Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Inhalt springen
RSSPrint

Eine ungeheuerliche Geschichte

Am 10. Dezember 1942 wählten Jochen, Johanna und Renate Klepper die Flucht in den Tod, um der Deportation zu entgehen. Der 37-jährige Regisseur Benjamin Martins aus Speyer hat diesem Schicksal mit dem Film „Schattenstunde“ (Deutschland, 2021) ein Denkmal gesetzt. Im Interview mit Katharina Körting erzählt er, was ihn dazu bewog.

Foto: Ausschnitt aus dem Filmcover

Herr Martins, können Sie sich erinnern, wann Sie erstmals mit dem Namen Jochen Klepper in Berührung kamen?

Das war 2009, in einem freikirch­lichen Gottesdienst. Der Pfarrer erwähnte das Gespräch mit Adolf Eichmann …

… das auch in Ihrem Film vorkommt.

Es fand am Tag des Selbstmordes im Sicherheitshauptamt statt. 

Dass Klepper am Tag seines Todes „Die Nacht ist vorgedrungen“ sang – ist das belegt?

Nein. Ich habe in freier Form viele Textstellen von ihm verwendet. Seine Lieder kannte ich lange, bevor ich seinen Namen wusste. Ich habe mir dann die Tagebücher angeschaut und Biografien gelesen. Je mehr ich mich damit befasst habe, desto ungeheuerlicher fand ich es – auch, dass ich vorher nichts davon wusste. Die jüdischen Familienselbstmorde haben tausendfach stattgefunden. Kleppers Familie ist stellvertretend für so viele. Ich fand, das ist eine Geschichte, die gehört und erzählt werden muss. Außerdem war da die essenzielle Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, die auch mich beschäftigt. Ich habe mit dem Film versucht, eine Antwort zu finden. 

Ist es Ihnen gelungen?

Nein. Die Frage bleibt offen. 

Ein wichtiges Element im Film ist der Schatten. Warum?

Wenn man die Tagebücher liest, erfährt man, dass Klepper wahnsinnig viele Zweifel hatte, immer wieder, das hat ihn permanent beschäftigt. Zweifel und Sorgen sind ja meistens dunkel und hässlich, deshalb wollte ich das nicht beschönigen. 

Der Film erzählt eindringlich, dass der Tod am Ende das Einzige war, was die Familie noch selbst bestimmen konnte. Gegenüber Hans Karbe begründen die drei ihre Entscheidung. Hat die Figur ein historisches Vorbild?

Ja, ihn gab es wirklich. Hans Karbe war Kleppers Nachbar, aber das Gespräch habe ich erfunden. Ich brauchte es, damit Karbe, stellvertretend für die Zuschauer, akzeptiert, wie und warum die Familie Klepper in den Tod geht. Karbe kämpft den Verstehens-Kampf für die Zuschauer. 

Man sieht, wie sich die Wände der Wohnung zusammenschieben, wie immer mehr Möbel verschwinden, so dass die Beklemmung spürbar wird. Aber die wirklichen Kleppers lebten doch in einem Haus?

Stimmt. Im Film ist die Wohnung ein Gleichnis für die damalige Zeit. Das war notwendig. Ich wollte nicht nur äußerlich erzählen, ich wollte auch die Innenwelt zeigen. Die riesige Lücke unter der Tür zeigt, dass sie die Außenwelt nicht raushalten konnten. 

War es Karbe, der die drei Toten fand?

Es war die Haushälterin. Sie lagen genauso wie im Film, links die Tochter, in der Mitte die Mutter, rechts der Vater, so wie sie in Berlin beerdigt sind. 

Der Film zeigt intensiv den Weg in den Tod. Am Ende liegen die drei minutenlang im Todeskampf. Warum haben Sie sich auf diesen Aspekt beschränkt und nicht mehr von ihrem Leben in Berlin erzählt?

Das wäre ein anderer Film. Ich hätte gefälliger inszenieren können, aber ich glaube, dass ich damit die Familie Klepper verraten hätte, und die vielen anderen Familien mit dem gleichen Schicksal. Mir war es wichtiger, den Familien gerecht zu werden, als es dem Publikum leichter verdaulich zu machen.

Am Ende erklingt „Sieg Heil!“ aus einem Lied der Hitlerjugend (HJ). Warum?

Mir war wichtig zu zeigen, was Worte machen können. Das ist ein furchtbares Lied, Melodie und Text sind sehr eingängig. Ich habe es sogar gesummt, ohne es zu bemerken, wenn ich mit dem Hund spazieren ging! Das war krass zu sehen, wie gut diese Lieder funktionieren mit fröhlicher Melodie.

Und dem tückischen Gefühl von Gemeinschaft?

Das HJ-Lied suggeriert: Wir gehen fröhlich mit, Schritt für Schritt. 

Ohne darüber nachzudenken?

Ein guter Freund hat mich für den Film beraten. Er erzählte von seiner Zeit in der HJ. In seinem Ausweis stand: „Dein Körper gehört deiner Nation.“ Das sieht man auch heute im Krieg der Ukraine. Menschen werden dorthin geschickt, es ist vollkommen egal, ob sie sterben, ob sie verletzt werden, weil ihr Körper der Nation gehört, das ist unfassbar! 

Sie haben Regie geführt, Drehbuch geschrieben und waren gleichzeitig Produzent – war es schwierig, das Geld aufzutreiben?

Es war schwieriger, als ich erwartet hatte. Es gab ganz klar Gegenwind. Viele große Unternehmen haben abgesagt. Sie wollten keine Kunden verlieren. Manche fanden, dass solche Filme verboten sein sollten. Ich war schockiert.

Im Abspann Ihres Films nennen Sie bei den Danksagungen unter anderem auch „Gott“. Haben Sie selbst einen christlichen Hintergrund?

Gott danke ich in allen meinen Abspännen. Ich bin Christ, ich hoffe, dass Gott da ist, und dass er auch bei meinen Filmen da ist, und dann gehört ihm auch mein Dank. 

Der Film „Schattenstunde“ kam im Januar 2021 in die Kinos. Seit kurzem gibt es eine DVD (16,99 Euro) und Video on Demand. Der Regisseur Benjamin Martins kommt auch gerne bei Schulaufführungen zum Gespräch.

Artikelkommentar

Artikelkommentar
captcha
Bitte tragen Sie das Ergebnis der Rechenaufgabe in das Feld ein.
Hinweis: Die von Ihnen ausgefüllten Formulardaten werden lediglich für die Zwecke des Formulars genutzt. Eine andere Verwendung oder Weitergabe an Dritte erfolgt nicht.

Artikelkommentare

(3) Artikel Name Ihr Kommentar
1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

Hier gelangen Sie zur Übersicht über alle Kommentare.