Von Gaby Sikorski
Als Ulrich Zwingli anno 1519 in Zürich ankommt, ist die Stadt düster und schmutzig. Reichtum und Luxus sind der Kirche vorbehalten, Armut und Elend bestimmen das Leben des Volkes, so auch das der gottesfürchtigen jungen Witwe Anna Reinhart, die Zwingli als Untermieter bei sich aufnimmt, um ein Zubrot für sich und ihre Kinder zu verdienen. Ulrich Zwingli tritt seine Stelle als Leutpriester (Prediger) am Großmünster an und sorgt umgehend für Aufregung. Er hat schon einen gewissen Ruf, sagt, er wolle die kranke Kirche gesundpflegen. Doch erst als er mit knapper Not die Pest überlebt, wird er zum Revolutionär.
Zwingli schockiert: Freiheit, Hoffnung, Optimismus
Zwingli, geboren 1484 als Sohn eines Bauern, predigt in deutscher Sprache, was ihm mächtig Zulauf und viel Ärger bringt, denn damit macht er sich den Klerus zum Feind. Und er ruft zum Widerstand auf: gegen den Krieg, gegen das Fasten, gegen den Zölibat. Seine humanistische Interpretation des Evangeliums führt zu bisher unbekannten Forderungen wie die Freiheit des Einzelnen sowie Hoffnung und Optimismus im Glauben. „Es gibt kein Fegefeuer“, sagt er und schockiert damit die „Altgläubigen“. Zwinglis Predigten werden gedruckt und machen ihn weithin bekannt. Im Team mit seinen Glaubensgenossen übersetzt er die Bibel zwischen 1524 und 1529 ins Deutsche. Er übersteht diverse Disputationen, in denen er sich erfolgreich gegen den Vorwurf der Ketzerei verteidigt – und er heiratet Anna, seine Vermieterin.
Immer mehr Veränderungen bestimmen das Leben in Zürich: Die Klöster werden säkularisiert, es gibt regelmäßige Armenspeisungen und neue Gesetze, die für alle gelten. Doch die Reform entgleitet Zwingli. Die Züricher Priester radikalisieren sich, sie sagen sich als „Täufer“ von Zwingli los und gefährden damit alles, was er geschaffen hat. Der Glaubenskampf eskaliert, die Gegner rücken zusammen. Zwingli sucht neue Verbündete, er will sich sogar mit Martin Luther versöhnen, mit dem ihn eine solide Feindschaft verbindet. Schließlich zieht Zwingli in den Krieg der Züricher gegen die katholischen Kantone, den er nicht überleben wird.
Für ihre Geschichte hat die Drehbuchautorin Simone Schmid eine ungewöhnliche Form gewählt: Sie erzählt aus Sicht von Anna Reinhart, Zwinglis späterer Ehefrau. Anna gehört zu den Ersten, die er durch seine Predigten überzeugt. In einfachen, klaren Worten spricht dieser Leutpriester, wobei ihm sein brillanter Geist ebenso hilft wie seine imposante Erscheinung: groß und stattlich, ein Kerl wie ein Bär, den Anna in der Kirche offen anhimmelt.
Max Simonischek spielt ihn als Mann, der selten laut wird und bei dem die Besonnenheit regiert. Der Schweizer, der seinem Vater, dem Burgschauspieler Peter Simonischek, in vielem ähnelt, gibt dem Reformator viel glaubwürdiges Charisma, sein Blick ist freundlich und eindringlich zugleich; er ist ein Meister der leisen Töne, der kleinen Blicke und Gesten. An seiner Seite spielt Sarah Sophia Meyer die Anna Reinhart als Frau, die im Glauben und in der Liebe zu sich selbst findet. Sie entwickelt sich vom grauen Mäuslein zur selbstbewussten Partnerin, von einer Leidenden zur Optimistin.
Kamera, Musik und Technik: Ein Film auf höchstem Niveau
Der Schweizer Regisseur Stefan Haupt inszeniert den Film rund um seine beiden Hauptfiguren, ohne dass die übrigen historischen Personen und der entsprechende Kontext zu kurz kommen. Dabei entwirft er ein Bild des 16. Jahrhunderts, das in seiner Gestaltung an zeitgenössische Gemälde erinnert. Die Farben sind ebenso leise wie Zwinglis eindringliche Worte – sanfte Sepiatöne bestimmen die Szenerien.
Extrem gelungen ist die Ausstattung: Der Film bietet eine exquisite Tricktechnik, die Bilder aus dem alten Zürich sind fantastisch. Diego Baldenwegs Musik unterstützt die Geschichte, ohne zu schmalzig zu sein. Die aufwändigen Kostüme wurden in Zusammenarbeit mit Historikern erstellt, und die Wirkung ist beeindruckend: ein opulenter Film mit atemstockend eindringlichen Bildern. Die Hinrichtung des Täufers Felix Manz als Ketzer in Gegenwart der Züricher Bürger wird zum Fanal, sein angeblicher Märtyrertod erscheint ebenso grausam wie unnötig.
Stefan Haupt zeigt diese Welt, die geprägt war von Gewalt und Fanatismus und die Reformation als Folge einer verfehlten Kirchen- und Gesellschaftspolitik. Daraus ergeben sich aktuelle Bezüge, die den Film nicht nur als Historiendrama würdigen, sondern auch durchaus als Beitrag zum Diskurs über den gegenwärtigen Zustand der Welt.
Zwingli – Der Reformator (Schweiz 2018). Regie: Stefan Haupt. Mit Max Simonischek, Sarah Sophia Meyer, Anatole Taubman, Stefan Kurt u.a. 128 Minuten. Auf DVD und als Video on Demand