Von Bettina Röder
Als Gerhard Thomas sich im Juli 1998 als Chefredakteur der evangelischen Wochenzeitung „Die Kirche“ von seinen Leserinnen und Lesern verabschiedete, hinterließ er ein aktuelles und zugleich sehr grundsätzliches Vermächtnis: Protestantische Publizistik, so schrieb er damals, müsse sowohl gegenüber der Kirche als auch der Politik eine kritische Funktion übernehmen. Dabei hatte er nicht nur die DDR-Zeit im Blick, als die Kirchenzeitungen und damit auch er selbst die Pressezensur hautnah erlebten. Denn auch heute komme es darauf an, schreibt er in seinem Abschiedsbeitrag, dass kirchliche Publizistik am Gespräch über die Grundsatz– und Zukunftsfragen in Kirche und Gesellschaft teilnehme. Die Trägerkirchen seien dabei gut beraten, die eigenständige Publizistik zu fördern und die Kirchenzeitungen nicht als Sprachrohr zu missbrauchen. Mit dieser Grundhaltung hat Gerhard Thomas Maßstäbe für die evangelische Publizistik gesetzt. Am 16. Mai wird er in Schwerin 90 Jahre alt.
Aktuell, nah bei den Menschen, ökumenisch
Die Parteilichkeit des Evangeliums müsse, so ist er überzeugt, erkennbar sein – heute wie damals, als er Chefredakteur der „Mecklenburgischen Kirchenzeitung“ und danach zwölf Jahre der Zeitung „Die Kirche“ war. Aktuell müsse eine Zeitung sein, nah bei den Menschen, aber auch die Ökumene nicht aus den Augen verlieren. Entscheidend für diese Haltung war nicht zuletzt ein Jahr in Genf, das er 1976 als Mitarbeiter im Stab des Lutherischen Weltbundes zubrachte. Aber auch der Alltag der Menschen im Osten spielte für den Journalisten Gerhard Thomas immer eine wichtige Rolle.
Den hatte der gebürtige Rostocker sehr nachhaltig erfahren, als er nach Theologiestudium und Vikariat als Pastor in den mecklenburgischen Gemeinden Retgendorf und Burg Stargard war. Das war in den 1960er und 1970er Jahren. Schon damals lebte er mit seiner Frau Rotraut zusammen, dort wurde auch sein Sohn Roger geboren.
Als junger Pastor hatte Gerhard Thomas hautnah die Enteignung der Bauern erlebt. Wie so oft war das Pfarrhaus ein wichtiger Anlaufpunkt in der Not der Menschen gewesen. Im Rückblick hat er immer wieder an diese Zeit erinnert. Für ihn muss sie sehr prägend gewesen sein. Mitte der 1970er Jahre holte ihn der langjährige Chefredakteur der Mecklenburgischen Kirchenzeitung, Werner Schnor, in seine Redaktion, die Thomas dann von 1977 bis 1986 geleitet hat.
Schon bald wurden da wie auch später bei der „Kirche“ seine Bibelauslegungen, das „Wort zur Woche“, zu einem Markenzeichen der Zeitung. Und für manchen Pastor oder auch manche Pastorin zur Grundlage für die Predigt im sonntäglichen Gottesdienst. Vor allem machte sein wöchentlicher Predigttext „auf Seite eins im Kasten“ klar, dass die Botschaft der Christen eine Botschaft nicht für die Kirche, sondern für die Welt ist. Die auch bitte aktuell sein müsse, so sein Credo.
Parteilichkeit des Evangeliums sichtbar
Dabei bleib Gerhard Thomas auch, nachdem er 1986 mit seiner Frau Rotraut nach Berlin gezogen war, um die Chefredaktion der „Kirche“ zu übernehmen. Schnell wurde aus dem bislang etwas behäbigen Blatt eine Zeitung, die immer größeren Zuspruch bei den Leserinnen und Lesern fand. Zumal nun auch Dinge zu lesen waren, die man sonst in den staatlich gelenkten DDR-Medien vergeblich suchte. Und immer war die Parteilichkeit des Evangeliums sichtbar: bei der Friedensfrage etwa, bei Glasnost und Perestroika, der hoffnungsvollen Politik Gorbatschows, bei der Gerechtigkeit für alle Benachteiligten und Unterdrückten oder auch beim Schutz des Lebens auf der Erde. Dabei kam es bei diesen Themen immer wieder zu staatlichen Zensureingriffen und immer wieder hielt Gerhard Thomas mit seiner Redaktion dagegen. Dabei konnte er aber auch der Rückendeckung seiner Kirche sicher sein.
Zeitung mehrfach mit weißen Flecken erschienen
Wichtige Unterstützung fand er dabei auch in den Leserkreisen, die er schon in Schwerin und dann in Berlin ins Leben rief. Die Zeitung sollte auf Vielfalt und Meinungspluralismus beruhen. Das war in den Zeiten der Pressezensur unentbehrlicher denn je. Auch Herausgeber Bischof Gottfried Forck war so manches Mal bei den Treffen dabei. Etwa im April 1988, als die Zeitung mehrfach zensiert in der Osternummer mit weißen Flecken erschien.
Doch auch nach der staatlichen und kirchlichen Wiedervereinigung wusste sich Gerhard Thomas mit dem streitbaren Bischof verbunden – wie auch mit der Gemeinschaft in der Ökumene, die ihm in all den Jahren viel bedeutet hat und der er nicht nur manche Freundschaft in Genf, sondern auch viele Freundinnen und Freunde in Rumänien oder im Kosovo verdankt. Und die ihm genauso wie viele hierzulande bis heute verbunden sind: als dem Freund und streitbaren Publizisten der Kirche.