Predigttext am Sonntag Invokavit: Johannes 13,21–30
Als Jesus das gesagt hatte, wurde er erregt im Geist und bezeugte und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten. Da sahen sich die Jünger untereinander an, und ihnen wurde bange, von wem er wohl redete. Es war aber einer unter seinen Jüngern, der zu Tische lag an der Brust Jesu, den hatte Jesus lieb. Dem winkte Simon Petrus, dass er fragen sollte, wer es wäre, von dem er redete. Da lehnte der sich an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist’s? Jesus antwortete: Der ist’s, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er nahm den Bissen, tauchte ihn ein und gab ihn Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. Und nach dem Bissen fuhr der Satan in ihn. Da sprach Jesus zu ihm: Was du tust, das tue bald! Niemand am Tisch aber wusste, wozu er ihm das sagte. Denn einige meinten, weil Judas den Beutel hatte, spräche Jesus zu ihm: Kaufe, was wir zum Fest nötig haben!, oder dass er den Armen etwas geben sollte. Als er nun den Bissen genommen hatte, ging er alsbald hinaus. Und es war Nacht.
Von Paul Geiß
Invokavit, der lateinische Name dieses ersten Passionssonntags, bezieht sich auf Psalm 91. Dieser endet mit der Zusage Gottes in Vers 15: „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen. “
Das Abendessen von Jesus mit seinen Jüngern führt endgültig zum letzten Countdown. Jesus wird erregt im Geist, er hat eine Eingabe, eine Vision, eine Erkenntnis: Unter uns ist ein Verräter! Er wird mich an die feindseligen Behörden ausliefern.
Was bedeutet das für jemanden, der plötzlich weiß, dass ein Mensch, dem er vertraut hat, zum Verräter wird? Das ist doch furchtbar. Die Jünger müssen erkennen: Es ist Judas. Der fühlt sich ertappt. Jesus konfrontiert ihn mit dem Hinweis: „Was du tust, das tue bald!“ Judas flieht aus der Gemeinschaft.
Was ist sein Antrieb? Neid, Gier nach Geld, enttäuschte Liebe? Jeder von uns kennt wohl auch solche Situationen. Menschen, die man für seine Freunde hielt, machen eine Kehrtwende, machen einen lächerlich, sind plötzlich voller Bosheit.
Auch mir ist das passiert: Wir haben zusammen studiert, wir haben zusammen gelernt, gestritten und dann haben wir uns aus den Augen verloren. Jeder ist seinen Weg gegangen. Manchmal haben wir uns wieder getroffen. Der eine hat völlig unvermutet einen bösen Brief geschrieben. Der andere hat sich von seiner Familie getrennt und war neidisch, weil ich seiner Meinung nach in glücklichen Verhältnissen lebte. Das habe ich bei manchen Begegnungen schmerzlich erfahren müssen. Da war dann bei mir tiefe Traurigkeit und Unverständnis.
Furchtbar, dass Judas zum Verräter wird. Er führt im Garten Gethsemane die Soldaten, die Jesus gefangen nehmen.
Verrat ist etwas Entsetzliches. Vertrauen wird enttäuscht. Liebe zurückgewiesen. Schnöder Vorteil in Geld, andere Vergünstigungen oder auch enttäuschte Liebe sind der Antrieb zur Intrige. Jesus weiß das. Er schreckt nicht zurück. Er weiß, was sein Schicksal ist, er nimmt es an, spätestens im Garten Gethsemane kurz vor der Gefangennahme.
Im Nachhinein sage ich: Gott sei Dank. Denn sein Schicksal ist unsere Erlösung. Sein Tod und seine Auferstehung sind unsere Rettung. Wir können uns in Freude und Leid an ihn wenden. Gott sei Dank. Jesus sei Dank. Dem Heiligen Geist sei Dank, der Jesus Klarheit schenkt.
Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen, sagt Gott in Psalm 91. Das hat er mit seinem Sohn wahrhaftig getan. So traurig es ist. Auch dieses Ereignis ist notwendig, es ist über alle Zeiten hinweg der Grund für unser Heil!
Paul Geiß ist Pfarrer im Ruhestand in Berlin.