Von Juliane Borth
„Das volle Leben“, so heißt die Kampagne der EKD, die seit 2016 für den Beruf Pastor*in und das Studium der Theologie wirbt. Seit etwa 2010 gibt es den Studiengang Magister Theologiae. Alle Lehrveranstaltungen sind zu Modulen zusammengefasst und müssen mit je einer Prüfung abgeschlossen werden. Die meisten Prüfungen sind benotet. Diese Noten werden jedoch in den meisten Examina der Fakultäten und Landeskirchen nicht einbezogen.
Das muss sich ändern. Examen und Studiengang sollten sich annähern, indem im Grundstudium Prüfungen gestrichen oder angepasst werden und im Hauptstudium Leistungen in größerem Umfang für das Examen angerechnet werden können.
Ich selbst habe in Göttingen studiert. Während der vorlesungsfreien Zeit schrieb ich stets Hausarbeiten. Nach der Abgabe von oftmals zwei Arbeiten mit je rund 20 Seiten begann direkt wieder die Vorlesungszeit. Im Verlauf des Studiums absolvierte ich so insgesamt 11 Hausarbeiten und 12 mündliche Prüfungen.
Danach folgt der notentechnische Neustart: das Examen. Das „volle Leben“ rückt in weite Ferne. Bis hierhin haben die meisten Studierenden schon mindestens 10 Semester studiert. Die Regelstudienzeit der Rahmenordnung wird fast immer überschritten. Für die Examensvorbereitung ist etwa ein weiteres Jahr einzuplanen, in dem selbstorganisiert alles erlernt werden muss. Egal, ob es im Studium vorkam oder nicht. Es gibt keine einheitlichen Erwartungshorizonte.
Die Themen der Klausuren können von Überblickswissen bis zu detaillierteren Fragen der aktuellen Forschung reichen.
Diese Bandbreite erzeugt bei Studierenden einen enormen Druck. Diejenigen, die die Vorbereitung abbrechen oder das Examen nicht bestehen, bleibt nur das Abitur. Das verstärkt den Druck. Auch die mündlichen Prüfungen werden oft als unzeitgemäß hierarchisch erlebt. Dies lässt sich nicht an einzelnen Begebenheiten festmachen und wird von jeder Person anders erlebt.
Doch es gibt mehr als (m)einen Bericht über das massive Gefühl des „Ausgeliefert-Seins“. Oftmals ist es schon im Vorfeld schwierig, die Prüfenden zu erreichen und Termine für die Themenabsprache zu vereinbaren. Persönliche Abneigungen gegenüber der Themenauswahl werden teils deutlich kommuniziert. „Wollen Sie nicht lieber etwas anderes machen?“, „Sie haben sich ja nicht vorbereitet.“, „Sie schaffen höchstens ein 3er-Examen.“ Das sind Zitate, die während Prüfungsgesprächen fielen.
Dabei schränken das Lernen und Wiederholen das soziale Leben sehr ein. Nicht wenige entwickeln während der Lernphase Ängste oder psychische Probleme, die teilweise mit Essstörungen oder Abhängigkeiten einhergehen. Das ist wohl nicht „das volle Leben“, mit dem die EKD-Kampagne wirbt.
Ich wünsche mir, dass an den Fakultäten zeitnah Anpassungen stattfinden, sodass die Belastung mit Prüfungen während des Studiums reduziert wird. Ich wünsche mir, dass die EKD nicht nur versucht, für den Nachwuchs zu werben, sondern dass die Synodalen die Belange derjenigen hören, die sich bereits auf dem Weg befinden.
Es muss kein Bachelor-/Masterstudiengang eingeführt werden. Aber eine Reform der Rahmenordnung der EKD ist dringend notwendig. Diese sieht beispielsweise Seminararbeiten in allen Fächern vor. Ich denke, dass auch Klausuren oder Referate Alternativen sind.
Weiterhin wünsche ich mir, dass die Möglichkeit zur Anrechnung von Leistungen für das Examen in der Rahmenordnung verankert ist. Studierende sollten nicht ständig doppelt geprüft werden. Hierfür sind der Evangelisch-Lutherische Fakultätentag sowie Rat und Synode der EKD gleichermaßen verantwortlich. Dabei ist es wichtig, dass die Prüfungsordnung nicht komplizierter wird und keine zusätzlichen Prüfungen geschaffen werden. Auch das passierte leider in der Vergangenheit.
Juliane Borths Petition zur Veränderung des Studiengangs Theologie und des Examens wurde mehr als 1600-mal unterzeichnet und mehr als 20 000-mal aufgerufen. Die Petition #examenreformandum wurde an alle Landesbischöf*innen, Ausbildungsreferate und Studiendekan*innen der Fakultäten verschickt .
Die Petition ist nachzulesen im Internet unter:
https://www.change.org/p/evangelische-kirche-deutschlands-umstrukturierung-des-studiengangs-ev-theologie-mit-examen-examenreformanda-94ac32b5-0670-4a09-a1c8-c0eb0b3ae1bc?recruiter=1193350726&recruited_by_id=42cc2040-9d15-11eb-ba5e-c95901fd9591&utm_source=share_petition&utm_medium=copylink&utm_campaign=petition_dashboard
Juliane Borth hat das kirchliche Examen Anfang 2020 bei der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers abgelegt und ist seit März 2020 Vikarin in Duderstadt bei Göttingen.