Wir staunen ja manchmal über die Radikalität von Individualisierung und Subjektivität in der Moderne und Postmoderne. Da lohnt es sich, auch darüber zu staunen, wie stark die religiös dazu notwendigen Gedanken bei Schleiermacher vorgedacht und im Grunde bereits ausformuliert sind (und wie bei ihm Geselligkeit als Gegenstück zur Individualität eben auch eine Rolle spielt).

Kirche ganz sie selbst
Das laut zu sagen, gehört gewiss zu diesem Jubiläumsgeburtstag. Wie auch all das andere Rühmen eines in vielerlei Hinsicht universellen Genies: Gesangbuchreformer – klar, Lieder müssen zu unseren Liedern werden –, Bildungsreformer – aber ja, Kinder müssen selber werden, nicht Traditionsautomaten oder Abziehbilder von wohlgemeinten Vorbildern –, Kirchenreformer – selbstverständlich: Kirche muss ganz sie selbst werden, nicht bloßer Kompagnon von Staat und Gesellschaftsräson, und – ich will es nicht unerwähnt lassen – Übersetzungsreformer: Schleiermacher verdanken wir die bis heute bestens verständliche Platonübersetzung. Sie merken, ich singe wieder mein Geburtstagslied für Schleiermacher, das ich schon das Jahr über hier in der Kirchenzeitung mit einer Kolumne zu einzelnen Zitaten Monat um Monat angestimmt habe. Jetzt, zum Jubiläumstag, alle Strophen auf einmal.

Zur Agenda des Jubiläums und in die schönen Gratulationsreden gehört auch die kritische Auseinandersetzung. Die Sache wird sonst unglaubwürdig, kein Jubilar erkennt sich wieder, wenn nur Lobeshymnen gesungen werden, klebrig, unwürdig wäre das. Ich habe im Blick auf Schleiermacher, dessen Ausführungen zu einer Art erster Theologie der Religionen gar nicht hoch genug geschätzt werden können, einige meiner Ansicht notwendig kritische Sätze zu seinen Gedanken über „das Judentum“ geschrieben.

Es finden sich – auch das gehört zum Jubiläum – schnell die, die sofort dem Jubilar zur Seite springen, differenziert und zutreffend darauf hinweisen, so könne und wolle der Geehrte es doch nicht gemeint haben, hier würden heutige Maßstäbe nachträglich angelehnt und das könne nicht richtig sein. Gewiss – und gewiss gut, dass das Institut Kirche und Judentum nicht zuletzt zu diesen Fragen einen Studientag am 26. November abhält. Ohne kritische Auseinandersetzung keine echte Würdigung, weder am Geburtstag noch zum Jubiläum.

Wenn am Festtag alle Reden gehalten und Lieder gesungen sind, die gesellige Runde und Tafel ihre anfängliche Steifheit tatsächlich abgelegt hat, stellt sich manchmal eine Freiheit, ja eine Art Erinnerungsflow ein, der den Tag erst unvergesslich macht. Mancher und manche erzählt womöglich, welcher Satz Schleiermachers sie immer geprägt und auf immer neue Spuren gesetzt hat. Das sind vielleicht die schönsten Momente eines Jubiläums, weil sie einem in einer bestimmten, konkreten, individuellen Weise das Gefühl geben: Die Gedanken sind weitergegangen, verwandelt, vermittelt, Neues verwirklichend. Es ist womöglich der Moment, in dem jemand sagt: Passt auf, ich lese jetzt was von Schleiermacher vor. Zieht also das gelbe, erkennbar benutzte kleine Reclam-Heft aus der Tasche, das da schlicht „Über die Religion“ überschrieben ist und liest mit der ersten Rede beginnend so: „Apologie. Es mag ein unerwartetes Unternehmen sein, und Ihr mögt Euch billig darüber wundern, dass jemand (…) Gehör verlangen kann für einen von ihnen so ganz vernachlässigten Gegenstand“: die Religion! Scheint doch – mal von der Sprache abgesehen – direkt für heute und morgen geschrieben. Und also losgelesen, wieder losgelesen am Geburtstag.

Ich wurde gefragt, was für mich das Neue im Jubiläumsjahr gewesen ist. Ich antworte ganz einfach: beim Wiederlesen merken, wie aktuell und, ja auch, wie radikal reformerisch, ja denkerisch geradezu revolutionär Schleiermacher war und geblieben ist. Man muss ihn nur wieder lesen. Er ist uns in so vielem immer noch voraus.
Zur Agenda des Geburtstags gehört etwas, das ich nun fast übergangen hätte: Geschenke. Denken im Sinne Schleiermachers macht freigiebig. Schenken wir uns ein paar Gedanken Schleiermachers zum Geburtstag. Macht freigiebig!

Weitere Infos zu Schleiermacher:
www.ekbo.de/schleiermacher
Entdecken Sie dort seine Lebensstationen auf sechs virtuellen Spaziergängen mit Propst
Christian Stäblein, von Niesky nach Berlin. Zum Download finden Sie auch das Gemeindemagazin der EKBO über
Schleiermacher, zu bestellen per Telefon: (030)24344301

 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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