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Forscher: "Obdachlosenzählung war wichtig und richtig"

Experten fordern weitere Erhebungen und eine valide Wohnungsnotfallstatistik

Foto: Sibylle Sterzik

Von Dirk Baas (epd)

Politiker, Forscher und Betroffene diskutieren über die Ergebnisse der ersten Zählung von Menschen, die in Berlin ohne Unterkunft auf der Straße leben. Hatten Obdachlosenvertreter die Aktion Ende Januar schon vorab als "würdelosen Vorgang" ohne Effekte abgelehnt, so ist jetzt strittig, wie aussagefähig die erhobenen Zahlen sind. Im Vergleich zu vorherigen Schätzungen wurden deutlich weniger Betroffene als erwartet angetroffen. Eigentlich ist das eine gute Nachricht - wenn sie wahr ist.

Trotz einigem medialen Gegenwind hält Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) die Aktion für einen Erfolg: "807 obdachlose Menschen wurden angetroffen. Etwa ein Drittel dieser Menschen hat den Zählteams über ihre Lebenssituation berichtet." Jetzt wisse man mehr über das Alter obdachloser Menschen, ihr Geschlecht, woher sie kommen und erstmals auch, wie lange sie schon wohnungslos sind. "Wir werden die Daten der Zählräume auswerten und in Zusammenarbeit mit den Bezirken sowie der Wohnungslosenhilfe überprüfen, welche Hilfsangebote vor Ort verbessert werden müssen" - auch wenn die Dunkelziffer vermutlich hoch bleibt.

Viele hatten Angst oder wollten nicht gezählt werden

Aber wie belastbar das Datenmaterial ist, das 2600 Ehrenamtler in der "Nacht der Solidarität" gesammelt haben, bleibt umstritten. Bislang waren Schätzungen von bis zu 10.000 obdachlosen Menschen in Berlin ausgegangen. Die Freiwilligen trafen jedoch "nur" 807 auf der Straße und 942 in Einrichtungen der Kältehilfe an. Aus Sicherheitsgründen hatte die Helferschar einen Bogen um Parks und Grünlagen gemacht.

Fragen gibt es auch zur ermittelten Herkunft der gezählten Personen. Fachleute betonen, Obdachlose, die in der Beratungsarbeit und in den Tageseinrichtungen registriert würden, stammten in bis zu 80 Prozent der Fälle aus EU-Ländern. Bei der Zählung waren es "nur" 49 Prozent. "Viele Betroffene hatten wohl Angst oder wollten nicht gezählt werden. Das ist zu verstehen und zu respektieren", sagte dazu die Berliner Caritas-Direktorin Ulrike Kostka auf Anfrage. Von den 1.976 gezählten Menschen seien nur 250 bereit gewesen, über ihre Herkunft zu berichten.

Kritik: Aktion hatte nur Alibi-Funktion

Dennoch sei die Zählung "ein wichtiger Schritt für Berlin", betont Kostka. Sie sollte ein erster Baustein für die dringend benötigte Wohnungsnotfallstatistik sein. Dann hätte man "valide Erkenntnisse über das tatsächliche Ausmaß der Wohnungslosigkeit und könnte Angebote systematisch anpassen und verbessern."

Für die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen ist dagegen ein Nutzen der Zählung "nicht erkennbar". Die Aktion habe nur eine Alibi-Funktion, lautet die Kritik. Und: "Wir können nicht erkennen, dass der Senat auf Grundlage der Zählung bezahlbare und menschenwürdige Wohnungen schaffen, bauen oder erwerben wird."

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe verteidigte die Aktion. Sprecherin Werena Rosenke sagte, man brauche nun mal verlässliche Datengrundlagen. Aber: "Aus den Erkenntnissen müssen unbedingt Maßnahmen erfolgen, mit denen wohnungslose Menschen bedarfsgerecht versorgt werden."

Auch Sozialforscher halten die Zählung für wichtig und richtig. "Die Zahlen belegen den Forschungsbedarf. Mehr nicht", sagt Nikolaus Meyer, seit 2017 Professor für Soziale Arbeit an der IUBH Internationalen Hochschule. Doch müsse man sich auch mit der Kritik an der Aktion und dem von Betroffenen geäußerten Paternalismus-Vorwurf auseinandersetzen: "Bisher hat man die Wohnungsnotfallhilfe deutschlandweit mit Hilfe von Vermutungen finanziert. So kann es nicht weitergehen."

Ein Effekt sei trotz vielerlei Bedenken an der Aktion nicht zu unterschätzen: "Die Zählung hat die Gesellschaft für das Thema Obdachlosigkeit sensibilisiert und gezeigt, dass da Menschen am Rand unserer Gesellschaft sind und wir uns fragen müssen, ob wir das so wollen. Das ist ein Riesenerfolg."

Susanne Gerull, Armutsforscherin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und Mit-Initiatorin der Nacht der Solidarität, sagte bei der Vorstellung der ersten Resultate, es habe bei der Zählung keine "systematischen Verzerrungen" gegeben. Subjektive Einschätzungen, wie viele Menschen sich womöglich versteckt haben, um nicht gezählt zu werden, seien sozialwissenschaftlich nicht haltbar.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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