Von Amet Bick, Sibylle Sterzik und Sabine Hoffmann
Morgens um neun kam Heiko. Mit lederner Aktentasche, einem täglich wechselnden schicken und gebügeltem Hemd – und vor allem mit einem großen Lächeln. Er blieb an jeder Tür stehen und grüßte, egal wie hektisch der Tag zu werden versprach, so viel Zeit musste sein. Manchmal erzählte er noch, wie sein Tag angefangen hatte, selbst wenn der Start nicht verheißungsvoll gewesen war. Neulich zum Beispiel war sein Auto kaputt, wenn das in der Werkstatt sei, sagte er, fühle er sich selber ganz krank.
Heiko hatte nicht nur Charme, er war auch einer der ganz wenigen Männer mit den Manieren der alten Schule. Er konnte mit Komplimenten umgehen, wie man es in keiner Flirtschule lernt. Und die schüttelte er aus dem Ärmel, dass es eine Freude war. Er griff selten zum Hörer, wenn er die Kollegin im anderen Büro erreichen wollte. „Ich gehe lieber persönlich hin.“
Er wollte wieder Journalist sein
Am 4. Mai 2012 war Heiko Krebs erster Arbeitstag im Wichern-Verlag. Er wurde Redakteur der Kirchenzeitung. Ein Stehbüfett zum Einstand wollte er nicht. Ein schöner voller Tisch sollte es sein, und alle sollten drum herum sitzen. Früher hatte er mal Tschechisch und Russisch studiert, danach für den Nachrichtendienst ADN als Übersetzer und nach der Wende lange für den epd-Ost gearbeitet, war Korrespondent in Prag und dann sieben Jahre lang Pressereferent beim Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk. Er wollte wieder journalistisch arbeiten, wie er es bei epd-Chefredakteur Hans-Jürgen Röder gelernt hatte, deswegen reizte ihn der Wechsel zur „Kirche“.
Seinen Schreibtisch hatte er bald in Besitz genommen: überall Papier, Ordner, Zettel. Kein anderer Mensch würde sich dort zurechtfinden, aber er zog Woche für Woche die nötigen Notizen heraus, und wenn es doch mal ein bisschen länger dauerte, dann lächelte er so charmant, dass man ihn sowieso nur gern haben wollte. Auf seinem Bett im Deutschen Herzzentrum sah es nicht anders aus. Sein liebenswertes Chaos konnte er sogar in der kühlen Krankenhauswelt entfalten. Bei unserem letzen Besuch saß er mit seinem Laptop am Tisch wie im Büro. Er strahlte, als wir die Cola-Flasche aus der Tasche zogen, neben Kaffee sein Leib- und Magengetränk. Das hatte ihm oft geholfen, wenn er bis elf Uhr nachts an seinem Schreibtisch an einem Artikel tüftelte.
Als seine Hündin starb, war er untröstlich
Seine Jahre in Prag müssen sehr glücklich gewesen sein. Er leuchtete, wenn er Tschechisch sprechen konnte oder von der Zeit dort erzählte. Als seine Hündin starb, die er tschechisch „Suschenka“, deutsch „Keks“ rief, war er untröstlich. Manchmal schimpfte er halblaut vor sich hin, wenn etwas nicht gleich so gelang, wie er es sich vorgenommen hatte, auf Tschechisch natürlich. Er hatte große Sehnsucht, wieder einmal nach Prag zu fahren, die Freunde zu besuchen, die alten Plätze wiederzusehen. Immer hat er es aufgeschoben, jetzt Mitte März, um seinen 50. Geburtstag herum, sollte es vielleicht soweit sein. Vierzehn Tage Urlaub hatte er geplant.
Heiko war auch der Mann am gläsernen Flügel. Er verehrte Udo Jürgens und jedes Jahr gab er ein Konzert mit seinen Liedern am Original-Flügel von „Udo“, der auf seltsamen Wegen nach Berlin in eine diakonische Einrichtung gelangt war. Das war immer ein besonderes Ereignis. Und dazu gehörte, dass er die letzten Lieder im Bademantel spielte und sang, so wie sein Vorbild. Die, die ihn am Klavier erlebt haben, sagen, er war dann ein anderer Mensch. Und schwärmten von seinem Spiel. Er hat die große Bühne geliebt, auch wenn er doch bescheiden war.
„Schreibt mir einen schönen Nachruf“
Die letzten Wochen war Heiko müde, oft grau im Gesicht, aber ausruhen wollte er sich nicht. Er wollte lieber arbeiten, krank sein war nicht seine Sache. Vor sieben Jahren war er schon einmal am Herzen operiert worden, die undichte Aorta musste geschlossen werden. Vor ein paar Tagen war er bei einer Kontrolluntersuchung. Das Ergebnis war beunruhigend. Heiko wurde gleich ins Herzzentrum gebracht und sollte wenige Tage später erneut operiert werden. Er wusste, was auf ihn zukam – der schwere Eingriff, die Schmerzen und die Schwäche danach. Trotzdem fand er die Kraft, das Interview mit Bischof Markus Dröge, das er kurz zuvor gemacht hatte, vom Band abzutippen und zu bearbeiten. Es sollte nicht umsonst gewesen sein. „Das wäre doch ein würdiger Abgang. Mein letzter Artikel – ein Interview mit dem Bischof“, flachste er und grinste. Kurz darauf füllten sich seine Augen mit Tränen. „Schreibt mir einen schönen Nachruf“, rief er noch.
Drei Tage nach der Operation, am 4. März, ist Heiko Krebs gestorben. Er ist nicht mehr aufgewacht. Sein Herz hat es nicht geschafft. Morgens um neun ist es auf unserem Flur jetzt sehr leer. Wo sonst „seine“ Seite 2 an der Wand hing, hängt nun ein Bild von ihm. Er lächelt charmant.