Herr Ceconi, die Inflation und die Energiekrise belasten die Menschen. Was beobachten Sie, wie geht es den Menschen?
Wir als Berliner Stadtmission nehmen wahr, dass viele Menschen besorgt in den kommenden Winter gehen. Die Auswirkungen der hohen Mehrkosten für Strom und Gas auf Haushalte mit geringen Einkommen sind zurzeit schwer abschätzbar.
Wie wirkt sich das auf die Arbeit der Stadtmission aus?
Besuchen sonst durchschnittlich 100 Bedürftige unsere Kleiderkammer, waren es vor ein paar Wochen 170 – ein trauriger Rekord! Auch unsere Essensausgabe am Bahnhof Zoo nutzen immer mehr. Bis zu 700 kommen pro Tag, um sich Lebensmittel und ein heißes Getränk abzuholen. Mit Sorge beobachten wir die wachsende Zahl stadtarmer Menschen. Das sind Berliner*innen, die Transferleistungen beziehen oder Senior*-innen mit kleinen Renten. Für Letztere veranstalten wir wöchentlich ein Frühstück.
Was kann Zuversicht geben?
Das können unterschiedliche Dinge für verschiedene Menschen sein. An erster Stelle steht das unvoreingenommene Wahrnehmen des Nächsten. Das Gegenüber mit allen Sorgen und Nöten zu sehen, anstatt wegzuschauen, ist der vielleicht schwerste aber zugleich der wichtigste Schritt. Wir unterstützen die Aktion „#wärmewinter“ von Diakonie und EKD. Jetzt, wo viele einen Wut-Winter fürchten, müssen wir ermutigen, zusammenzurücken und füreinander einzustehen.
Wie unterstützt die Stadtmission?
Hoffnung entsteht durch Gebet und konkretes Handeln: Wir bei der Berliner Stadtmission nennen die diejenigen, die zu uns kommen, unsere Gäste. In mehr als 90 Projekten versuchen wir, ihnen das zu geben, was sie am nötigsten brauchen. Das können professionelle Hilfen sein wie durch Schuldnerberater*innen, Psycholog*innen oder Sozialberater*-innen. Eine respektvolle Begegnung auf Augenhöhe gibt Kraft, ebenso der Zuspruch: Ich wünsch Dir Gottes Segen, oder: Bleib behütet! Zudem hilft Gemeinschaft. Das sieht man in unseren Notunterkünften, wo Ehrenamtliche sich abends mit Obdachlosen an einen Tisch setzen. Auch in unseren 19 Stadtmissionsgemeinden kann man das erleben und gemeinsam Gottesdienst feiern.
Was erwarten Sie von der Politik?
Genau das: hinschauen, die Menschen wahrnehmen und nach ihren Bedürfnissen handeln. Als Sozialsenatorin Katja Kipping zu Beginn ihrer Amtszeit mit unserem Kältebus mitgefahren ist, hat mich das sehr berührt. Sie hat den Menschen auf der Straße gezeigt: Ich werde Euch nicht vergessen. Gerade haben wir erfahren, dass im Berliner Doppelhaushalt für das erfolgreiche Projekt Housing First 6,1 Millionen Euro vorgesehen sind – 2022 sind es 2,8 Millionen Euro und 2023 werden es 3,3 Millionen Euro sein. Das ist ein großer wichtiger Schritt, um dieses Pilotprojekt zu stabilisieren, dass Obdachlosen zu einer eigenen Wohnung verhilft. Sorge machen mir Menschen mit geringen Renten, die manchmal – auch aus Schamgefühl heraus – nicht sagen, wenn sie Hilfe brauchen. Die dürfen wir nicht übersehen.
Wie können sich kirchliche Einrichtungen einbringen?
Da sind dem Ideenreichtum keine Grenzen gesetzt. Haben Sie einfach den Mut, Neues auszuprobieren, die Türen aufzumachen. Ich bin sicher, die Menschen, die durch die Tür kommen, werden helfen herauszufinden, was gerade am Nötigsten ist. Und nehmen Sie sich Zeit zum Beten. Mit anderen und für andere.
Wie kann man die Stadtmission jetzt am besten unterstützen?
Wir freuen uns über jede Art von Hilfe: Sie können uns ihre Zeit spenden, in Gemeinden und an Wärmeorten oder in den Notunterkünften Essen ausgeben. Wer gut erhaltene und gewaschene Kleidung, Sneaker oder Schlafsäcke hat, kann diese an uns spenden. Wir geben sie dann an Bedürftige weiter. Ehrlich gesagt, freuen wir uns zurzeit am meisten über Geldspenden. Die können wir schnell und unbürokratisch dort verwenden, wo wir Engpässe haben – beispielsweise, um frisches Obst für die Notunterkünfte, warme Schlafsäcke für die Kleiderkammer oder Sprit für die Straßenambulanz zu kaufen.
Die Fragen stellte Constance Bürger.