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Das muss aufhören!

„Es gibt keine christlich-jüdische Kultur.“, sagt die jüdische Schriftstellerin Mirna Funk

Mirna Funk Juden Christen
Fotos: pixabay/Montage: Doris Wichlitzky

Der 27. Januar ist in ­Deutschland offizieller Tag des ­Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Gedacht wird dabei der sechs ­Millionen ermordeten ­europäischen ­Juden und aller, die der ­totalitären Staats­gewalt zum Opfer fielen. Welche Schuld daran trägt der christliche ­Antijudaismus? Und was ­müssen Christen lernen?

Von Mirna Funk

Ihr seid nicht wir

Bei jeder Lesung, jedem Panel, jedem Vortrag passiert das Gleiche: Es gibt eine Person, die sich meldet und mir erklären möchte, dass es sowas wie einen deutschen Juden oder eine deutsche Jüdin nicht gibt, einfach, weil sich der oder die Meldende niemals als deutsche Christin bezeichnen würde. Was soll das sein, eine deutsche Jüdin? Sollte es nicht vielmehr „Deutsche jüdischen Glaubens“ heißen? Ganz so wie es auch in Markus Söders Chanukka- Ansprache kommuniziert wurde. Dort wünschte der bayerische Ministerpräsident Mitte Dezember 2020 „allen Bayern jüdischen Glaubens ein frohes Schanukka“. Abgesehen davon, dass es ihm trotz „1700 Jahren Judentum auf deutschem Boden“ offensichtlich nicht möglich war, Chanukka richtig auszusprechen, tat er das, was allgemeinhin alle Christen gerne tun, egal ob sie nun evangelisch oder katholisch sind: Ihr religiöses Selbstverständnis auf uns Juden zu übertragen. Und das muss aufhören! Jetzt, sofort, für immer. 

Und bevor das überhaupt geschehen kann, muss innerhalb der christlichen Gemeinschaft endlich anerkannt werden, dass der Antijudaismus, wie er fast 2000 Jahre existierte, im Holocaust mündete. Ja, dass es ohne den Antijudaismus keinen Holocaust gegeben hätte. Boom. Tut dieser Satz weh? Das soll er auch! So wie Wahrheit nun einmal weh tut. 

Ohne Antijudaismus kein Holocaust

Aber darüber hinaus müssen sich Juden weltweit mit dem Erbe des Antijudaismus auch nach dem Holocaust immer noch auseinandersetzen. Nämlich mit uralten antijudaistischen Verschwörungstheorien, die sich im Laufe der vielen hundert Jahre im Kern nicht verändert haben, aber inhaltlich an die Gegenwart angepasst wurden. Ob es die Corona-Leugner sind, die glauben, die große Weltverschwörung stecke hinter der Impf-Diktatur oder ­Anhänger des QAnon-Verschwörungsmythos die behaupten, es gäbe einen elitären Kreis, der das Blut von ­geschändeten Kindern trinkt. 

Alles auf dem Mist der Christen gewachsen. Alles seit 2000 Jahren da und nicht weg. Alles eine konstante Gefahr für jüdisches ­Leben heute. Ist das den Christen eigentlich bewusst? Dass ich mich als Jüdin ständig rechtfertigen muss, bei jedem Essen, jedem Panel, jeder Lesung, jedem Artikel, den ich schreibe? Rechtfertigen für Behauptungen, in denen es um reiche Juden, weltumspannende Netzwerke und bluttrinkende Kindermörder geht? Kein Tag vergeht, an dem ich keinen Kommentar lese, der mit antijudaistischen Termini gespickt ist.

Kultur, Werte, Schicksal

Und bestimmt wissen einige Christen um das Unheil des Christentums. Dass 15 Millionen Juden weltweit bis heute darunter leiden müssen, was die steile These des Jesus-Mordes angerichtet hat. Jene, die darum wissen, können meistens aber nur vom eigenen Antijudaismus ablassen, wenn sie das Judentum einfach nur christianisieren. Wenn sie sich erklären, dass Jesus schließlich Jude war, dass das Christentum aus dem Judentum entsprang, ja, dass es aufgrund dieser Quelle, so sei wie das Christentum. 

Die Andersartigkeit, die grundlegende Differenz wird verleugnet. Bis heute. Die ­Unterschiede werden eliminiert. Es wird so getan, als hätte Martin Buber niemals seine Vorlesungen zum Judentum und Christentum gehalten, um dort eindeutig und für alle verständlich die grassierende Verschiedenheit zu verdeutlichen. 

Es gibt keine christlich-jüdische Kultur, kein christlich-jüdisches Abendland, keine christlich-jüdische Identität. Es gibt Christen. Und es gibt Juden. Und Juden sind im Gegensatz zu Christen so viel mehr als eine Religion. Weniger als die Hälfte der 15 Millionen Juden weltweit würde sich vermutlich als religiös bezeichnen. 85 Prozent definieren sich über ihre 5780 Jahre alte Geschichte, ihre Kultur, ihr Schicksal, ihre Traditionen, ihre Werte. 

Es ist an der Zeit, den Juden zuzuhören. Ihnen ihr jüdisches Selbstverständnis zu lassen und damit aufzuhören, zu glauben, man könne oder müsse als Christ Juden erklären, wie sie sich zu sehen haben. Die Bevormundung, die Inbesitznahme, die Vereinnahmung muss ein Ende finden. Jetzt. Sofort. 

Für immer!

Mirna Funk ist Schriftstellerin und Journalistin und lebt zwischen Berlin und Tel Aviv. Ihr ­Debütroman „Winternähe“ wurde 2015 mit dem Uwe-Johnson-­Förderpreis ausgezeichnet. Am 19. Februar 2021 erscheint ihr zweiter Roman „Zwischen Du und Ich“ bei dtv. 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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