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Eine einmalige Gedenkregion

Die Gedenkstätte Plötzensee im Berliner Stadtteil Charlottenburg wurde vor 70 Jahren eröffnet. Sie ist ein Mahnmal für Opfer des NS-Regimes, unter ihnen auch Christ*innen

Gedenkstätte Plötzensee: Ehemalige Hinrichtungsstätte im Innenhof. Foto: A. Savin, CC By-SA 3.0/via Wikimedia

Von Roger Töpelmann

Unter den Gedenkstätten Berlins ist die Gedenkstätte Plötzensee eines der schauerlichsten Mahnmale der Nazi-Herrschaft. Hier wurden zwischen 1933 und 1945 mehr als 2800 Menschen ermordet. Hingerichtet durch die Guillotine oder den Strang. Normalerweise – so dokumentiert es die Gedenkstätte Deutscher Widerstand – kam der Henker zweimal in der Woche. Für jeden Ermordeten kassierte er 80 Reichsmark und eine Ration Zigaretten. Von den teils zerstörten Gebäuden ist heute nicht mehr viel übrig: ein Hof mit einer grauen Mauer, dahinter ein roter Ziegelschuppen. In einem der völlig kahlen Räume sehen die Besucher und Besucherinnen fünf Haken an einer Eisenkonstruktion. 

Pfad der Erinnerung


Wie wichtig das Erinnern schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs war, zeigt ein Antrag an den Magistrat der Stadt Berlin im Sommer 1946, der einen Wettbewerb für die Ausgestaltung der Gedenkstätte Plötzensee vorsah. Verwirklicht wurde schließlich ein Hof mit einer Gedenkmauer und der Inschrift „Den Opfern der Hitlerdiktatur der Jahre 1933-1945“, dahinter die Richtstätte. Schon 1952 erfolgte die Einweihung des von der Strafanstalt Plötzensee abgeteilten Areals. Eine politisch hochrangige Gedenkfeier findet jährlich am 20. Juli statt, an der unter militärischer Begleitung der dort ermordeten Widerstandskämpfer gedacht wird. Dann versammeln sich auch die Nachkommen der Ermordeten. 

Auch Christen engagierten sich schon vor Jahrzehnten für eine Erinnerung an den Widerstand. Sie eröffneten einen „Pfad der Erinnerung“, eine Verbindung zwischen den benachbarten Kirchen: In der evangelischen Gedenkkirche Plötzensee ist mit dem Kunstwerk „Plötzenseer Totentanz“ des Künstlers Alfred Hrdlicka ein herausragendes Beispiel zeitgenössischer Kirchenkunst zu besichtigen. 16 Zeichnungen auf Tafeln gegen das Vergessen. 

Die in den 1960iger Jahren erbaute Evangelische Sühne-Christi-Kirche, ist selbst ein Zeugnis des modernen Gedenkens, ein Kirchenbau mit Strahlkraft seiner Architektur. Damals entstand eine neue Wohnsiedlung. Viele Straßen sind hier nach Widerstandskämpfern und Zeugen des christlichen Glaubens jener Zeit benannt. 1964 entstand die Gedenkmauer „Mahnmal zum Gedenken an Schreckensorte der menschlichen Gesellschaft“, eine Ziegelwand mit einer Bodenplatte zwischen Kirche und Gemeindehaus.  

Erinnern als Glaubensgeschwister


Dass Erinnern nur in geschwister­licher Gemeinschaft funktioniert, bestätigten die Katholiken mit der 1963 geweihten Gedächtniskirche Maria Regina Martyrum, die den Blutzeugen der Glaubens- und Gewissensfreiheit während der NS-Zeit gewidmet ist. Das große Altargemälde von Georg Meistermann gibt hier Zeugnis von der Betroffenheit, die eine ganze Generation von Menschen beherrscht haben muss. 

Die Aufgabe, dass die Gesellschaft nie vergisst, hat Michael Maillard. Der Pfarrer der Kirchengemeinde Charlottenburg-Nord wurde dafür beauftragt vom Kirchenkreis Charlottenburg-Wilmersdorf. Seit 2000 arbeitet er in der Gemeinde und ist Vorsitzender des „Ökumenischen Gedenkzentrums Plötzensee Christen und Widerstand“. Hier sei, sagt er, eine wohl bundesweit einmalige Gedenkregion entstanden. „Bei uns stehen Christenmenschen im Fokus, die Widerstand leisteten und eine Vertiefung ihres christlichen Glaubens erfahren durften. Woher kriegen Menschen dazu Kraft?“

Ein Schicksal hat ihn besonders bewegt: Liane ist 19 Jahre alt und bereitet sich an einem Abendgymnasium in Berlin-Schöneberg auf das Abitur vor. Sie ist in Berlin geboren und wächst zweisprachig am Viktoria-Luise-Platz im Bayrischen Viertel auf, ihre Eltern waren aus Russland geflohen. An der Schule findet sie einen Freundeskreis, der aus jungen links-orientierten Leuten besteht. Es wird viel und heftig diskutiert.  Was kann man tun gegen den Krieg? Gegen Unterdrückung und bösartige Propaganda? In einer Mai-Nacht 1942 kleben sie Protest-Zettel an Straßenlaternen und Hauswände in der Berliner Innenstadt. Liane und die meisten anderen werden erwischt und vor Gericht gestellt. Liane wird zum Tode verurteilt. Wegen „Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats und zur Feind­begünstigung“. Am 5. August 1943 wird sie im Gefängnis Berlin-Plötzensee mit der Guillotine hingerichtet. 

Die tödliche Wirklichkeit


Als Liane Berkowitz im Herbst 1942 verhaftet wurde, war sie im dritten Monat schwanger. Ihr Freund Friedrich (Fritz) Rehmer war ebenfalls Schüler an der Abendschule. Auch er wurde in Plötzensee ermordet. Ihre gemeinsame Tochter Irina, die im April 1943 im Frauengefängnis in der Barnimstraße geboren wurde, starb wenige Monate später in einem Krankenhaus. Über ihren Alltag im Gefängnis, über Begegnungen mit evangelischen Gefängnispfarrern und Besuche des katholischen Gottesdienstes schreibt Liana Berkowitz: „Morgen ist schon der 1. März; wenn man mir vor einem Jahr meine jetzige Lage prophezeit hätte, würde ich laut gelacht haben. Wenn man an all das denkt und die Sonne so scheint wie jetzt, wenn man bedenkt, wie jung wir sind, so kann man nicht an den Tod glauben. Mir scheint manchmal alles nur wie ein schlechter Traum, aus dem ich jeden Moment erwachen muss. Leider ist es die rauhe Wirklichkeit.“ 

Der Brief wurde 1987 durch Zufall in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem entdeckt. 

Zum 70. Jahrestag der Einweihung der Gedenkstätte Plötzensee stellt die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Zusammenarbeit mit dem Landesarchiv Berlin drei umfassende Ergänzungen der bisherigen Dokumentation vor: 

- Das digitale Totenbuch Plötzensee mit 2000 Biografien, Texten, Fotos und Dokumenten. 

- Eine Online-Datenbank der Gefangenenkartei des Strafgefängnisses Plötzensee zwischen 1933 und 1945

- Eine neue Online-Ausstellung „Erinnerung und Gedenken“ zur Entstehungsgeschichte der Gedenkstätte.

Die Veranstaltung am Donnerstag, 13. Oktober, 15 Uhr, ist unter www.gdw-berlin.de/livestream abrufbar.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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