Schule? Ein großes Fragezeichen
Von Marie Bammel
Müsste ich für jedes meiner Schuljahre eine Spalte in meinem Lebenslauf einrichten, wäre die des letzten Jahres leer – bis auf ein großes rotes Fragzeichen. Natürlich habe ich dieses Jahr Neues gelernt, Klassenarbeiten geschrieben und Hausaufgaben gemacht. Trotzdem wird für mich das Schuljahr 2020/21 ein Jahr bleiben, in dem das Reden und Diskutieren über Schule interessanter und gefragter war als das Austauschen und Auseinandersetzen in der Schule.
Ich darf meinen Lehrer*innen nicht unrecht tun, denn jede*r passte sich dieser corona-bedingten Situation so gut es ging an, und es wurden häufig interessante Alternativen zum normalen Unterricht gefunden. Es wurde stark versucht, schulintern auf die Bedürfnisse der jungen Menschen einzugehen. Aber Meinungen und Ansichten von Schüler*innen in meinem Alter, vielleicht sogar Berichte, mit denen ich mich hätte identifizieren können, haben mir in den Medien gefehlt.
Alles redet über Home-Schooling und darüber, wie Schüler*- innen zurückfallen, Kinder abgehängt werden oder durch das Jahr zu Hause Wissen verloren geht. Für mich ist am wichtigsten anzumerken, dass uns Kindern ein Rückzugsort genommen wurde. Ich stehe morgens auf, setze mich an meinen Schreibtisch und befinde mich sofort in meinem Klassenraum, auf dem Schulhof und in der Mensa. Schulpause, Unterricht, Essen, Hausaufgaben und Prüfungen – alles am selben Tisch.
Dass dieser Tisch neben dem „Schulgelände“ auch noch der eigene Schreibtisch ist, an dem man zeichnet, schreibt oder Serien guckt, vergisst man dabei. Und jetzt, nach diesem Jahr mit Klassenmeetings im Bett, Abgaben online spät in der Nacht und Internetproblemen, die einen in den Wahnsinn treiben, wurde ich aufgefordert, hier ein Fazit zu ziehen.
Ich habe meine Schulfreund*-innen befragt – und es ist klar: Die Worte gut oder schlecht reichen nicht ansatzweise aus, um das letzte Schuljahr zu beschreiben. Verwirrend wäre vermutlich treffender. Ich hatte es gut, da ich einen eigenen Laptop besitze, ein Zimmer für mich allein habe, eine Familie, die ab und an für mich kocht, und ich nicht Opfer häuslicher Gewalt bin. Ich hatte es aber auch gleichzeitig schlecht, da mein Auslandsjahr abgesagt wurde, woraufhin ein Traum für mich zusammenbrach. Ich bin ein extrovertiertes Kind bin, das manchmal das Gefühl hatte, ihm würde die Decke auf den Kopf fallen. Und ich fühle mich nicht richtig auf mein Abitur vorbereitet. Denn online lernt man tatsächlich weniger als vor Ort in der Schule.
Durch ein Auslandspraktikum durfte ich zwei Monate in Tansania in einer Grundschule arbeiten. Dort gibt es keine Masken, Sicherheitsabstände oder Testzentren und kein Kind sorgte sich darum, Abstand zu halten oder perfekt in die Armbeuge zu husten. Ich habe selbst sehr lange gebraucht, bis ich mich auf dieses neue, restriktionslose Umfeld einlassen konnte.
Und ich denke, dass es ähnlich sein wird, wenn der analoge Unterricht wieder richtig losgeht. Ich fühle mich überfordert und auch verängstigt, wenn ich an einen normalen Schulalltag im Schulgebäude denke, denn ich bin es nicht mehr gewohnt, unter vielen Gleichaltrigen zu sein. Trotzdem denke ich, dass es die richtige Entscheidung ist, uns wieder zurück in die Schule zu lassen, denn wer weiß, wie es nach weiteren Lockdown- Monaten aussehen würde.
Ich habe „alternatives Lernen“ kennengelernt und bin auch dankbar für die zum Teil kreative Unterrichtsgestaltung der Lehrer*innen und die neuen Einblicke in digitale Möglichkeiten. Schule war aber im letzten Jahr etwas, das Politiker*-innen diskutierten und das angepasst und verbessert werden musste. Schule war nicht der Ort, den ich sonst besuchte, wo ich meine Freund*innen traf oder Vorträge hielt. Schule war ein großes, rotes Fragezeichen und ich hoffe, im nächsten Jahr wird sich das ändern.
Marie Bammel (16) ist Schülerin der 11. Klasse der Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ).