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Dem Horizont ganz nah

Alina Erdem wollte eigentlich ihre Heimatstadt Berlin nicht verlassen. Mittlerweile lebt sie seit vier Jahren in der Niederlausitz und ist froh, die Natur vor der Haustür zu haben und auf dem Land als Pfarrerin tätig zu sein.

Pfarrerin Alina Erdem Golßen
Pfarrerin Alina Erdem und ihr Hund Johnny. Foto: Constance Bürger

Von Constance Bürger

Die gebürtige Berlinerin Alina Erdem genießt das Leben rund um Golßen im Landkreis Dahme-Spreewald. In der Kleinstadt mit knapp 2500 Einwohnerinnen und Einwohnern lebt die 32-jährige Pfarrerin seit Dezember 2017 mit ihrem dreijährigen Beagle Johnny. Hier kann sie Kindheits- und Jugendträume wahr werden lassen: sei es mit Hund Johnny oder dem Reiten. „Wenn nicht jetzt, wann dann“, sagt sie. Als sie noch in ­Berlin-Neukölln und später in Schöneberg wohnte, war ihr der Weg zur Koppel einfach zu weit – eine dreiviertel Stunde bräuchte es mindestens. Nun fährt sie zehn Minuten mit dem Auto bis zum Reiterhof nach Gersdorf. 

Gemeinsam mit dem Gemeindepädagogen Benjamin Liedtke betreut Alina Erdem den Pfarrsprengel Dahme-Berste-Land im Kirchenkreis Niederlausitz. Die Pfarrerin ist zuständig für sieben Kirchengemeinden mit vier Gemeindekirchenräten und circa 1000 Gemeindegliedern. In der Kleinstadt Golßen feiert die Gemeinde jede zweite Woche Gottesdienst, auf den Dörfern kommen die Christinnen und Christen alle vier bis fünf Wochen zusammen. Dass dann auch mal nur sechs bis acht Menschen zusammensitzen, stört Alina Erdem nicht. Denn proportional berechnet seien das bis zu 25 Prozent der Gemeindeglieder in einem Dorf wie Mahlsdorf, wo etwa 100 Menschen und davon 25 Gemeindeglieder leben. „Das ist eine ziemlich gute Quote“, sagt Alina Erdem. In Berlin würden manche ­Gemeinden sicher davon träumen. 

Das nutzen, was funktioniert
Alina Erdem ist ein optimistischer Mensch, sie ist kreativ und packt an. Als Pfarrerin will sie nichts grundsätzlich Neues erfinden, sondern die Dinge verstetigen, die schon funktionieren – und eventuell optimieren. Zum Beispiel schlug sie vor, den Adventsmarkt in Golßen mit einem Gottesdienst zu eröffnen – statt nur an dem jeweiligen Sonntag in die Kirche einzuladen – und mit einem Stand präsent zu sein. Dort verschenkte sie „5 Minuten Adventstütchen“ mit einer kurzen Geschichte, einem Keks, einem Teebeutel und  einem Teelicht – für den besinn­lichen Advent zu Hause. Die Tüten waren der Renner, so Erdem. 

Mit vier Kolleginnen und Kollegen aus den benachbarten Gemeinden und Pfarrsprengeln trifft sich Alina Erdem einmal monatlich zum Frühstück. Im Rahmen dieser „Kollegialen Dienstberatung“ tauschen sie sich über alles Mögliche aus, zum Beispiel über die Arbeit im Gemeindekirchenrat oder die Gottesdienst­gestaltung. Ansonsten steht Alina Erdem auf eigenen Füßen. Sie hat keine Gemeindesekretärin – für sie Nach-, aber auch Vorteil. So landen alle Informationen bei ihr. Gleichzeitig gibt sie zu, dass die Arbeit teilweise etwas besser durchorganisiert sein könnte. 

Alina Erdem nimmt kein Blatt vor dem Mund, sie spricht offen über ihre Erfahrungen. Zum Beispiel auch darüber, dass alles seine Zeit bräuchte, um in der Pfarrstelle anzukommen. In etwa einem Jahreskreis würde man erfahren, in welcher ­Situationen man wen anrufen kann, so Erdem. Golßen hat zum Beispiel keinen Kantor. Mittlerweile kennt sie jemanden, der Orgel spielt und sie bei den Gottesdiensten musikalisch unterstützt. 

Die Zusammenarbeit mit den Gemeindekirchenräten läuft reibungslos
Die Arbeit in den vier Gemeindekirchenräten erlebt sie als großen Gewinn. „Es graust mich vor keinem GKR im Sprengel“, sagt sie. Der GKR in Golßen trifft sich einmal im Monat, der GKR, zu dem die Kirchengemeinden Drahnsdorf, Falkenhain, Jetsch und Krossen gehören, alle drei Monate. Und der von der Kirchen­gemeinde Zützen tagt auch ab und zu ohne sie, um allgemeine Belange für das Dorf zu sprechen. 

Die Arbeit mit diesen engagierten Christinnen und Christen erlebt Alina Erdem als konstruktiv und effizient. Die Menschen kommen auf sie zu, wenn sie etwas brauchen. Wenn sie mit ihrer Arbeit nicht zufrieden wären, würden sie ihr das sagen, davon ist die Pfarrerin überzeugt. 

Ihre derzeitige Pfarrstelle wurde zwei Mal ausgeschrieben – ohne ­Erfolg. Die Menschen seien froh, dass nun wieder jemand für sie zuständig ist, um mit ihnen Gottesdienst zu feiern. Auch dass sie wieder eine eigene Ansprechpartnerin haben, wenn sie ihr Kind taufen lassen wollen oder jemand verstorben ist. Beerdigungen sind Alina Erdem ein Herzensanliegen. So erreiche sie Menschen, zu denen sie sonst so gut wie keinen Kontakt habe – sowohl Christen, die nicht den Gottesdienst besuchen, als auch Nicht-Christen. „Wenn du die Beerdigung gut machst, hast du bei den Menschen einen Stein im Brett“, sagt sie. Sie hat die Erfahrung ­gemacht, dass die Menschen so ­Vertrauen zu ihr gewinnen und sie dann auch in anderen Lebenslagen kontaktieren. 

Der Kontakt zu den Menschen ist ihr besonders wichtig. Gern würde Alina Erdem mehr Menschen besuchen. Sie bedauert, dass der direkte Austausch gerade im Landpfarramt manchmal untergehe. Da die Pfarrerinnen und Pfarrer für mehrere ­Dörfer gleichzeitig zuständig sind, sei es schwierig, Verbindungen aufzubauen und zu verfestigen. 

Die Pfarrstelle von Alina Erdem hat zwei große Vorteile: Alle Kirche sind saniert. Und Golßen ist nun mal kein Dorf. Um die Ecke vom Pfarrhaus kann Alina Erdem schnell mal bei Rewe einkaufen. Im Ort gibt es Bäcker, Arzt, Frisör und Gaststätte. Dafür müssen andere Pfarrerinnen und Pfarrer erst mal ins Auto steigen und mehrere Kilometer fahren. 

Ob die Partnersuche auf dem Land schwierig sei? Sie erlebt die Menschen in der Region als bodenständiger als in der Hauptstadt. Feste Freundschaften vor Ort fehlten ihr aber ab und zu. Manchmal besuchen sie Freunde aus Berlin. Andererseits ist der Weg nach Berlin nicht weit. „Wenn dir etwas fehlt, dann musst du es dir holen“, sagt sie. Mit dem Auto ist Alina Erdem in 45 Minuten bei ihrer Familie; mit dem Zug von Brand – dorthin braucht sie circa zwölf Minuten mit dem Auto – dauert es 45 Minuten bis zur Friedrichstraße. „Das ist alles keine Zeit“, sagt sie. Oftmals ist sie aber auch einfach nur froh, abends ihre Ruhe zu haben. „Ich bin mit mir selber glücklich.“

Ursprünglich wollte man sie in den Norden schicken 
Die Region rund um Golßen kannte Alina Erdem schon vorher etwas. Im Unterspreewald absolvierte sie ihren zweijährigen Entsendungsdienst. ­Eigentlich wollte sie dafür in ihrer Heimatstadt Berlin bleiben. Sie war sich ­bewusst, dass das vielleicht nicht klappen könnte – und bat deshalb darum, südlich von Berlin eingesetzt zu werden, damit der Weg zu Familie und Freunden nicht zu weit ist. Die Personalabteilung im Konsistorium bot ihr hingegen eine Pfarrstelle in einer ganz anderen Himmelsrichtung an, in Wittstock. Damals war Alina Erdem enttäuscht. „Ich muss nichts – außer sterben. Und das müssen wir alle“, sagte sie zum dama­ligen Personalchef. 

Daraufhin lachte er und bot ihr  eine Alternative für den Entsendungsdienst an – im Unterspreewald. Im Februar 2016 zog Alina Erdem für ihren Entsendungsdienst nach Schönwalde, ihr Amtssitz befand sich im benachbarten Krausnick. Die Gemeinde umfasste neun Predigtstellen in 15 Dörfern. „Viele Pfarrerinnen und Pfarrer scheuen sich davor, so viele kleine Gemeinden zu übernehmen“, so Alina Erdem. Aber sie sagte sich: „Du kannst dich zwar jetzt noch dagegen wehren, aber irgendwann wird es dazu kommen, ein größeres Gebiet mit mehreren Gemeinden zu verantworten.“ Man benötige für das Landpfarramt eine innere Bereitschaft und Offenheit, sich darauf einzulassen, so Erdem. 

In der Bewerbungszeit für den Entsendungsdienst konnte sie sich das Leben außerhalb von Berlin noch nicht so wirklich vorstellen. ­Irgendwann nervte sie die Millionenstadt aber einfach nur noch. Eines Tages stand Alina Erdem auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln, die Autos rauschten an ihr vorbei, die Häuser verdunkelten die Straße. Sie bemerkte, dass sie einfach mal den Blick schweifen lassen will und den Horizont sehen möchte. 

„Wenn man sich nach Weite sehnt, ist man im Landpfarramt genau richtig“, sagt sie. Je länger sie nicht mehr in Berlin lebt, desto zufriedener ist sie mit ihrer Entscheidung. „Auf dem Land zu leben, wenn du Berliner bist und nichts anderes kennst, kannst du dir überhaupt nicht vorstellen. Wenn du es dann machst und ausprobierst, dann kannst du fast nicht mehr nach Berlin zurück.“

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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