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Die Durchsuchung in der Umweltbibliothek 1987

Vor 35 Jahren gab es in der Umweltbibliothek eine Razzia und Verhaftungen. Die Proteste danach erschütterten die DDR nachhaltig.

Mahnwache mit Kerzen an der Berliner Zionskirche im Jahr 1987
Mahnwache am Seiteneingang der Berliner Zionskirche am 26.11.1987 Foto: Röder/epd

Fünf Tage, die das Land veränderten

Am 25. November vor 35 Jahren löste eine Stasi-Durchsuchung in der Ostberliner Umwelt-Bibliothek eine Protestwelle aus. Sie gab entscheidende Anstöße zur Friedlichen Revolution 1989

Das Ende der DDR schien weit entfernt, doch in der Umwelt-Bibliothek im Gemeindehaus der Berliner Zionskirche wuchs, von den Behörden argwöhnisch ­beäugt, der Widerstand. Für die oppositionelle Szene war sie ­zentral. Umso größer war der Protest nach dem Stasi-Überfall auf diese Institution. Er hat sich ins Gedächtnis eingebrannt.

Von Bettina Röder

Die kalte Nacht zum 25. November 1987 konnte Hans Simon (1935–2020) Zeit seines Lebens nicht vergessen. Wie er sich mit schwindender Kraft gegen die Tür seines Schlafzimmers stemmte, um seiner Frau Barbara die Schmach zu ersparen, sich vor den Stasi-Leuten ankleiden zu müssen. Die waren in Begleitung eines Staatsanwalts kurz nach 24 Uhr erschienen, traten erbarmungslos gegen die Tür. Wenige Minuten später standen Barbara und Hans Simon im Keller ihres Pfarrhauses der Ostberliner Zionskirche und trauten ihren Augen nicht.

Die Räume, in denen die Umwelt-Bibliothek untergebracht war, wurden von 20 Mitarbeitern der Staatssicherheit in Begleitung eines Staatsanwaltes mehrere Stunden durchsucht. Die jungen Menschen, die sich zu später Stunde hier noch aufgehalten hatten, standen mit erhobenen Händen zur Wand. Sieben von ihnen wurden einzeln in bereitstehenden Autos abtransportiert – „vorüber-gehend festgenommen“, wie es hieß.  Vervielfältigungsgeräte und große Mengen Informationsmaterial wurden beschlagnahmt. Seit den 1950er Jahren – Barbara und Hans Simon hatten noch hautnah den Kampf von SED und FDJ gegen die Junge Gemeinde erlebt – war so etwas nicht mehr vorgekommen.

Mit Kerzen gegen Unrecht

Diese Nacht und die darauffolgenden Tage sollten das Land verändern. Der SED-Staat hatte nicht damit gerechnet, dass so viele und so unterschiedliche Menschen gemeinsam gegen Unrecht aufstanden. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit, vor allem aber ihre Gewaltlosigkeit waren Vorboten der Friedlichen Revolution im Herbst 1989. Die SED und ihre Staatssicherheit hatten die Umwelt-Bibliothek buchstäblich über Nacht weit über die Grenzen der eingemauerten DDR und ihrer Hauptstadt hinaus bekannt gemacht.

Schon am Morgen nach der Durchsuchung hatten die oppositionellen Gruppen beschlossen, mit einer Kerzen-Mahnwache vor der Zionskirche gegen jene Vorgänge zu protestieren. Wegen der Herstellung „illegaler Druckerzeugnisse“ drohten den Festgenommenen bis zu zehn Jahre Haft. Das hätte ihren sicheren Ruin bedeutet. Doch auch die jungen Menschen, die mit den Mahnwachen vor der Kirche demonstrierten, setzten ihre Freiheit und Zukunft aufs Spiel. Ihr Weg vom Pfarrhaus bis zur Kirche, über nicht-kirchliches Gelände, wurde zur Mutprobe. Anwesende Journalisten aus dem Westen waren ein wichtiger Schutz. Doch auch Festnahmen konnten sie ebenso wenig einschüchtern wie die Stasi-Leute, die sie unablässig fotografierten. Am 27. Dezember brachten sie ein Transparent am Kirchturm an: „Wir protestieren gegen die Festnahmen und Beschlagnahmungen in der Umwelt-Bibliothek.“ Ein Leiterfahrzeug der Feuerwehr fuhr heran, unzählige Sicherheitsleute bestimmten das Bild – das Transparent wurde blitzschnell beseitigt.

DDR-weite Stasi-Schikane

Die Unterstützer in der Nachbarschaft ließen sich auch nicht einschüchtern. Sie brachten denen, die die Mahnwachen hielten, Brote und Getränke, ein polnischer Arbeiter spendete sogar die Hälfte seines Monatslohns. Fast eine Woche bis zur vorläufigen Freilassung der meisten Inhaftierten, Wolfgang Rüddenklau und Bert Schlegel sind immer noch in Haft, überschlugen sich die Ereignisse. Nicht nur in Berlin, sondern in der gesamten DDR kam es zu Festnahmen und Hausdurchsuchungen, „Berlinverbote“ wurden ausgesprochen. Weimar, Saalfeld, Erfurt, Halle, Dresden und Wismar waren schon einen Tag nach dem Überfall betroffen. Die Umwelt-Bibliothek hat das in dem Papier „Dokumenta Zion“, gedruckt in einer Auflage von 200 Exemplaren, genau festgehalten. Friedensfreunde aus dem Westen solidarisierten sich, der Bonner Bundestag protestierte.

Doch die Staatssicherheit schlug immer wieder zu, nahm Mahnwächter fest – darunter der damalige Stadtjugendpfarrer Wolfram Hülsemann und seine Kollegin Marianne Birthler. Hülsemann war wenige Jahre zuvor als junger Pfarrer aus dem thüringischen Schmalkalden nach Berlin gekommen. Diese Festnahme, sagt er im Rückblick, habe seine Wahrnehmung der DDR verändert.

Wie der Staat mit den jungen Menschen umging, erschütterte ihn. Noch in der Nacht wurde er, anders als viele andere, entlassen und fuhr in der Dunkelheit zur Zionskirche, wo sein „Wartburg“ stand. Die Zukunft, der kommende Tag – alles war offen. Nur der nächste Schritt zählte. Es war ja ein Aufstand in einem eingemauerten Land, in dem es keine Rechtssicherheit gab.

Die Situation auf dem Zionskirchplatz und in den Seitenstraßen glich einem Belagerungszustand. Mannschaftswagen der DDR-Volkspolizei und Personenkraftfahrzeuge mit laufendem Motor beherrschten das Bild. Trotzdem kamen allabendlich zwischen 200 und 500 Menschen zu den Fürbitt-Andachten in die Kirche. Auch der Berlin-Brandenburgische Bischof Gottfried Forck, dessen Frau damals im Sterben lag, war regel­mäßig dabei.

Die Ereignisse um die Zionskirche hatten nicht nur die teils zerstrittenen oppositionellen Gruppen in Berlin vereint, sondern auch eine Solidarisierung mit der Leitung der Kirche zur Folge, auch wenn sich in dieser Solidarität nicht alle Kirchenvertreter einig waren. Der Staat hatte nicht mit so viel Widerstand gerechnet. Der öffentliche Druck führte zur Freilassung der Inhaftierten – Erfolg und Ansporn für die Bürgerrechtsbewegung in der gesamten DDR.

Am 29. November wurden die Mahnwachen vorläufig ausgesetzt.  300 Menschen, unter ihnen Vertreter der Basis und der Kirchenleitung, hatten sich in der Eliaskirche versammelt. Die Arbeit der Umwelt-Bibliothek, hieß es da, sei weiter ein wichtiger Bestandteil der Kirche. Bald schon wurden die ersten Umweltblätter wieder gedruckt, Anfang Januar 1988 die letzten Ermittlungsverfahren eingestellt.

Nur „die Kirche“ berichtete

Eine einzige offizielle Publikation in der DDR berichtete abschließend und genau über jene Ereignisse: „die Kirche“. Unter dem Titel „Umwelt-Bibliothek – Bestandteil der Kirche“ berichtete die evangelische Wochenzeitung in der Ausgabe vom 6. Dezember 1987. Chefredakteur Gerhard Thomas schrieb über Durchsuchung, Mahnwachen, die Reaktion der Kirchenleitung, Solidarität und Zivilcourage. Herausgeber Bischof Gottfried Forck hatte das Erscheinen gegenüber den staat­lichen Stellen durchgesetzt.

Die Zivilcourage vieler einzelner, die den aufrechten Gang gingen, darf nicht vergessen werden, sagt Frank Ebert, heute Pressesprecher der Havemann-Gesellschaft. Er war selbst Mitarbeiter der Umwelt-Bibliothek. Das war auch der Filmemacher und Fotograf Siegbert Schäfke. Die Kraft, die aus dem Keller der Umwelt- Bibliothek kam, sei unbeschreiblich gewesen. Damals habe er mit den Freunden davon geträumt und daran gearbeitet, das Land zu verändern. An diese Kraft zu erinnern,sei schön und bestärke ihn, sich am Gestalten der Zukunft zu beteiligen. „Wir sind noch längst nicht am Ziel“, sagt er.

Auch Wolfram Hülsemann erinnert sich gut an jene Tage – und schlägt den Bogen zu den umstrittenen Protestformen der „Letzten Generation“: „Natürlich sind heute die Herausforderungen ganz andere“, sagt der Theologe. Dass sie sich am Straßenpflaster festkleben, könne man verurteilen, räumt er ein er. Aber die Kirchengemeinden seien gut beraten, ihre Türen für heutige Aktivisten zu öffnen, um über die Unterschiedlichkeit zu reden und deutlich zu machen: Es interessiert und beunruhigt uns, was Ihr da macht. „Diese jungen Leute dürfen nicht einfach als Straftäter abgetan werden“, fordert Hülsemann. „Die grundsätz­liche Bedeutung dieses Protestes muss doch begriffen werden!“ Er ist überzeugt: Kirche muss ein Ort sein, der Unterschiedlichkeiten aushält und sie zusammenbringt. Was damals galt, das gilt für ihn auch heute.

Hintergrundinformationen zur Umwelt-Bibliothek

 

Am 2. September 1986 haben Wolfgang Rüddenklau, Christian Halbrock, Christine Müller, Barbara und Oliver Kämper, Christian Siegert, Rainer Gremmler und Petra Thüns die UmweltBibliothek gegründet. Erste Ideen dazu waren schon 1985 im von Rüddenklau 1983 mit initiierten Friedens- und Umweltkreis der Pfarr- und Glaubenskirche in Berlin-Lichtenberg entstanden. Hans Simon, Pfarrer der Evangelischen Zionsgemeinde, stellte den Umweltschützern die Kellerräume des Gemeindehauses der Zionskirche in der Griebenowstraße 15/16 (Berlin-Mitte) zur Verfügung.

Damals führte die Systemkonkurrenz zwischen BRD und DDR zu großen Umweltschäden. Dies zu thematisieren war im real existierenden Sozialismus verboten, doch nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl ließ sich der Protest nicht mehr unterdrücken. Vor allem junge Menschen engagierten sich in Friedens- und Umweltgruppen. Pfarrer Simon öffnete ihnen die Kirche Er fand, dass Kirche nicht fnur ür sich selbst da sein dürfe, sie müsse mit ihren Aktivitäten in die Gesellschaft hineinwirken.

Monatlich erschienen die „Umweltblätter“ – legal in 150 Kopien, da es sich formal um „innerkirchliche Information“ handelte. Rasch entwickelte sich die Umwelt-Bibliothek zu einem Zentrum der OppositionellenHier vernetzten sich die politisch alternativen Basisgruppen in der DDR. Diskussionsabende, Lesungen und Ausstellungen zogen Publikum an. Die Umwelt-Bibliothek informierte bis 1990 über Menschenrechte, Friedens- und Umweltpolitik. Heute erinnert an eine Gedenktafel an ihr Wirken und den Überfall der Stasi.

Quellenauswahl:

www.zionskirche-berlin.de

www.stasi-unterlagen-archiv.de

www.jugendopposition.de

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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