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Eine Fehlentscheidung

Marion Gardei kritisiert den Beschluss, die Schmähplastik in Wittenberg nicht zu entfernen

Eine Tafel an der Schlosskirche informiert über das mittelalterliche Schmäh- und Spottbild auf die Juden. Foto: Jens Schlüter/epd

Der Gemeindekirchenrat in Wittenberg will die antjüdische Schmähplastik an der Schlosskirche nicht vom Kirchendach entfernen und neu dokumentieren, wie von einer unabhängigen Kommission vorgeschlagen. Ein Kommentar 

Von Marion Gardei

Zwei Jahre lang hatte ein von der Kirchengemeinde eingesetzter Expertenbeirat aus Historiker*innen und Theolog*innen einschließlich eines Rabbiners nach einer angemessenen Lösung gesucht, wie mit der antijüdischen Schmähplastik an der Wittenberger Schlosskirche umzugehen sei. Er kam zu der klugen Lösung, sie vom Kirchendach zu entfernen und zukünftig – eingebettet in eine aufklärende Dokumentation zu ihrer menschenverachtenden und gotteslästerlichen Herkunft –  in einem Geschäft in der Nähe des Kirchplatzes auszustellen. So sollte durch sie über die Geschichte und Auswirkung kirchlicher Judenfeindschaft aufgeklärt werden.

Beratungsresistenter GKR?


Die Weisheit der unabhängigen Kommission wurde allerdings in der vergangenen Woche seitens des Gemeindekirchenrates (GKR) in den Wind geschlagen. Man fragt sich: Wurde das Gremium etwa nur einberufen, um die Empfehlung zu geben, die dem GKR passt? Ist das Argument des Theologen und immerhin Präsidenten der christlich-jüdischen Zusammenarbeit vergessen? Er sagt, dass er in keiner Kirche beten könne, auf der eine Plastik thront, die den Namen unseres gemeinsamen Gottes in den After einer Sau steckt. Sollen sich Wittenberger Christ*innen, die so fühlen und denken, eine andere Gemeinde suchen? Am Reformationsfest wurde wieder auf allen evangelischen Kanzeln nach der notwendigen Erneuerung der Kirche gerufen, aber eine Judensau an der Kirche kann man nicht aufgeben? 

Das Argument des GKR, die vulgäre und verunglimpfende Plastik sei ein notwendiger „Pfahl im Fleisch“ der Kirche, damit sie ihre frühere Judenfeindschaft in Theologie und Geschichte nicht vergesse, ist merkwürdig. Denn daran kann man genauso gut und sogar besser erkenntlich erinnern, wenn man die Plastik zur Anschauung und mit geeigneter Dokumentation an einen nahen Ort verbringt.

Der Gemeindekirchenrat beruft sich bei seinem Beschluss auf das Urteil des Bundesgerichtshofs im Juni, wonach das Relief trotz des antijüdischen Inhalts an seinem historischen Ort verbleiben kann (AZ: VI ZR 172/20). Allerdings steht in dieser Beurteilung des Gerichtshofes nicht, dass man es dort belassen muss. Im Gegenteil wird eine sehr deutliche Distanzierung von solch judenfeindlicher Gesinnung gefordert. 

Es an der Kirche zu belassen, spricht eine andere Sprache und ist in seiner Symbolkraft nicht durch Erklärtexte aufzufangen. Auch nicht durch künstlerische Verfremdung, die noch zusätzlichen einen Fokus auf die obszöne Darstellung legt: 

Mit den mörderischen Folgen der Judenfeindschaft kann man nicht spielerisch umgehen. Christliche Judenfeindschaft und rassistischer Antisemitismus haben eine große Schnittmenge, die am Ende auch zum Mord an den sechs Millionen Jüdinnen und Juden im Holocaust beigetragen hat.

Jeder Fall ist anders


In unserer Landeskirche haben wir seit dem 1. April ein Kirchengesetz zum kirchlichen Umgang mit Darstellungen, die von judenfeind­lichem, rassistischem und nationalsozialistischem Gedankengut geprägt sind. Es schreibt vor, diese aus dem liturgischen Gebrauch zu entfernen zugunsten einer pädagogischen oder musealen Verwendung.  Diese veränderte Kontextualisierung entspricht dem Rat der Expert*innenkommission im Wittenberg. Im neuen Kirchengesetz werden allerdings keine Patentrezepte festgeschrieben, weil eben jeder „Fall“ anders ist. Das sehen wir an den in der EKBO leider auch vorhandenen Darstellungen, die jüdische Menschen mit einem Schwein herabwürdigend zusammenbringen.

Im Fall des Brandenburger Doms findet sich diese im Kreuzgang, der jetzt zum Museum gehört – also bereits im musealen Bereich. Inzwischen wurde diese mit einer Expertenkommission gründlich erforscht und neu dokumentiert: vor Ort in einem kurzen Erklärtext, einem Flyer sowie einem jetzt erscheinenden Buch, das detailliert Geschichte, Symbolik und die neuesten Forschungsergebnisse über „sus et iudaei“ aufzeigt. In der Maria-Magdalenen-Kirche in Eberswalde muss diese Arbeit noch geleistet werden. Wir sind auf dem Weg, unsere „Hausarbeit“ zu machen, ihre Geschichte aufzuarbeiten und ihren Standort zu hinterfragen.

Ohne die Aufdeckung der eigenen Geschichte christlicher Judenfeindschaft ist unser Pogromgedenken unglaubwürdig. Wenn wir am 9. November unsere Schuld bekennen – unsere Gefangenheit in einer kirchlichen Tradition, die sich über Israel erheben wollte, die Israel enteignet und sich selbst zum wahren Israel erklärt hat – dann darf es keine blinden Flecken geben, auch nicht auf den Darstellungen in unseren Kirchengebäuden, die zur Gemeinde und nach außen symbolhaft „sprechen“. Die Fehlentscheidung des Wittenberger GKR, die weit über ihre Kirchenmauern hinausstrahlt, beunruhigt und beschämt mich als Christin. 

Pfarrerin Marion Gardei ist Beauftragte für Erinnerungskultur in der EKBO.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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