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Ein Dorf wie im Winterschlaf

Wie Oberammergau versucht, nach der Absage der Passionsspiele seinen Rhythmus wiederzufinden

Das Theater der Passionsspiele in Oberammergau. Foto: Angelika Warmuth/epd

Von Susanne Schröder (epd)

Christian Stückl steckt irgendwo zwischen Ratlosigkeit und Pragmatismus. Er ist Leiter der Passionsspiele Oberammergau, die dieses Jahr wegen der Coronakrise abgesagt und auf 2022 verschoben wurden. Die Spiele sind uralt: Im Jahr 1633 hatten die Oberammergauer gelobt, alle zehn Jahre das Leiden und Sterben Jesu aufzuführen, damit Gott sie von der Pest verschone.

Die Frage nach der Schicksalshaftigkeit einer Virus-Pandemie, die sogar das alte Pestgelübde der Oberammergauer ins Wanken bringt, nervt Stückl. "Die Passionsspiele haben eine 400-jährige Tradition", ruft der Spielleiter ins Telefon. Vor hundert Jahren seien die Aufführungen wegen des eben erst beendeten Ersten Weltkriegs von 1920 auf 1922 verschoben worden. "Es gehört zur Geschichte des Spiels, dass es unterbrochen wird", sagt Stückl.

Trotzdem beutelt die Absage 2020 auch den Intendanten, der dieses Jahr seine vierte Inszenierung auf die Bühne gebracht hätte. Am 16. Mai wäre Premiere gewesen, 500.000 Gäste wurden bis 4. Oktober erwartet. Vor gut zwei Wochen ordnete der Landrat die Verschiebung an. Es sei schon in der Zeit davor schwierig gewesen weiterzumachen, sagt Stückl. "Man hockt zu eng aufeinander im Theater, es gibt Ängste vor Ansteckung, man muss Durchhalteparolen ausgeben an die Darsteller, die selbst schon nicht mehr dran glauben." Als der Landrat schließlich die Reißleine gezogen habe, sei das befreiend gewesen. Nun fange man in knapp zwei Jahren eben von vorne an, denn "die Rollen bleiben nicht so lang im Körper".

Die rund 2.300 Darsteller und Darstellerinnen sind alle in Oberammergau geboren oder leben seit mindestens 20 Jahren dort. Anton Preisinger hätte den Pilatus gespielt - er ist Gastwirt im Ort. Normalerweise geht es bei ihm zu wie im Taubenschlag. 72 Gästebetten hat sein "Hotel zur Alten Post" und 250 Restaurantplätze. "Wir waren für die Passionsspiele ausgebucht, jetzt liegt bis Oktober keine einzige Reservierung vor", sagt er.

Wie Hunderttausende andere Unternehmen in Deutschland hat er Kurzarbeit für seine 44 Mitarbeiter angemeldet. Jene, die seit Januar das Team zusätzlich verstärkten, musste er entlassen. Er empfindet es als grotesk, dass die Spiele, die auf ein Pestgelübde zurückgehen, ausgerechnet wegen eines Virus ausfallen müssen. Zugleich begreife er beim Blick auf die Zustände in Italien plötzlich, "mit welcher Verzweiflung unsere Vorväter ihr Gelübde geleistet haben".

Auch für Eva Reiser sind die nächsten Monate unklar. Die Flugbegleiterin hatte sich - wie viele andere Dorfbewohner - sechs Monate unbezahlten Urlaub genommen, damit sie als Maria bei der Hälfte der 103 geplanten Aufführungen hätte spielen können. Jetzt verhandelt Reiser mit ihrem Arbeitgeber, ob sie früher zurückkommen kann. "Aber die Luftfahrt ist ja selbst sehr von der Krise betroffen. Es gibt gerade nicht viel zu tun", sagt sie.

Das Schlimmste an der Absage der Spiele sei gewesen, "dass wir uns nicht in den Arm nehmen konnten", erinnert sich die junge Frau. Jetzt liege das Dorf wie im Winterschlaf. Der Ausnahmezustand treffe jeden Einzelnen "radikal". Diese Erfahrung werde sich auf die Passionsspiele 2022 auswirken, glaubt Eva Reiser: "Jeder von uns erlebt eine Zeit, die er noch nie erlebt hat."

Wer eine Portion Optimismus nötig hat, bekommt sie bei Walter Rutz. Viel Zeit für Enttäuschung hatte der Geschäftsführer des Oberammergauer Eigenbetriebs Kultur auch nicht. Bis Ende Mai muss Rutz mit seinem Team 450.000 verkaufte Arrangements und Einzeltickets rückabwickeln. Gleichzeitig bringt er den Vorverkauf für 2022 in Schwung. "Die Passionsspiele in zwei Jahren werden ausverkauft sein", ist er überzeugt. Die meisten großen Partner wollten 40 Prozent ihrer Kontingente behalten. Selbst US-Reiseveranstalter, deren Land die meisten Corona-Infizierten weltweit verzeichnet, sagen laut Rutz: "Wir sind dabei!"

Mit Aufräumarbeiten ist derzeit Carsten Lück beschäftigt. Der technische Leiter des Passionstheaters nutzt die virusbedingte Vollbremsung dafür, bis Mitte Juni Restarbeiten an der Kulisse zu erledigen und seinen Bestand zu katalogisieren. "Das wird uns bei den kommenden Spielen nützen", sagt Lück, der sich dieses Jahr mit Gastwirt Preisinger die Rolle des Pilatus geteilt hätte. Zur Jahreswende 2021/22 will Lück die Werkstätten wieder aufsperren. "Eigentlich ist es nur ein kurzer Break, der uns vielleicht sogar ganz gut tut", sagt der Technikchef. Licht, Ton, Bühne, Kulisse: Die Ausstattung der Spiele sei im Laufe der Zeit immer aufwendiger geworden. "Es wäre dieses Mal enger geworden denn je."

Ein historischer Vorgang bleibt die Verschiebung der Spiele in jedem Fall. Erst zweimal konnten die Oberammergauer ihr Gelübde wegen äußerer Umstände nicht einlösen, und erst dreimal wurden Aufführungen verschoben. Wie das ist, wenn man als Spielleiter auf diese Weise in die Dorfgeschichte eingeht? Christian Stückl schweigt einen Moment. "Ich hätte", sagt er dann mit leisem Grimm, "auf diese historische Erfahrung gern verzichtet."

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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